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Veröffentlicht am 29­.06.2019

29.6.2019 - Frankfurter Allgemeine Zeitung

Papst Franziskus warnt deutsche Katholiken vor Alleingängen

Brief aus dem Vatikan

In seinem Brief an die Katholiken in Deutschland geht der Papst auf die schwere Krise der Kirche ein. Seinen Mahnungen stoßen bei Bischöfen und Laien auf große Zustimmung.

Den Papstbrief zum „synodalen Weg“ sehen Bischöfe und Laien in Deutschland überwiegend als Ermutigung und Wertschätzung. Aus Regensburg hieß es, dass es nach dem Schreiben kein „Weiter so“ geben könne. Mit dem am Samstag veröffentlichten Brief schaltete sich Franziskus in die Reformdebatte der katholischen Kirche in Deutschland ein: Er lobt Engagement und Reformanstrengungen der Katholiken. Zugleich mahnt er die Einheit mit der Weltkirche an. Leitkriterium der Erneuerung müsse die Evangelisierung sein.

„Wir danken dem Heiligen Vater für seine orientierenden und ermutigenden Worte und sehen uns als Bischöfe und Laienvertreter eingeladen, den angestoßenen Prozess in diesem Sinn weiter zu gehen“, erklärten der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, und der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Thomas Sternberg. Es sei das zentrale Anliegen des Kirchenoberhaupts, die Kirche „weiterhin als eine starke geistliche und pastorale Kraft zu verstehen, die das Evangelium in die Gesellschaft hinein vermittelt und glaubwürdig verkündet“.

Der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki betonte, dass der Papst nichts beschönige und auch die Gläubigen ermuntere, „die Augen vor der Realität nicht zu verschließen“. Die Krise der Kirche sei in erster Linie eine Glaubenskrise. Besonders beeindruckt habe ihn in dem Brief der Hinweis auf den „Primat der Evangelisierung“. Es müsse eine „missionarische Kirche“ sein.

Neben aller Ermutigung sehen Osnabrücks Bischof Franz-Josef Bode und die Vorsitzende des Katholikenrats im Bistum, Katharina Abeln, auch eine Herausforderung: „Es fordert uns aber auch heraus, den großen Horizont der Evangelisierung und des Lebens mit der ganzen Kirche nicht aus den Augen zu verlieren. So muss unser Weg des Dialoges für alle Ebenen der Kirche offen sein und uns nicht auf die Ebene in unserem Land oder Bistum beschränken.“

Viel Lob der Bischöfe für Papst-Brief

Der Rottenburg-Stuttgarter Bischof Gebhard Fürst erklärte, der Papst bestärke darin, die „aktuellen Herausforderungen“ der Kirche anzugehen. „Machen wir uns auf der Basis des Evangeliums gemeinsam auf den synodalen Weg, ohne dabei die Einheit mit der Weltkirche aus dem Blick zu verlieren“, so Fürst.

Der Würzburger Bischof Franz Jung sieht auch eine „Mahnung, nicht den Selbsterhalt an die erste Stelle zu setzen, sondern die Treue zum Evangelium und zu seiner Dynamik“. Der Weg der Erneuerung verlange Ausdauer und Geduld.

Der Regensburger Generalvikar Michael Fuchs erklärte mit Blick auf den „synodalen Prozess“, dass es nach dem Brief „sicher“ kein „Weiter so“ geben könne. „Eigentlich drängt der Brief auf eine komplette Neufassung eines solchen Prozesses, der auf Evangelisierung und geistliche Erneuerung ausgerichtet sein soll und auf ’die Menschen am Rande’; einen Prozess, der nicht ’macht’ oder ’anpasst’, sondern auf Gott setzt, der erneuern und bekehren kann und uns die Freude des Evangeliums schenkt; und einen Prozess, der in allen Belangen mit der Gemeinschaft der katholischen Kirche geht, die Zeit und Raum umfasst.“

Anlässlich der Veröffentlichung des Briefes sieht die Gruppe „Wir sind Kirche“ den „synodalen Weg“ als „einzige und vielleicht letzte Möglichkeit, die existenzielle Kirchenkrise in Deutschland zu überwinden“. Der Theologe Thomas Söding sagte dem Portal „Kirche+Leben“, der Brief sei „nicht von Verboten bestimmt, sondern positiv orientiert“.

Papst Franziskus hatte die Katholiken in Deutschland bei der Bewältigung der Kirchen-Krise vor voreiligen Schritten und Alleingängen gewarnt. Die beste Antwort auf die „vielen Probleme und Mängel“ liege nicht in einem „Reorganisieren der Dinge, in Veränderungen und in einem „Zurechtflicken““, schrieb das Katholikenoberhaupt in einem an das „pilgernde Volk Gottes in Deutschland“ adressierten Brief, der am Samstag veröffentlicht wurde. Der Argentinier betonte, die Evangelisierung müsse immer „unser Leitkriterium schlechthin“ sein.

Die Kirche steckt etwa angesichts ständig sinkender Mitgliederzahlen und des Missbrauchsskandals hierzulande in der Krise. Die katholischen Bischöfe in Deutschland hatten im März einen Reformprozess angekündigt, den sie „synodalen Weg“ nennen. Gesprochen werden soll in diesem Zuge unter anderem über den Umgang der Kirche mit Macht, die umstrittene Ehelosigkeit von Priestern (Zölibat) und die Weiterentwicklung der katholischen Sexualmoral. Öffentlich werden zudem Forderungen nach einer breiteren Beteiligung von Frauen laut.

Franziskus beklagt „Verfall des Glaubens“

Der Papst beklagte in seinem Brief eine „zunehmende Erosion und den Verfall des Glaubens“ in Deutschland. Im Osten sei ein Großteil der Bevölkerung schon gar nicht mehr getauft, aber auch in einstigen katholischen Hochburgen sei etwa der Gottesdienstbesuch dramatisch zurückgegangen.

„Das gegenwärtige Bild der Lage erlaubt uns nicht, den Blick dafür zu verlieren, dass unsere Sendung sich nicht an Prognosen, Berechnungen oder ermutigenden oder entmutigenden Umfragen festmacht“, gab der Papst zu bedenken. „Deshalb kann der bevorstehende Wandlungsprozess nicht ausschließlich reagierend auf äußere Fakten und Notwendigkeiten antworten.“ Man dürfe sich nicht „zu sehr in Fragen verbeißen, die begrenzte Sondersituationen betreffen“.

Auch warnte der Argentinier vor Alleingängen: „Sooft eine kirchliche Gemeinschaft versucht hat, alleine aus ihren Problemen herauszukommen, (...) endete das darin, die Übel, die man überwinden wollte, noch zu vermehren und aufrechtzuerhalten.“

Der Münsteraner Kirchenrechtler Thomas Schüller sieht in dem Brief von Franziskus einerseits eine Begrüßung des synodalen Prozesses. Gleichzeitig komme aber auch eine gewisse Sorge zum Ausdruck, „die Sache könnte inhaltlich aus dem Ruder laufen“, sagte Schüller der dpa. „Dennoch verbietet Franziskus kein Thema, über das die deutschen Bischöfe und das ZdK bisher bekundet haben, reden zu wollen.“

ZdK-Präsident Sternberg hob hervor, dass der Papst seinen Brief nicht nur an die Bischöfe gerichtet habe, sondern an alle Katholiken in Deutschland. „Das hat es so noch nicht gegeben. Er schreibt ganz bewusst an alle Gläubigen und ermuntert sie, dieses Verfahren zu machen.“

Zuletzt geändert am 30­.06.2019