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Veröffentlicht am 17­.09.2012

17.9.2012 - Süddeutsche Zeitung

Kirche geht auf geschiedene Katholiken zu

Erleichterungen für Wiederverheiratete

Von Matthias Drobinski

Wenn Katholiken nach einer gescheiterten Ehe noch einmal heiraten, dürfen sie keine Sakramente mehr empfangen und müssen aus dem kirchlichen Dienst entlassen werden. Nun sollen Erleichterungen für Wiederverheiratete im katholischen Arbeitsrecht geprüft werden.

In die Frage, wie die katholische Kirche in Deutschland mit Geschiedenen umgeht, die wieder heiraten, kommt Bewegung. Die Bischöfe werden ein Gremium einsetzen, das die kirchliche Grundordnung überarbeiten soll, sagte Robert Zollitsch, der Freiburger Erzbischof und Vorsitzende der deutschen Bischofskonferenz, zum Abschluss eines Dialogtreffens mit 300 Vertretern aus den Bistümern, Verbänden, Priester- und Ordensgemeinschaften.

Beim Arbeitsrecht sehe er "Spielraum", erklärte Zollitsch, es müsse nicht so eng mit Rom abgesprochen werden. Katholiken, die nach der Scheidung wieder heiraten, sind vom Empfang der Sakramente ausgeschlossen. Sie müssen auch aus dem kirchlichen Dienst entlassen werden, da sie nach katholischer Vorstellung in andauernder Sünde leben.

Auf dem zweitägigen Treffen in Hannover, das am Samstag endete, zeigte sich, wie breit die Kritik daran auch innerhalb der katholischen Kirche ist. Obwohl sich das Forum eigentlich mit der politischen und sozialen Verantwortung der Kirche in Staat und Gesellschaft beschäftigen sollte, kam aus fast allen Arbeitsgruppen der Wunsch, dass die Kirche ihre als unbarmherzig empfundenen Regelungen ändern solle. Mehrere Caritas-Direktoren erklärten, es gebe hier dringenden Handlungsbedarf. Der Hamburger Weihbischof Hans-Jochen Jaschke sagte, ihm sei "wichtig, dass wir unsere Regeln im Arbeitsrecht anpassen und nicht so brutal reagieren."

Bereits am Freitag hatte sich der Osnabrücker Bischof Franz-Josef Bode für eine "Pastoral der Nähe" zu Menschen aus gescheiterten Ehen ausgesprochen; sein Essener Amtskollege Franz-Josef Overbeck hatte dafür plädiert, dass die katholische Kirche stärker als bisher die Menschen in ihren verschiedenen Lebenssituationen wahrnehme - auch homosexuelle Lebensgemeinschaften.

Zahlreiche Delegierte sprachen sich auch für eine Versöhnung der Bischöfe mit dem Verein "Donum Vitae" aus, der die Schwangerschaftskonfliktberatung weiterführt, aus der die Bischöfe auf Geheiß des Papstes aussteigen mussten. Auch eine positive Wahrnehmung der Sexualität wurde gefordert.

Erzbischof Zollitsch würdigte die Gesprächsatmosphäre des Treffens. Er kündigte an, dass sich die Bischöfe im kommenden Frühjahr mit der Rolle der Frauen in der katholischen Kirche beschäftigen würden. Alois Glück, der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, lobte die Offenheit der Diskussion: "Viele dieser Themen waren vor eineinhalb Jahren noch völlig tabuisiert", sagte er. Nun müssten geschiedenen Wiederverheirateten konkret neue Wege geöffnet werden. Anderenfalls "käme es zu einer Abwendung vieler Menschen von der Kirche".

Die Kirchenvolksbewegung "Wir sind Kirche" nannte es bemerkenswert, dass die Bischöfe "einige der drängenden Reformthemen konkret angesprochen" hätten. Kritik kam vom konservativen "Forum Deutscher Katholiken": Die "Reizthemen" hätten mit dem Thema der Tagung nichts zu tun gehabt.

http://www.sueddeutsche.de/politik/erleichterungen-fuer-wiederverheiratete-kirche-geht-auf-geschiedene-katholiken-zu-1.1469742






KATHOLISCHE KIRCHE: Und sie bewegt sich doch

VON MATTHIAS DROBINSKI

Streng genommen haben sie ihr Thema verfehlt, die 300 Katholiken, die sich in Hannover versammelt hatten: Gemeindechristen, Verbandsvertreter, Priester, Ordensleute, Bischöfe. Laut Programm sollten sie über den Dienst der Kirche in der Welt reden – doch es ging um Geschiedene, die wieder heiraten, um Sexualität und Homosexualität, die Rolle der Frauen in der katholischen Kirche.

In der Schule gibt es dafür eine Sechs, in Hannover aber ist ein prophetisches Zeichen geschehen: Das Kirchenvolk hat die Sache selber in die Hand genommen, die Delegierten haben von dem geredet, was ihnen auf dem Herzen liegt und auf den Nägeln brennt, sie haben sich nicht schafsbrav an die Tagesordnung gehalten. Und die anwesenden Bischöfe haben dieses Kirchenvolk ernst genommen. Sie haben verstanden, dass sich etwas ändern muss, will die katholische Kirche verlorenes Vertrauen zurückgewinnen.

Es ist ein kleiner Schritt, den sie da ankündigen: Geschiedenen, die wieder heiraten, soll nicht sofort die Entlassung aus dem Kirchendienst drohen. Aber er zeigt: Diese Kirche ist veränderbar. Nicht, um sich einfach dem Zeitgeist anzupassen. Sondern weil die katholische Kirche nur dann menschennah und auch mal quer zum allgemeinen Betrieb sein kann, wenn sie nicht nach außen hin Barmherzigkeit predigt und nach innen Unbarmherzigkeit übt. So gesehen war es sehr politisch, das Treffen in Hannover.

Zuletzt geändert am 17­.09.2012