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Veröffentlicht am 12­.03.2021

1/2021 - imprimatur

Dienst an der Weltkirche

Susanne Ludewig, Christian Weisner


„Man kann die Lehre nicht bewahren, ohne ihre Entwicklung zuzulassen. Man
kann sie auch nicht an eine enge oder unveränderte Auslegung binden, ohne den
Heiligen Geist und sein Handeln zu demütigen.“ So sagte es Papst Franziskus im
Oktober 2017 anlässlich der Gedenkfeier zum 25. Jahrestag der Veröffentlichung
des Katechismus.
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Langer Weg zum Synodalen Weg
Als 1995 nach den Vorwürfen sexualisierter Gewalt gegen den Wiener Kardinal Hans Herman
Groër das Kirchen-VolksBegehren „Wir sind Kirche“ zunächst in Österreich und dann in
Deutschland gestartet wurde, untersagten noch 16 von 27 deutschen Bischöfen, Unterschrif-
ten dafür zu sammeln. Jetzt entsprechen die Synodalforen des „Synodalen Weges“ genau den
ersten vier Punkten des KirchenVolksBegehrens: „Aufbau einer geschwisterlichen Kirche“,
„Volle Gleichberechtigung der Frauen“, „Freie Wahl zwischen zölibatärer und nicht-
zölibatärer Lebensform“ und „Positive Bewertung der Sexualität“. Der fünfte Punkt „Frohbot-
schaft statt Drohbotschaft“ kann durchaus als Entsprechung der Evangelisierung gedeutet
werden, die Papst Franziskus auch beim „Synodalen Weg“ immer wieder anmahnt. Denn so-
lange nicht die Themen des Synodalen Weges wirklich bearbeitet werden, werden alle noch so
gut gemeinten Bemühungen der Evangelisierung ins Leere laufen.
Nach der Aufdeckung des Missbrauchs am Berliner Canisius-Kolleg im Januar 2010 hatten
die Bischöfe es noch alleine mit einem von ihnen kontrollierten „Dialogprozess“ versucht, der
aber sehr schnell zu einem unverbindlichen „Gesprächsprozess“ herabgestuft wurde und im
Sande verlief. Erst die erschütternden Ergebnisse der MHG-Studie im Herbst 2018 und die
Proteste vor allem der Frauen bei der Bischofskonferenz im Frühjahr 2019 in Lingen führten
zur Einsicht, dass die Bischöfe auf die Zusammenarbeit mit dem Zentralkomitee der deut-
schen Katholiken (ZdK) und mit Expert*innen „von außen" angewiesen sind.
Der Vatikan hat sich in dieser kirchenpolitischen Gemengelage nicht als hilfreich erwiesen.
Der unerwartete Brief von Papst Franziskus „An das pilgernde Volk Gottes in Deutschland“
und andere Stimmen aus dem Vatikan lösten 2019 ein sehr unterschiedliches Echo aus. Aber
Franziskus spricht von einer „Zeitenwende“, „die neue und alte Fragen aufwirft, angesichts
derer eine Auseinandersetzung berechtigt und notwendig ist“. Er ermuntert zu einer „freimü-
tigen Antwort auf die gegenwärtige Situation“ und lobt, dass die Kirche in Deutschland „der
Weltkirche große heilige Männer und Frauen, große Theologen und Theologinnen sowie geist-
liche Hirten und Laien geschenkt“ habe. Franziskus spricht von einer „Synodalität von unten
nach oben“, erst danach komme die „Synodalität von oben nach unten“.
Einüben in Geschwisterlichkeit
Papst Franziskus, der sich unter Bezug auf Paul VI. und das Zweite Vatikanische Konzil ve-
hement für eine synodale Kirche auf allen Ebenen ausspricht, müsste daran seine Freude ha-
ben: Auf der ersten Vollversammlung des Synodalen Weges wurde so freimütig debattiert, so
respektvoll zugehört wie lange nicht in einem offiziellen katholischen Gremium. Der Verzicht
auf alle Machtsymbolik prägte die erste Synodalversammlung, schien aber einige doch zu irri-
tieren.
Dieser Synodale Weg setzt einen grundlegenden Mentalitäts-, wenn nicht gar Paradigmen-
wechsel voraus, ganz im Sinne des bischöflichen Wortes „Gemeinsam Kirche sein“ (2015).
Denn auch formale Strukturen, gerade in einer so auf Tradition und Symbolik ausgerichteten
Kirche, sind Teil der kirchlichen Botschaft. Und alle Versuche, den Glauben und die Evange-
lisierung neu in den Mittelpunkt zu stellen, können nur vor der Kulisse veränderter Struktu-
ren Früchte tragen. Am Rande der ersten Synodalversammlung und der fünf Regionenkonfe-
renzen waren Reformgruppen, Frauenverbände und Maria 2.0 sehr präsent als Hoffnungs-

