| |
Veröffentlicht am 26­.06.2020

26.6.2020 - KNA aktuell

Aderlass bei Kirchen - Mehr als 540.000 Menschen treten aus

Von Christoph Arens (KNA)

Bonn (KNA) Die beiden groÿen Kirchen in Deutschland haben
im vergangenen Jahr erstmals insgesamt über 500.000
Mitglieder durch Austritt verloren. Mehr als 540.000 Personen
kehrten ihnen den Rücken, teilten die Deutsche Bischofskonferenz
und die Evangelische Kirche in Deutschland
(EKD) am Freitag in Bonn und Hannover mit. Das ist ein
historischer Höchststand.

In den 27 katholischen Bistümern verlieÿen 272.771 Menschen
ihre Kirche - so viele wie nie zuvor. Insgesamt gehörten
2019 noch 22,6 Millionen Menschen der katholischen Kirche
an. Damit machen Katholiken 27,2 Prozent der Gesamtbev
ölkerung aus.

Den evangelischen Kirchen kehrten etwa 270.000 Menschen
den Rücken - rund 22 Prozent mehr als im Vorjahr.
Damit gehörten 20,7 Millionen Menschen einer der 20 Gliedkirchen
der EKD an. Das sind knapp 25 Prozent der Bevölkerung.

Der Rückgang der Mitgliederzahlen hat neben den Austritten
auch demograsche Gründe: Die Zahl der kirchlichen
Bestattungen lag bei beiden Kirchen deutlich über der Zahl
der Taufen, Eintritte und Wiederaufnahmen. Beide Kirchen
verloren deshalb 2019 jeweils 400.000 Mitglieder.

Ob der Missbrauchsskandal eine zentrale Ursache der neuen
Austrittswelle ist, liegt nahe, bleibt aber ungewiss, weil die
evangelische Kirche gleich hohe Austrittszahlen verzeichnet,
jedoch in der Öentlichkeit weit weniger mit Missbrauchsfällen
in Verbindung gebracht wird.

Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Georg
Bätzing, zeigte sich besorgt: An den heute vorgelegten statistischen
Zahlen 2019 gibt es nichts schönzureden, erklärte
er: Die Kirchenaustrittszahl zeigt, dass die Entfremdung
zwischen Kirchenmitgliedern und einem Glaubensleben in der
kirchlichen Gemeinschaft noch stärker geworden ist.

Auch die rückläugen Werte beim Empfang der Sakramente
zeigten eine Erosion persönlicher Kirchenbindung.
Die Kirche müsse sich fragen, ob sie noch die richtige Sprache
spreche, um heutige Menschen zu erreichen. Auch müsse sie
nach einem erheblichen Verlust von Glaubwürdigkeit durch
Transparenz und Ehrlichkeit Vertrauen zurückgewinnen.

Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland
(EKD), Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm, erklärte,
die Kirche werde nicht tatenlos bleiben. In mehreren Zukunftsprozessen
wolle sie die Basis dafür stärken, dass sich
Sinn und Bedeutung der Kirche für den Einzelnen und die
Gesellschaft erschlieÿt. Die Corona-Krise habe gezeigt, dass
Seelsorge, Orientierung und Solidarität für jeden einzelnen,
aber auch für die Gesellschaft wichtiger denn je seien.

Der Mainzer katholische Bischof Peter Kohlgraf nannte
die Entwicklung bedrückend: Die gefühlte Selbstverständlichkeit,
mit der wir uns als Christen in der Gesellschaft verankert
wussten, verschwindet.

Münsters Bischof Felix Genn und der Essener Generalvikar
Klaus Pfeer nannten als eine Ursache den Missbrauchsskandal.
Auch stelle sich die Kirche angesichts der vielen Diskussionen
um innerkirchliche Reformen sehr zerrissen dar, so
Genn.

Die Vizepräsidentin des Zentralkomitees der deutschen
Katholiken, Karin Kortmann, sprach auf dem Kölner Portal
domradio.de von dramatischen Zahlen. Die katholische Kirche
verliere ihre Mitglieder verstärkt in den Bundesländern,
die sehr katholisch geprägt sind. Der Vertrauensverlust, der
durch den sexuellen Missbrauch vor Jahren schon festgestellt
worden ist, zieht sich weiter, weil man dieser Kirche immer
noch nicht zutraut, dass sie es gut regelt und die Konsequenzen
auch erkennbar sind, sagte sie.

Die Initiative Wir sind Kirche bezeichnete die Zahlen als
erschütternde Bilanz des jahrzehntelangen Herumlavierens
der Kirchenleitungen. Die immer wieder wechselnden und
von den Kirchenleitungen verordneten sogenannten Pastoralkonzepte
gehen an den theologischen Erkenntnissen.

Zuletzt geändert am 29­.06.2020