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Veröffentlicht am 05­.11.2010

5.11.2010 - Publik-Forum

Aufstand der Treuen

Der Kirchenreformtag in Hammelburg: Die »loyale Opposition« wehrt sich gegen die Zerschlagung ihres vertrauten Milieus

Von Thomas Seiterich

Anfangs ist die Sitzordnung zufällig beim Treffen der Delegierten aus den Kirchenreformgruppen, die weite Wege aus Österreich und Deutschland zurücklegten. Sie sind der Einladung der Initiative Kirche in Bewegung (KiB) zum Reformationstag in die fränkische Kleinstadt Hammelburg gefolgt. Programmatisch wirkt das zu Beginn gesungene Lied »Ihr Mächtigen, ich will nicht singen eurem tauben Ohr« - wobei mit den Mächtigen die Bischöfe gemeint sind, die wegen des Mangels an zölibatären Priestern die Gemeinden zerschlagen und deren Trümmer zu pastoralen Großgebilden fusionieren.

Nach dem Lied heißt es Stühlerücken. Moderator Nikolaus Weitzel, ein Mediator und Coach, führt auf beruhigende Weise durch den turbulenten Tag. Er fordert die Reformkatholiken auf, sich dem Alter ihrer jeweiligen Initiative entsprechend hinzusetzen. Rechts beginnt der Kreis mit der Leserinitiative Publik e. V., gegründet 1972, und links endet die große Runde der fünfzig Teilnehmenden mit Kirche in Bewegung, gegründet 2009 in Hammelburg, sowie den Besorgten Christen im Bistum Passau, die seit März dieses Jahres gegen den »zerstörerischen Kurs« ihres Bischofs Wilhelm Schraml öffentlich aufbegehren.

Bei der lebhaften Debatte treten Gegensätze zutage. Hans-Peter Hurka und Herbert Kohlmaier, Sprecher von Wir sind Kirche in Österreich und der österreichischen Laieninitiative, warnen die Deutschen davor, sich von der sogenannten Dialoginitiative ins Bockshorn jagen zu lassen, die Erzbischof Robert Zollitsch, der Vorsitzende der »tief zerstrittenen« Deutschen Bischofskonferenz, infolge der sexuellen Missbrauchsskandale durch Priester ausgerufen hat. »In einer für die Oberkirche ähnlich peinlichen Lage haben unsere Bischöfe seinerzeit den sogenannten Dialog für Österreich ausgerufen«, sagt Hurka. »Und was wurde daraus? Ein Beschiss! Die hohen Herren legten ihnen ungefährlich erscheinende Dialogthemen fest und verdrängten zugleich andere Themen. Alles in allem: eine Show-Veranstaltung zur Einlullung des Kirchenvolkes.«

Mitglieder der jungen Initiative Kirche in Bewegung wollen den Bischöfen dennoch eine Chance geben. »Erst mal für zwei Jahre«, sagt Elke Ott von KiB Asperg bei Ludwigsburg. »Wir dürfen uns dem Dialog mit den Bischöfen nicht verweigern«, sagt auch Claus Schreiner vom seit 1988 bestehenden Münnerstädter Kreis im Bistum Würzburg. Mit Bischöfen wie Gebhard Fürst in Rottenburg-Stuttgart oder Zollitsch in Freiburg seien doch offene Gespräche möglich, ergänzt Wolfgang Kramer von der Esslinger Reformgruppe Pro Concilio, die sich 2009 nach dem vom Papst ausgelösten Skandal um die Traditionalistenbruderschaft Pius IX. und deren Holocaustleugner, Bischof Richard Williamson, gegründet hatte.

Kirchenreformer aus »harten« Streitbistümern, allen voran der Diözese Regensburg, widersprechen. Sigrid und Johannes Grabmeier von der Laienverantwortung Regensburg, die mit dem Regensburger Bischof Gerhard Ludwig Müller etliche Händel vor deutschen und vatikanischen Gerichten austrugen, weil Müller die Laienräte systematisch abwürgt, warnen vor »naiver Vertrauensseligkeit« gegenüber Vertretern der katholischen Hierarchie.