trägerinnen einer gewandelten Kirche. Zumindest einige Bischöfe brachten zum Ausdruck,
dass die Kirchenleitung den Kontakt zu den Frauen nicht ganz verlieren will. Aber nur
freundlich miteinander zu reden wird nicht mehr ausreichen.
Dynamik der Widerstände
Die Corona-Krise hat bestehende Entfremdungsprozesse zwischen Kirchenleitung und Kir-
chenvolk verschärft und beschleunigt. Nach der völlig unerwarteten und äußerst irritieren-
den Instruktion der Klerus-Kongregation im Juli 2020 äußerten manche gar, nun habe sich
der Synodale Weg ganz erledigt. Der ohne jede Konsultation mit den Kirchen vor Ort in Rom
erstellte lebens- und glaubensfremde Text tut so, als hätten wir in Deutschland noch nie über
missionarische Pfarreien nachgedacht. Hat die Klerus-Kongregation die wissenschaftlichen
und pastoralen Debatten der letzten 50 Jahre nicht zur Kenntnis genommen? Doch weder die
Corona-Krise noch die jüngste Instruktion der Klerus-Kongregation darf den mühsam begon-
nenen, dringend notwendigen Reformprozess abbremsen oder gar zum Stillstand bringen, ap-
pellierte ein Offener Brief der KirchenVolksBewegung, der auf viel Zustimmung stieß. Es
brauche ein breites Bündnis der Reformkräfte, auch in der Bischofskonferenz.
Natürlich kann die römisch-katholische Kirche nicht einfach nach Belieben ihre Lehre än-
dern. Aber die vier Foren des Synodalen Wegs behandeln Themen, über die seit dem Zweiten
Vatikanischen Konzil (1962-1965) debattiert wird. Doch das Kirchenvolk wurde von Jahr-
zehnt zu Jahrzehnt vertröstet. Kardinal Müller redet von Rom aus der Kirche in Deutschland
herein: „Es ist kaum anzunehmen, dass ein Gremium wie der Synodale Weg in Deutschland
für sich den Heiligen Geist reklamieren könnte“, so in der „Tagespost“ zitiert.
Die Warnungen einzelner Bischöfe vor einer deutschen Nationalkirche, einer Kirchenspal-
tung oder einer theologisch niveaulosen Debatte bauen eine falsche und höchst ungute Droh-
kulisse auf. Höchst ungut ist zudem der Versuch medialer Einflussnahme durch konservativ-
traditionalistische Kräfte, auch aus dem Ausland.
Dienst an der Weltkirche
International findet der Synodale Weg schon jetzt große Beachtung. Weltweit werden Hoff-
nungen darauf gesetzt, dass auf die Krisen der Gegenwart pastoral verantwortliche und theo-
logisch fundierte Antworten gefunden werden. Wir brauchen eine Weiterentwicklung der
kirchlichen Lehre. Die Vorschläge für zeitgemäße Dienste und Strukturen sollten von der
großen Mehrheit aller Teilnehmenden, auch der Bischöfe, mitgetragen werden. Nach dem ak-
tuellen Kirchenrecht muss die Umsetzung ohnehin durch jeden einzelnen Bischof für sein
Bistum erfolgen. Und viele der grundsätzlichen Fragen wie der Pflichtzölibat für Priester oder
die Weihe von Frauen sind und bleiben dem Papst oder gar einem Konzil vorbehalten.
Der Synodale Weg in Deutschland will und kann auch mit noch so guten Beratungen und Be-
schlüssen die Weltkirche nicht direkt verändern. Doch die durch die Missbrauchsskandale of-
fenbar gewordene Kirchenleitungskrise und die Verweigerung von zeitgemäßen Reformen gibt
es nicht nur in Deutschland. Weltweit, das zeigen die Missbrauchsskandale, befindet sich die
römisch-katholische Kirche in einer existenziellen Krise. Wenn es aber hier in Deutschland
gelingen sollte, eine theologische Auseinandersetzung auf der Höhe der Zeit zu führen und
tragfähige Lösungsvorschläge für die aufgestauten Reformen zu finden, dann werden diese
auch vom Vatikan nicht mehr ignoriert werden können. Dies wäre dann kein deutscher Son-
derweg, sondern ein Dienst an der Weltkirche. Ohne vorzeigbare Ergebnisse und ohne deren
Anerkennung durch Rom jedoch wird die katholische Kirche weiter an Glaubwürdigkeit ver-
lieren und es werden selbst die gehen, die sich jetzt noch engagieren.
Gretchenfrage Frauenfrage
Das katholische Amtssystem ist in einer tiefen Krise und die Geschlechtergerechtigkeit ist ein
Schlüsselproblem. Nicht die Weihe von Frauen muss begründet werden, sondern deren Aus-
schluss! Die offene, auch kontroverse Diskussion in der Arbeitsgruppe „Frauen“ lässt zumin-
dest hoffen. Viele Reformen wurden dort aufgelistet, die auch ohne Änderungen im Kirchen-

