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Veröffentlicht am 24­.05.2006

25. Mai 2006 - Kölner Stadtanzeiger

„Katholische Kirche braucht eine Art Gorbatschow“

Beim Ökumenischen Kirchentag 2003 in Berlin sorgte der katholische Theologe Gotthold Hasenhüttl für einen Eklat, weil er Protestanten die Kommunion reichte. Mit ihm sprach Harald Biskup.

KÖLNER STADT-ANZEIGER: Herr Hasenhüttl, fühlen Sie sich als heimlicher Star des Katholikentages?

GOTTHOLD HASENHÜTTL: Nein, ich fühle mich schlicht und einfach vom offiziellen Programm ausgeschlossen. Das Traurige ist, dass die Kirche Kritiker mundtot machen will. Das geht ganz wesentlich vom gastgebenden Trierer Bischof Marx aus, der mich als Priester suspendiert und mir die Lehrbefugnis entzogen hat und der jetzt bestimmt, wer auftreten darf und wer nicht.

Ist der Katholikentag ein Forum für kontroverse Diskussionen?

HASENHÜTTL: Bei all den notwendigen Debatten um Gerechtigkeit, so fürchte ich, fehlt die eigene Gewissenserforschung der Kirche.

Wie empfinden Sie angesichts der Ihnen widerfahrenen Unnachgiebigkeit das Motto „Gerechtigkeit vor Gottes Angesicht“?

HASENHÜTTL: Innerhalb der katholischen Kirche ist von Gerechtigkeit leider sehr wenig zu spüren. Das beginnt schon damit, dass der Vatikan die Europäische Menschenrechtserklärung nie unterzeichnet hat. Die Sanktionen gegen mich empfinde ich natürlich als Unrecht. Der Bischof hat absolute Macht, das ist wie in der absoluten Monarchie. Vom Kirchenrecht her ist das ein zulässiger Willkürakt.

Haben Sie der Ökumene mit Ihrem Tabubruch einen Dienst erwiesen oder die Kluft vergrößert?

HASENHÜTTL: Der Dienst bestand darin, die Kirche zu zwingen, Farbe zu bekennen, weil eine Wischiwaschi-Ökumene nicht weiterführt. Ich glaube, ich habe für ein Stück Klarheit gesorgt, weil sichtbar wurde, dass die Position der Mehrzahl der katholischen Hierarchen unhaltbar ist. Die Leidenschaft für die Ökumene, darin stimme ich Kardinal Lehmann zu, ist erschlafft.

Teilen Sie die Erwartung, dass Ihr früherer Freund Ratzinger als Papst für Überraschungen sorgen wird?

HASENHÜTTL: Eigentlich nicht, denn bei aller Wertschätzung ist er in seinen Ansichten fundamentalistisch knochenhart. Ich hoffe aber immer noch, dass ein Ruck durch die Kirche geht. Die Kirche bräuchte so eine Art Gorbatschow.

Fürchten Sie weitere Strafmaßnahmen? HASENHÜTTL: Als Letztes bliebe nur noch die Exkommunikation. In diesem Fall müsste ich mir überlegen, ob ich in der Kirche bleiben kann. Aber über einen Wechsel habe ich nie nachgedacht, weil ich mit Fleisch und Blut katholisch bin.

Zuletzt geändert am 25­.05.2006