Höchst unterschiedlich sind die Erfahrungen, die die Gruppen mit der Amtskirche gemacht haben. Das wird im Verlauf der Diskussion deutlich. Außerdem tritt ein Kultur-Unterschied zutage: »Das Beten können sie uns nicht verbieten«, sagt eine Vertreterin von Kirche in Bewegung und findet damit lebhafte Zustimmung in ihrer Gruppe. Die »Neuen« in der vielgestaltigen Reformbewegung organisieren sich absichtsvoll in Form von »Donnerstagsgebeten«. Diese bieten Erbauung, Trost, religiöses Miteinander - und kritische Information sowie Verabredung zum Aktivwerden. Dabei entstehen spirituelle Kraft und andere Formen des Miteinanders als in den älteren Reformgruppen. Möglicherweise entspringt aus den niederschwelligen Donnerstagsgebeten, die derzeit von zunehmend mehr Pfarreien im süddeutschen Raum und Österreich übernommen werden, eine neue, durchhaltekräftige Form von aktivem Glauben und Gemeindesein.

Es gibt noch mehr Generationenunterschiede: Die Aktiven der älteren Reformgruppen befinden sich im jungen Opa- und Oma-Alter. Die Trägerinnen und Träger der neuen Initiativen dagegen sind zwischen Vierzig und Fünfzig. »Die meisten von uns haben heranwachsende Kinder zu Hause. Die stellen uns kritische Fragen - auch das ist ein Ansporn für unser Tun«, sagt Beate Schilling von KiB Hammelburg. Die neuen Initiativen pflegen auch einen anderen Arbeitsstil als die älteren: Sie kommen ohne Leitfiguren und Hauptredner aus.

Was die Kirchenreformer eint, ist das Entsetzen und der Schmerz über die Zerstörung der Heimat in den Pfarrgemeinden, wie sie die Bistumsleitungen seit Jahren durchsetzen. Peter Bürger, Düsseldorfer Theologe, Autor und Krankenpfleger, attackiert deshalb in seinem Hauptvortrag den beim Reformtreffen anwesenden Würzburger Domkapitular Christoph Warmuth scharf, worauf dieser ähnlich scharf antwortet. Bürger spricht vielen aus der Seele, als er an die warme Pfarreiwelt von früher erinnert. Deren Zerstörung in neuen, übergroßen Pfarrverbänden verschleiße die Priester und treffe insbesondere die nicht so mobilen Menschen, also betagte und kinderreiche Gemeindemitglieder.

Eine tiefe Liebe zur Kirche eint die meisten Reformer in Hammelburg. Sie seien »die letzte Kraft aus dem untergehenden katholischen Milieu, die den nötigen Aufstand versucht«, erklärt Peter Bürger in seinem teilweise an eine Trostpredigt erinnernden Vortrag. Wo Bürger anfeuert, seziert Rainer Bucher, Professor für Pastoraltheologie in Graz, kühl die Fakten. Im Buch »Religion als Wahrnehmung« (LIT Verlag) bringt ein Beitrag Buchers die Reform-Szene so auf den Begriff: Sie sei die »loyale Opposition« in der Kirche - und das ist nicht positiv gemeint. »Das Wir-sind-Kirche- Spektrum« verkörpere »exemplarisch das soziale Prinzip ›Integration durch Dissens‹«. Die Reformer zeigten eine »anhaltend starke Kirchenbindung. Anders gesagt: In dieser Generation war und ist die Kirche noch einmal stark genug, eine profilierte Opposition zu generieren.« Da Bischöfe über die Kirchenbindung der Reformer im Bilde seien, wüssten sie auch, dass sie diesen Treuen inhaltlich nicht entgegenkommen müssen. Denn der Kirchenaustritt droht nicht. Größtes Begehr der Reformer-Szene sei der Wunsch, so Bucher, dass die Oberkirche endlich »mit Anerkennung auf die Forderungen nach einer moderneren Kirche« reagieren möge.

Hammelburg war der Anfang einer stärkeren Vernetzung ganz unterschiedlicher Initiativen. Als Grundlage für das weitere Vorgehen soll der Hahnenschrei dienen (siehe folgenden Artikel).

Zuletzt geändert am 05­.11.2010