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Veröffentlicht am 29­.05.2006

29. Mai 2006 - Der Tagesspiegel

Mehr Politik, weniger Religion

Beim 96. Deutschen Katholikentag liegt der Schwerpunkt auf dem Thema soziale Gerechtigkeit

Von Volker Hildisch, Saarbrücken

Mit einem Open-Air-Gottesdienst, an dem 20 000 Menschen teilnahmen, ist am Sonntag in Saarbrücken der 96. Deutsche Katholikentag zu Ende gegangen. Sowohl die Laienorganisation, das Zentralkomitee der Deutschen Katholiken (ZDK), als auch die Bischöfe machten das Thema Gerechtigkeit als ein hochaktuelles politisches Betätigungsfeld aus, in das sich die Kirche verstärkt einbringen müsse. Von der katholischen Basis gab es Forderungen zu mehr innerkirchlicher Demokratie. Gemessen an früheren Katholiken- oder evangelischen Kirchentagen war die Zahl von weniger als 40 000 Besuchern in Saarbrücken eher bescheiden.

Lebendige Spiritualität könne gesellschaftsverändernde Kraft haben, meinte der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Karl Lehmann. Der Trierer Bischof Reinhard Marx sprach von einem Signal der Erneuerung für die katholische Soziallehre. Und der Präsident des ZDK, Hans Joachim Meyer, zog die Bilanz: „Wir haben gezeigt, wie dringlich der Einsatz für mehr Gerechtigkeit ist.“ Die Repräsentanten der Amtskirche standen offenbar unter dem Eindruck vieler Diskussionen auf dem Katholikentag, in denen es um die Themen Massenarbeitslosigkeit, Hartz IV und Integration ging. Die hohe Präsenz von politischen Funktionsträgern, vom Bundespräsidenten über die Regierungschefs aus Deutschland, Österreich, Luxemburg und Kroatien tat ein Übriges, um die politischen Botschaften stärker in die Medien zu transportieren als die religiösen.

Wurde vor Beginn des Katholikentages noch spekuliert, wie stark der Besuch des deutschen Papstes in Polen dem Katholikentag schaden würde, war zum Abschluss davon nichts mehr zu hören. Mit dem Motto „Gerechtigkeit vor Gottes Angesicht“ hatten die Organisatoren zumindest einen medialen Volltreffer gelandet, der ein großes Echo darüber auslöste, ob die Kapitalrendite das bestimmende Maß in der Gesellschaft sein darf. Erstmals wurde in Saarbrücken auf einem Katholikentag auch die europäische Karte gespielt. Es gab Veranstaltungen im benachbarten Frankreich, und aus Frankreich und Luxemburg kamen gleichzeitig viele Gäste, um über Themen wie Frieden oder den Wert einer Verfassung für Europa zu diskutieren.

Das ZDK hatte mit einem Memorandum zur Mitwirkung von Laien bei der Ernennung von Bischöfen einen Stein zum Thema innerkirchliche Demokratie ins Rollen gebracht. Da dies in der Regel der Papst alleine entscheidet, wird dem Vorstoß wenig Aussicht auf Erfolg gegeben. Doch er zielt wohl vor allem auf die Vorgänge im Bistum Regensburg, wo Bischof Manfred Müller den von Laien gewählten Diözesanrat und die Dekanatsräte aufgelöst hatte. Das ZDK-Papier wurde erst einmal vertagt.

Ein weiteres innerkirchliches Debattenfeld war die Ökumene. Am letzten Abend des Katholikentages hatte die Vereinigung „Wir sind Kirche“ und die „Initiative Kirche von unten“ zu einer Veranstaltung außerhalb des offiziellen Kirchentagprogramms in das Saarbrücker Staatstheater zu einer Diskussion mit dem suspendierten Hochschullehrer und Priester Gotthold Hasenhüttl eingeladen. Das Theater musste wegen Überfüllung teilweise geschlossen werden, und Hasenhüttl bekam für seine massiven Vorwürfe über die Autokratie der deutschen Bischöfe viel Applaus. Auf dem ersten ökumenischen Kirchentag 2003 in Berlin hatte er das Abendmahl für evangelische und katholische Christen angeboten. Nach Auseinandersetzungen wurde er daraufhin vom Priesteramt suspendiert und ihm die kirchliche Lehrerlaubnis entzogen. Die evangelische Hochschullehrerin Johanna Haberer äußerte in dieser Veranstaltung den Verdacht, dass die katholische Kirche überhaupt nicht mehr an einer Versöhnung mit der evangelischen interessiert sei. Theologisch seien alle Argumente ausgetauscht.

Zuletzt geändert am 29­.05.2006