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Veröffentlicht am 26­.02.2010

26.2.2010 - Südwestpresse

Zollitsch: Ausmaß der Vergehen im kirchlichen Raum unterschätzt

Mit einem Papier zum Missbrauch in der katholischen Kirche hat sich die Bischofskonferenz aus Freiburg verabschiedet. Es beinhaltet, was zur Aufklärung und als Prävention getan werden soll.

So mancher hätte Mäuschen spielen wollen bei der Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz in Freiburg. Die wurde von einem Thema dominiert: dem sexuellen Missbrauch an Kindern und Jugendlichen durch Geistliche. Während die 65 Bischöfe vier Tage lang unterschiedliche Themen berieten, wurden ständig neue Missbrauchsfälle bekannt.

In seiner Abschlusserklärung vermittelte der Vorsitzende der Bischofskonferenz und Freiburger Erzbischof Robert Zollitsch den Eindruck, dass das Ausmaß der Verbrechen und die Dramatik, die jeder einzelne Missbrauchsfall beinhaltet, tiefer ins Bewusstsein der Bischöfe eingedrungen ist. Dazu beigetragen haben offenbar auch mehrere Experten, die die Bischöfe über die Tragweite eines sexuellen Missbrauchs informiert hatten. Im Namen der Bischöfe bat Zollitsch "die Opfer dieser abscheulichen Taten" um Entschuldigung und Vergebung. "Wir wollen eine ehrliche Aufklärung, frei von falscher Rücksichtnahme, auch wenn uns Vorfälle gemeldet werden, die schon lange zurückliegen. Die Opfer haben ein Recht darauf."

Das Ausmaß sei bislang unterschätzt worden, sagte der Erzbischof. Obwohl die Bischöfe nicht am Anfang "der Auseinandersetzung mit solchen Verfehlungen" stünden. 2002 haben sie "Leitlinien zum Vorgehen bei sexuellem Missbrauch Minderjähriger durch Geistliche" erarbeitet. "Sie verhindern Vertuschung und Verschleierung", sagte Zollitsch. Trotzdem seien Verantwortliche im Personalbereich der Bistümer gebeten worden, mit Hilfe externer Berater die Leitlinien und ihre Umsetzung zu überprüfen.

Zum wiederholten Mal betonte Zollitsch, wie wichtig es den Bischöfen ist, dass die Staatsanwaltschaften eingeschaltet werden. "Wir unterstützen die Behörden aktiv bei ihrer Arbeit", sagte er. In den Leitlinien ist dazu festgehalten, dass jede Anzeige oder Verdachtsäußerung "umgehend geprüft" werde. Erhärte sich der Verdacht, werde eine innerkirchliche Voruntersuchung eingeleitet. "In erwiesenen Fällen sexuellen Missbrauchs Minderjähriger wird dem Verdächtigen - falls nicht bereits eine Anzeige vorliegt oder Verjährung eingetreten ist - zur Selbstanzeige geraten und je nach Sachlage die Staatsanwaltschaft informiert", so steht es in den Leitlinien und ist einer der heftigsten Kritikpunkte. Zollitsch bekräftigte: "Sobald ein begründeter Verdacht vorliegt, wird die Staatsanwaltschaft eingeschaltet." Kritiker fordern dagegen, dass die Staatsanwaltschaft in jedem Fall eingeschaltet wird.

Ein wichtiger Punkt des Abschlusspapiers widmet sich der Prävention: Damit Täter nicht rückfällig werden, sollen sie in Zukunft immer von Experten begutachtet werden. Erst dann soll eine Entscheidung fallen, ob sie weiter im kirchlichen Dienst stehen können. In der Vergangenheit wurden Pfarrer, die Kinder missbraucht hatten, häufig nur in eine andere Kirchengemeinde versetzt.

Was immer wieder gefordert wurde, soll nun realisiert werden: Eine bundesweite Hotline zur Information in Fragen sexuellen Missbrauchs soll geschaltet werden. Der Bischof von Trier, Stephan Ackermann, ist ab sofort besonderer Beauftragter der Bischofskonferenz für alle Fragen des sexuellen Missbrauchs. Er soll für eine bessere Kommunikation der Bistümer und Orden sorgen.

Den Konflikt mit Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) sieht Zollitsch ausgeräumt. Sie hatte die Kirche beschuldigt, die Aufklärung der Missbrauchsfälle nicht mit der notwendigen Konsequenz zu verfolgen. Dem hatte Zollitsch widersprochen und eine Entschuldigung gefordert. Ein Gespräch mit Bundeskanzlerin Merkel habe den Disput beendet.

Den Bischöfen scheine die Dramatik klar geworden zu sein, ein Umdenken habe eingesetzt, sagte Christian Weisner, Sprecher der Reformbewegung Wir sind Kirche. "Nun muss abgewartet werden, was konkret passiert."

Zuletzt geändert am 26­.02.2010