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Wir alle sind gefragt!

Anmerkungen von Wir sind Kirche zum Fragebogen zur Bischofssynode 2014 zur Familie

> erweiterte Fassung "Wir alle sind gefragt!" als PDF (6 Seiten)

> mehr zu dem Umfragen zur Familiensynode des Vatikans
> mehr zur Außerordentlichen Bischofssynode 2014 zur Familienpastoral

Die Auseinandersetzung mit dem Fragebogen erfordert sicher Zeit und Mühe. Wir alle sollten die Chance nutzen, frei und offen Stellung zu nehmen, und unsere Überzeugungen den Bischöfen mitteilen. Lassen Sie sich auch von gesetzten Fristen nicht abschrecken! Wichtig ist, weiterzugeben, wie die Gläubigen heute denken, wie sie handeln und wie uns die Botscha ft des Evangeliums helfen kann, dass wir unser Handeln vor uns selbst, vor den anderen Menschen und vor Gott verantworten können.

Glaubenswirklichkeit heute

Sowohl der einleitende Text als auch die Fragen selbst gehen davon aus, dass die katholische Lehre der letzten Jahrhunderte, die Konzilien und päpstliche Rundschreiben dargelegt haben, in allen Punkten richtig ist, unveränderbar und unfehlbar. Die Menschen müssten nur befragt werden, wie die Vorgaben erfüllt werden können und welche Veränderungen nötig sind, damit dieses Lehrgebäude in vollem Umfang angenommen werden kann. Doch die Menschen funktionieren nicht so. Kirche sind wir alle und deshalb kann die Kirchenleitung nicht ohne Einbindung des „sensus fidelium“, des Glaubenssinns der Gläubigen, festschreiben, wie die Menschen ihr Leben zu gestalten haben.

Zum Verständnis von Partnerschaft und Ehe

Zum biblischen / christlichen Bild der Ehe gehört von Anfang an: Nur die Partner, die sich einander geöffnet haben, und nur Gott selbst kennen die tiefe Wirklichkeit des „Einen Fleisches“. In einer Krise können nur sie und Gott selbst Wege aus dem Scheitern oder durch das Scheitern hindurch gehen. Von Jahwe allein wissen sie: „Ich bin für euch da!“. In dieser Situation bleibt auch die Institution Kirche außen vor. Deshalb ist es Vorrecht und Pflicht der Betroffenen allein, mit dem Scheitern dieser Gemeinschaft und dem Werden einer neuen Gemeinschaft angemessen und verantwortlich umzugehen. Welche tiefen menschlichen Krisen und Erschütterungen vor Gott ein solches Scheitern auslösen kann, ist den Betroffenen in der Regel selber klar. Erst unter dieser Voraussetzung kommt den Gemeinden, d. h. den MitchristInnen und Gemeindeverantwortlichen die Aufgabe zu, zusammen mit den Betroffenen über die Neugestaltung ehelicher Verhältnisse (zerbrochener wie neu entstandener) nachzudenken, sie zu begleiten und zu unterstützen. So nehmen auch sie ohne Ausgrenzung teil am Leben der Gesamtgemeinde: Eucharistiefeiern, Erziehungsaufgaben, Kinder-, Jugend- und Erwachsenenpastoral.

Sexualität und Lebensweitergabe

Im Text des Fragebogens wird ein Verständnis vermittelt, dass Sexualität insbesondere der Fortpflanzung dient. Sexualität ist aber ein Teil des menschlichen Wesens, das das Zueinander der Partner ermöglicht und das ein wesentlicher Teil der Kommunikation in einer Partnerschaft ist. Körperliche Nähe, sexuelles Begehren und die Erfüllung z. B. im Geschlechtsverkehr haben nicht nur eine rein biologische Funktion, sondern sind auch für das Gelingen einer Partnerschaft notwendig und müssen gelebt werden. (Vgl. dazu das Arbeitspapier „Menschliche Sexualität“ der Würzburger Synode.) Die Engführung geht auf das sogenannte Naturrecht zurück: Aus der Natur des Menschen, der als Mann und Frau geschaffen worden ist, folge die Bestimmung der Sexualität zur Fortpflanzung; alles andere sei widernatürlich. Die weitgehende Reduktion der Begriffe Ehe und Familie auf biologische bzw. rechtliche Merkmale verschleiert die wichtige soziale und psychische Bedeutung solcher auf Dauer angelegten Lebensgemeinschaften. Lebensweitergabe darf nicht rein biologisch gesehen werden, ebenso nicht der Begriff Familiengründung. Leben in einem viel weiteren Sinn wird ja auch dann weitergegeben, wenn z. B. von einem Paar, das selbst keine Kinder bekommen kann, ein Kind angenommen und großgezogen wird. Die Ehe ist ein Konstrukt menschlicher Sozialisation, das das Zusammenleben einer größeren Gemeinschaft und nachfolgender Generationen absichert. Ehe bedeutet gegenseitige Verantwortungsübernahme, Familie bedeutet Verantwortungsübernahme über mehrere Generationen hinweg.