recht schon jetzt umgesetzt werden könnten. Am Ende könnte als erster Schritt in der Weihe-
frage die möglichst einstimmige Empfehlung des Ständigen Diakonats der Frau in einer syno-
dal-diakonischen Kirche mit neu gestalteten Ämtern stehen – ähnlich dem Votum der Würz-
burger Synode vor 45 Jahren.
Verbandsfrauen, Ordensfrauen und Initiativen schweigen nicht mehr angesichts der bislang
nur verbalen Beteuerungen einer gleichen Würde der Frau und ihrer Wertschätzung. Im Zuge
der eskalierenden Krise in der katholischen Kirche sind sie gemeinsam fest entschlossen,
Schluss zu machen mit Missbrauch, Klerikalismus und einer patriarchal verfassten Kirche,
die Frauen keinen gleichberechtigten und selbstbestimmten Platz einräumt. Einen Platz, den
ihnen auch die neuere Bibel- und Kirchengeschichtsforschung zugesteht. Die Zeichen der Zeit
müssen erkannt werden und ihren Niederschlag in der Lehre finden. Die Lehre der Kirche ist
keine Ansammlung von überlieferten Glaubensformen, sie muss vielmehr das Ur-Vertrauen,
dass Gott auf unserer Seite steht, in unsere Zeit hinein neu sprechen, damit Kirche eine Zu-
kunft hat.
Die Zeit drängt
Viele Chancen wurden verpasst, manche sehen den Synodalen Weg als „letzte Chance“. Das
Papier „Dialog statt Dialogverweigerung“ (1992) des ZdK, in dem bereits der Abschied vom
Klerikalismus, Patriarchat und Zentralismus angemahnt wurde, das KirchenVolksBegehren
Wir sind Kirche 1995 mit 1,8 Millionen Unterschriften, der unverbindliche „Dialog-
/Gesprächsprozess“ (2011–2015) der deutschen Bischöfe sowie viele andere Reformprozesse
und –initiativen der vergangenen Jahrzehnte – sie alle blieben ohne kirchenamtliche Folgen.
Dem Vorschlag der „Gemeinsamen Konferenz“ für ein „Zukunftsforum“ erteilten die Bischöfe
noch 2008 eine Absage. Reformgruppen wie „Wir sind Kirche“ wurden weder beim Ge-
sprächsprozess 2011–2015 noch beim Synodalen Weg mit einbezogen.
Der Synodale Weg ist ein steiniger Weg und muss es sein. Erst wenn nach einer fundierten
Debatte wirkliche Reue, Umkehr und Neuorientierung erkennbar und auch konkrete Verän-
derungen umgesetzt werden, verdient es die verfasste Kirche, dass die Menschen ihr wieder
Glaubwürdigkeit zuerkennen. Dazu gibt es keine Alternative. Ein grundlegender Wandel in
Lehre und Struktur, in Theologie und Pastoral ist dringend notwendig, wenn das Christen-
tum auch zukünftig noch relevant für die Menschen sein will.
Die Zeit drängt. Das Zeitfenster, in dem die Kirche ihre Glaubwürdigkeit wiedererlangen
kann, schließt sich. Nur gemeinsam als Kirchenvolk und Kirchenleitung können wir die Zu-
kunft der Kirche so gestalten, dass sie vielen wieder Heimat werden kann: eine Kirche der
Glaubenden, der Hoffenden und der Liebenden, die die Themen der Menschen heute aufgreift,
nämlich weltweite Solidarität und Bewahrung der Schöpfung. Suchen wir gemeinsam nach
neuen Wegen, die wir im Vertrauen auf die Heilige Geistkraft gehen können; nach Wegen, die
viele mitgehen können, die an der realen Kirche verzweifelt sind, aber den Glauben an die
frohe Botschaft vom Reich Gottes nicht aufgegeben haben; nach Wegen, die zu gehen auch Ju-
gendliche und junge Erwachsene begeistern kann. Denken wir das Unmögliche: Wer keine
Utopie hat, ist kein Realist. Helfen wir hier in Deutschland Papst Franziskus, der eine syno-
dale Kirche auf allen Ebenen will!
All diejenigen, die immer noch grundsätzlich an der Notwendigkeit des Synodalen Weges
zweifeln, sollten sich die tiefe Vertrauens- und Glaubwürdigkeitskrise bewusstmachen, die die
jahrzehntelang praktizierte und vertuschte sexualisierte Gewalt an Kindern, Jugendlichen,
Seminaristen, Frauen und sogar Ordensfrauen verursacht hat. Prof. Thomas Söding ist zuzu-
stimmen, der bei der ersten Synodalversammlung sagte: „Wir werden in der Synodalversamm-
lung nicht alle Probleme der katholischen Kirche lösen. Aber wir müssen dort anpacken, wo
man sich die Finger verbrennen kann.“

 
Susanne Ludewig, *1965, Romanistin, Pflegedienstleiterin in der Altenpflege, Wir sind
Kirche-Bundesteam, Kassel
Christian Weisner, *1951, Stadtplaner i.R., Mitinitiator des KirchenVolksBegehrens
1995 in Deutschland, Wir sind Kirche-Bundesteam, Dachau



http://www.imprimatur-trier.de/2021/Imprimatur-2021-01_6.pdf
 
 
 
 
 

Zuletzt geändert am 11­.01.2023