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Veröffentlicht am 31­.05.2012

31.5.2012 - Berliner Zeitung

Vatikan: Keine Gemeinschaft der Heiligen

Auch der Vatikan sollte von Kirche und Öffentlichkeit kontrolliert werden, fordern engagierte Katholiken. Ansonsten droht dort ein steter Kampf um Macht und Geld, wie die jüngsten Enthüllungen zeigen.

Seit Monaten werden immer wieder interne Dokumente des Vatikans öffentlich, in denen es um Korruptionsvorwürfe geht, Finanzgebaren der Vatikanbank, Machtkämpfe und Intrigen. Selbst geheime Briefe des Papstes wurden öffentlich. Die in Anlehnung an die Enthüllungswebsite Wikileaks genannte Affäre „Vatileaks“ gipfelte jüngst in der filmreifen Verhaftung des Kammerdieners von Benedikt XVI.

Herr Weisner, haben die Enthüllungen die katholische Kirche denn spürbar erschüttert?

Die Erschütterung ist sogar sehr groß, weil sie die Schaltzentrale der römisch-katholischen Kirche betrifft. Die Indiskretionen machen deutlich, dass die katholische Kirche bis in den Vatikan nicht nur die Gemeinschaft der Unschuldigen, Seligen und Heiligen ist. Auch hier geht es um Macht und um Geld. Sichtbar geworden ist die Spitze eines Eisbergs von Intrigen und Machtgerangel der unterschiedlichen Kräfte in der Kirchenleitung, der sich überlagernden Konflikte.

Welche Kräfte, welche Konflikte sind das?

Da sind einerseits jene, die für Reformen in der katholischen Kirche, für eine Beteiligung der Ortskirchen an Entscheidungen, einen Dialog mit ihnen und den Laien eintreten. Auf der anderen Seite sind es die Vertreter der fundamentalistischen kirchenpolitischen Linie. Es scheint aber auch Rangeleien zwischen deutschen und italienischen Kräften zu geben.

Um welche Konflikte geht es?

Vor allem um die bis in den Vatikan umstrittene Machtposition des Kardinalstaatssekretärs Tarcisio Bertone, der Nummer Zwei im Vatikan, sowie um mögliche Korruption in der Vatikanbank.

Da müsste sich Ihre Reformbewegung doch eigentlich darüber freuen, dass sich durch die Indiskretionen jetzt mal ein Schimmer von Transparenz zeigt...

Wir empfinden als engagierte Katholiken da keine Schadenfreude. Es zeigt sich aber, dass Macht ohne Kontrolle immer missbraucht wird, auch in der Kirche. Wir brauchen wirksame Kontrollen auch in der Kirchenspitze – kirchenintern und durch die Öffentlichkeit.

Der Vatikan stellt sich bisher als geheimes Machtzentrum dar, das nichts nach außen dringen lässt und eine Änderung dieses Zustands nicht wünscht.

In der heutigen medienvernetzten Welt sind das Informationssystem des Vatikans und der Vatikan selbst genauso angreifbar wie jede andere Regierung. Ein geschlossenes System, das traditionell auf Gehorsam und Loyalität setzt, das sich und sein Handeln als von Gott eingesetzt und von Gott gegeben darstellt, ist heutzutage unangemessen. Der Skandal jetzt zeigt, wie dringend nötig Reformen sind.

Glauben Sie, dass Kontrolle von unten in der katholischen Kirche absehbar möglich ist?

Innerhalb der Kirche sind die Beharrungskräfte sehr groß. Da braucht es immer wieder Anstöße von außen. In der jetzigen Situation sind wir auf Staatsanwälte angewiesen, die ermitteln und auf die Öffentlichkeit. Eine Öffnung zu mehr Transparenz, das bleibt eine Herkulesaufgabe.

Das Gespräch führte Renate Oschlies.

http://www.berliner-zeitung.de/politik/reformer-im-interview-vatikan--keine-gemeinschaft-der-heiligen,10808018,16142900.html

Zuletzt geändert am 31­.05.2012