Zur Empfängnisverhütung

Im Lehrschreiben Humanae vitae von Papst Paul VI. von 1968, auf das sich der Fragebogen bezieht, wird Abtreibung als Methode der Geburtenregelung auf die gleiche Stufe mit Formen der Empfängnisverhütung gestellt. Das lässt ein überholtes biologisches Verständnis durchscheinen, das das Sperma als Samen, als „Homunkulus“ begreift, als vollständiges Menschlein und somit dem Mann die alleinige „Schöpferrolle“ einräumte. Die Existenz und Funktion der weiblichen Eizelle wurde zwar schon im 19. Jahrhundert bekannt, fand in der kirchlichen Lehre aber keinen Niederschlag. Neues Leben entsteht erst durch die Verschmelzung von Eizelle und Spermazelle. Die Königsteiner Erklärung der Deutschen Bischöfe von 1968 setzt auf die Gewissensentscheidung der Partner, wie viele Kinder ein Paar haben will und welche Methoden der Empfängnisverhütung es anwendet.


Weiterführende Informationen

Enzyklika „Humanae vitae“ von Papst Paul VI. vom 25. Juli 1968 über die rechte Ordnung der Weitergabe menschlichen Lebens
> Wortlaut

Königsteiner Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz, Wort der deutschen Bischöfe zur seelsorglichen Lage nach dem Erscheinen der Enzyklika Humanae vitae, 30. August 1968
> Wortlaut bei Wikipedia

Arbeitspapier „Menschliche Sexualität“ der Würzburger Synode (1971-1975)
> PDF

Positionspapier „Sexualität als lebensspendende Kraft“ der KirchenVolksBewegung Wir sind Kirche (2008)
> PDF







Franziska Müller-Härlin: Zum Fragebogen des Vatikans
Der Fragebogen des Vatikan im Auftrag von Papst Franziskus, der die katholische Realität von Familie und Ehe in den Kulturen bzw. Teilkirchen der Welt erfahren möchte, ist einerseits auf große Zustimmung gestoßen: "Der Papst fragt die Gläubigen…" Andernseits löst er, bei näherer Lektüre, Irritationen aus, da die Fragen aus sehr unterschiedlichen Gesichtspunkten und an ganz unterschiedliche Zielgruppen gestellt werden. Hatte sich das Kirchenvolk in Deutschland zunächst ernst genommen und angesprochen gefühlt, erscheinen die Antworten inzwischen äußerst schwierig, wenn sie nicht gar auf Unverständnis stoßen. Auch ihre Aussagekraft ist fragwürdig in Zeiten der empirischen sozialwissenschaftlichen Methoden.

Verschiedene Positionen oder Ebenen liegen den Fragen zugrunde, nicht nur in den neun großen Kapiteln, sondern auch innerhalb dieser: Den Fragen nach der Kenntnis des Kirchenvolks von Theologie und Dogmatik werden Fragen zur Pastoral zur Seite gestellt, um zu erfahren, wie und ob die Umsetzung von Glaubensinhalten funktioniert. Schließlich gibt es auch gewissermaßen empirische Ansätze, die bekannte statistische Befunde aber auch Antworten zu individuellen Lebens-und Glaubensformen und der Akzeptanz der katholischen Lehre erfragen.

Signifikant für die Vermischung der Ebenen ist etwa die Frage 7 a:
"Wie steht es um die wirkliche Kenntnis der Gläubigen in Bezug auf die Lehre von Humanae vitae über die verantwortliche Elternschaft? Welches Bewusstsein gibt es von der moralischen Bewertung der unterschiedlichen Methoden der Geburtenregelung? Welche Vorschläge zur Vertiefung dieses Themas aus pastoraler Sicht gibt es?"

Lateinische, nicht ins Deutsche übersetzte Begriffe wie: " Zusammenleben 'ad experimentum' " (Ehe ohne Trauschein, nichteheliche Gemeinschaft) erzeugen nicht nur hohe sprachliche Distanz, sondern sind einer von vielen Indikatoren für die zugrunde liegende Moraltheologie und Konzeption des Fragebogens.

Als dieser die Öffentlichkeit erreichte, fühlten sich sehr verschiedene Zielgruppen zur Beantwortung aufgerufen. Die ersten Reaktionen der deutschen Bischöfe reichten von der Aussage, man habe genügend Möglichkeiten der Beantwortung aus eigener Einsicht, bis zu der Aufforderung, den Fragebogen im Internet zu beantworten. Theologen in ihren verschiedenen Fachgruppierungen fühlten sich ebenso aufgerufen wie zahllose Gläubige, die sich einzeln, in Gruppen und Organisationen mit dem Fragebogen beschäftigen.

Die Heterogenität der Fragen führt selbstverständlich zu einer ebenso heterogenen Beantwortung, wobei es inzwischen etliche Handreichungen (oder auch Filter) verschiedener Interessengruppen gibt, um denjenigen einen roten Faden in die Hand zu geben, die gewillt (wenn auch nicht immer aufgerufen) sind, sich zu äußern.

Spätestens nun stellt sich –aus sozialwissenschaftlicher Sicht – die Frage, wie die Antworten schließlich systematisiert und gewichtet werden, wie aussagekräftig also die Ergebnisse sein werden, die sich aus dieser Fülle von Denkweisen und Methoden ergeben, aber auch aus den Strukturen, Gruppierungen und Milieus, die den Fragebogen in nicht repräsentativer Weise und Qualität beantworten.

Zuletzt geändert am 07­.02.2014