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Veröffentlicht am 22­.06.2010

22.6.2010 - Lübecker Nachrichten / Ostsee-Zeitung

„Es geht jetzt um die Grundexistenz der katholischen Kirche insgesamt“

Christian Weisner ist Sprecher der reformorientierten katholischen Bewegung „Wir sind Kirche“.

Lübecker Nachrichten: Wie groß ist der Schaden durch die Affäre Mixa für die katholische Kirche?
Christian Weisner: Die Missbrauchsskandale belasten die katholische Kirche ja schon seit 1995, seit dem Fall Kardinal Groer in Österreich. Der Vertrauensverlust für die Kirchenleitung, für die Hierarchie ist immens.Man spricht von der größten Krise seit der Reformation, und das zu Recht.

LN: WelcheRolle spielt der Zölibat?
Weisner: Er ist nicht die direkte Ursache, aber er ist Ausdruck der Sexual- und Frauenfeindlichkeit der römisch-katholischen Kirche. Und man muss nach den Vertuschungsmechanismen fragen. Sexueller Missbrauch kommt überall vor, man kann ihn leider nicht verhindern. Aber es gibt Strukturen in der katholischen Kirche, die ihn begünstigt und verschleiert haben. Das ist der eigentliche Skandal. Wir haben Vertrauenskrisen im Finanzwesen und in der Politik, da wäre die katholische Kirche sehr gefordert. Aber es ist traurig, dass sie in dieser wichtigen Zeit eigentlich nicht handlungsfähig ist.

LN: Hat Bischof Mixa noch Rückhalt in der Kirche?
Weisner: Ich fürchte ja. Manche in seinem Bistum Augsburg haben in ihm einen Vertreter der wahren katholischen Lehre gesehen. Aber es scheint, dass gerade jene, die sich besonders kirchentreu, fromm und staatstragend gegeben haben, die Kirche jetzt in ein schlechtes Licht gerückt haben.

LN: Tobt derzeit ein Machtkampf in der katholischen Kirche?
Weisner: Das wäre ein zu einfaches Bild. Man muss sich auch gegen eine Legendenbildung und die Darstellung Bischof Mixas als Märtyrer wehren.

LN: Wie kommt das Mixa belastende Dossier an die Medien?
Weisner: Ich kenne die Kanäle nicht. Aber es hat offenbar von Anfang an Warnungen gegeben, ihn zum Bischof von Eichstätt und später von Augsburg zu machen, weil er ein Spalter ist und kein Hirte, der zusammenführt.

LN: Ist der Umgang von Bischöfin Käßmannmit Verfehlungen ein Vorbild für die katholischeKirche?
Weisner: Mankanndie beiden Rücktritte nicht vergleichen, weil es bei Frau Käßmann keine Verfehlung in Amtsgeschäften gewesen ist. Aber sie hat ihre hohe persönlicheVerantwortung gesehen. Das scheint Bischof Mixa immer noch zu fehlen.

LN: Ist ein Neuanfang in der deutschen katholischen Kirche mit Papst Benedikt möglich?
Weisner: Der Neuanfang musskommen, dazu gibt es keine Alternative, aber er geht nicht mit den alten Spielregeln und dem alten Personal. Der Papst weiß vermutlich mehr über die weltweiten Missbrauchsfälle als wir uns vorstellen können. Er hat beim Missbrauch mit seiner Null-Toleranz-Politik ein Zeichen gesetzt – wenn auch vielleicht zu spät, zu schwach und noch nicht von allen in der römischen Kurie unterstützt.

LN: Ist der Neuanfang mit Bischof Zollitsch an der Spitze möglich?
Weisner: Die katholische Kirche in Deutschland steht vor einer Zerreißprobe. Bischof Zollitsch kann diesen Neuanfang vorantreiben, aber nur wenn ihn die gesamte Bischofsschaft in diesem Kurs unterstützt.

LN: Jeder vierte deutsche Katholik hat in jüngster Zeit an Austritt gedacht – Sie auch?
Weisner: Nein, ganz und gar nicht. Die Aufbruchstimmung des 2. Vatikanischen Konzils steckt ganz tief in mir.Wir sind jetzt in einem Transformationsprozess mit einem hohen Reformdruck, da geht es darum, die Reformkräfte zu vernetzen. Wir sind in einer entscheidenden Phase, aber wenn ein großes Schiff wie die römisch-katholische Kirche den Kurs ändert, dauert es Jahre, bis alle an Bord es mitbekommen. Und es ist ein sehr riskantes Wendemanöver, weil weitere Kirchenspaltungen drohen. Es geht jetzt um die Grundexistenz der katholischen Kirche insgesamt. Sie wird danach nicht mehr so aussehen wie heute. Das gibtmir auch Hoffnung.

Interview: Peter Intelmann

Zuletzt geändert am 30­.06.2010