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Veröffentlicht am 29­.05.2006

28.05.2006 - DeutschlandradioKultur

Wenig Impulse

Zum Abschluss des Katholikentags in Saarbrücken
Ein Kommentar von Herbert A. Gornik

Mit einer Open-Air-Messe ging der 96. Deutsche Katholikentag in Saarbrücken zu Ende. Sein Thema lautete: Gerechtigkeit vor Gottes Angesicht. Doch Impulse für die gesellschaftliche Diskussion und Signale für die innerkirchliche Entwicklung gingen von dem fünftägigen Treffen kaum aus.

Der Katholikentag rief und alle Regierungspolitiker kamen. Die Köhlers, Merkels, Münteferings gaben sich die Klinken in die Hand. Obwohl das Thema Gerechtigkeit nicht nur Schmeichelhaftes versprach. Anders war das vor zwei Jahren auf dem Katholikentag in Ulm. Da kam von "Rot-Grün" kaum jemand.

Der Katholikentag rief und alle Ökumeniker kamen. Die Führungsspitze der EKD mit Bischof Huber und Bischöfin Käßmann stärkte dem treuen Dialogkatholiken Zentralkomitee-Meyer und dem Bischofskonferenz-Lehmann den Rücken. Trotz Stillstand beim gemeinsamen Abendmahl, trotz römischer Misstöne beim "Richtige-Kirche-Etikett", trotz ausstehender Anerkennung vollwertiger gemeinsamer Gottesdienste.

Der Katholikentag rief und es meldeten sich noch ein paar mehr gläubige Dauerteilnehmerinnen an als vor zwei Jahren in Ulm. Also? Alles in Butter beim Vorfahr'n von Luther? Wie eine Band in Saarbrücken reimte.

Ja und nein. Was Gerechtigkeit sein könnte im privaten, alltäglichen wie im wirtschaftlichen und politischen Leben hat der Katholikentag durchgespielt. Gerechtigkeit vor Gottes Angesicht ist eine Gerechtigkeit, die den eigenen, persönlichen Vorteil nicht mit dem Nachteil des anderen erkauft. Wer sein Geld vermehrt, indem er anderen die Arbeit wegnimmt und billigend in Kauf nimmt, dass sie nie wieder neue Arbeit finden, der kann sich nie und nimmer auf die katholische Soziallehre berufen. Das Zentralkomitee der Deutschen Katholiken hat den Begriff Gerechtigkeit wieder hervorgeholt und von der Patina des Vergessens befreit. Denn dieser Begriff "Gerechtigkeit als vornehmste Regel des menschlichen Zusammenlebens" war uns abhanden gekommen wie ein Schirm, ein Hut, eine Sonnenbrille. Früher konnten wir gar nicht ohne auskommen, dann irgendwann, irgendwie wurden sie vermisst, und dann irgendwie, irgendwann haben wir uns an die Abwesenheit gewöhnt - unbehütet, unbeschirmt, ungeschützt.

Die Ungerechtigkeit benannt zu haben - das ist nicht wenig, und dafür ist dem deutschen Katholikentag zu danken. Ein Schelm, der erwartet, dass die Christen nun einen konkreten Maßnahmenkatalog vorlegen. In Saarbrücken fand keine wirtschaftspolitische Tagung statt, kein Programmparteitag. Das ist auch nicht Aufgabe von Christentreffen, wenn es um den biblischen Geist der Gerechtigkeit geht. Katholiken- und Kirchentage sollen das Gewissen schärfen, verlorene Werte aktivieren und Sprachloses zur Sprache bringen. Das war die Aufgabe. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Das umzusetzen, steht nun an, nach dem Katholikentag ist vor dem Alltag. Wem das nicht konkret genug ist, der möge parallelisieren, was die Diskussionen in Saarbrücken nahe legen: Im Neuen Testament steht der provozierende Satz: "Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass ein Reicher in den Himmel kommt." Vor dem Hintergrund der aktualisierten katholischen Soziallehre liest sich das so: Wer um des Reichtums der Wenigen die Arbeitslosigkeit der vielen betreibt, kann sich nicht Christ nennen.

Aber: So richtig das vielleicht ist, so kritisch das Potenzial ist, so zahm, so lahm kamen viele Diskussionen daher. Eher intellektuell schmal als theologisch waghalsig; eher vergangenen familiären Sozialmilieus hinterher trauernd als der neuen Single- und Patchwork-Situation Impulse abzugewinnen. Anders gesagt: Was sein muss, das Pflichtprogramm, arbeiten die Veranstaltungen gut ab. Aber was auch sein könnte, die kreative Neubesinnung, kommt ein wenig zu kurz.

Man sieht bisweilen vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr. Wie beim großen Bruder Evangelischen Kirchentag. Man kann auf dem Katholikentag vor lauter freundlicher Differenzierung Ross und Reiter nicht mehr erkennen. Wenn zum Beispiel der gastgebende Bischof Reinhard Marx, bisweilen ein kritischer Mundwerker wie der schreibende Namensvetter, wenn Bischof Marx betont, es müsse verhindert werden, dass ein Kapitalismus im Lande entstehe. Dann weiß man nicht, ob man lachen oder weinen soll. Als wenn es den Kapitalismus nicht schon längst im Lande gäbe und er sich wie Mehltau über den Arbeitsmarkt gelegt hätte. Dem Katholizismus scheint das konkrete Feind- und allerdings auch Freund-Bild abhanden gekommen zu sein. Auch Freundbild. Denn der ökumenische Prozess verdient den Namen nicht mehr. Auch der Glaube daran braucht Zeichen und konkrete Schritte. Stattdessen wird das Fußvolk reglementiert, vertröstet und in Folge müder und lustloser. Ein Gespensterbild scheint am Horizont auf: Immer mehr Christen, die sagen: Es reicht, es geht zu langsam, es ist zu langweilig. Eine dritte Konfession steht am Horizont - Christen ohne Kirche. Christen, die sich nicht mehr aktiv beteiligen am Gemeindeleben, die Christen bleiben, aber eben neben dem Karren herlaufen, anstatt ihn zu ziehen. Ist das nicht überzogen, gerade nach dem fröhlich feiernden Katholikentag? Wer hat dieses Gespensterbild gemalt? Nein, das war kein Kritiker aus der "Kirche von unten"; kein außen stehender glaubensloser Journalist, kein akademischer Planspieler. Es war der deutsche Chef selbst. Kardinal Karl Lehmann, Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, auf dem Katholikentag. Christen ohne Kirche. Die dritte Konfession.
Mag sein, dass das nicht gerecht ist. Aber vielleicht realitätsgerecht und sicher bedrohlich.

Zuletzt geändert am 29­.05.2006