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Veröffentlicht am 24­.02.2010

24.2.2010 - Badische Zeitung

Der Kampf um Glaubwürdigkeit

Das Thema Missbrauch lässt die erste Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz in Freiburg nicht los – wie gehen die Hirten der 27 Diözesen damit um? Ein Zwischenbericht.

Sylvie hat keinen Vater mehr. Er hat sich vor fünf Jahren das Leben genommen, da war sie 28. Über die Ursachen weiß seine Tochter gut Bescheid, er hat immer wieder davon gesprochen: Von der Zeit nach dem Krieg, die er im österreichischen Bad Goisern in einem katholischen Internat verbrachte. Von abendlichen Sauberkeitskontrollen nach dem Duschen, Griffen in den Intimbereich, von anderen Formen sexuellen Missbrauchs. Von der vergeblichen Suche nach Hilfe, von der Unmöglichkeit, auch später außerhalb der Familie darüber zu sprechen. "Die meisten fanden das peinlich und wollten es nicht wissen", sagt Sylvie. "Das hat mein ganzes Leben geprägt, und ich wusste nicht, wohin damit."

Heute, mit 33 Jahren, steht die Freiburgerin vor dem Münster ihrer Heimatstadt unter einem Plakat mit der Geschichte ihres Vaters. Ihren richtigen Namen will sie nicht in der Zeitung lesen. Die Laienbewegung "Wir sind Kirche" hat zu einer Mahnwache für die Opfer des Missbrauchsskandals an katholischen Schulen gerufen. Seit Januar sind 120 Fälle aus der Zeit der 50er bis 90er Jahre bekannt geworden. Die 65 deutschen Bischöfe, die bis Donnerstag erstmals in Freiburg zur Vollversammlung zusammenkommen, sollen nicht zur Routine übergehen können, finden die Aktivisten. Auch wenn Sylvie längst aus der Kirche ausgetreten ist: "Ich hab da gar kein Vertrauen mehr."

Josef Hanauer ist der Glaube wichtig, deshalb hat er sich einer "Wir sind Kirche"-Gruppe in Karlsruhe angeschlossen. Der 74-Jährige ist selbst in einem Benediktiner-Internat zur Schule gegangen, seines Wissens ist dort nie etwas Vergleichbares vorgefallen. "Missbrauch passiert anderswo auch, aber dass so was in der katholischen Kirche geschieht – das ist traurig. Das ist so bitter." Natürlich müsse man jetzt nachdenken, ob die Verjährungsfristen zu kurz sind, ob es genug unabhängige Vertrauenspersonen gibt. Aber ihm fehlt noch etwas anderes: "Die Kirche müsste sich endlich entschuldigen. Und es müsste viel mehr der Blick auf die Opfer gehen – wie man denen nun helfen kann!"

Hanauer steht vor dem Münster. Er kann nicht wissen, was der Vorsitzende der Bischofskonferenz gerade vor Journalisten gesagt hat: Dass er zutiefst erschüttert ist. Dass er sich bei den Opfern entschuldigt. Dass die Bischöfe die Konferenz zur Beratung über Hilfen nutzen wollen. Das Kollegium unterstütze jede Kooperation mit staatlichen Stellen, wie sie in den seit 2002 geltenden Leitlinien für den Umgang mit sexuellem Missbrauch vorgesehen ist. Auch über Fragen der Prävention bei der Priesterausbildung soll gesprochen werden.

Zollitsch sagt fast alles, was das Publikum zuletzt von ihm erwartet hat, auch, dass Missbrauch nicht nur ein Verbrechen, sondern eine Sünde ist. Nur gegen Pauschalkritik verwahrt er sich: "Missbrauch hat nichts mit dem Zölibat und nichts mit der Sexuallehre zu tun, sondern das ist eine Frage, wie jemand veranlagt ist." "Das ist gut", sagt Hanauer, als er von der Entschuldigung erfährt. Sylvie ist misstrauischer: "Ich glaube, die beruhigen jetzt die Bevölkerung."


Im feierlichen Pontifikalamt zur Eröffnung der Konferenz kommt Zollitsch vor 65 Bischöfen, hochrangigen Würdenträgern aus der Weltkirche, 380 Musikern und einem vollbesetzten Münster auf das Thema zurück. "Wir sind erschüttert über das Verhalten von Kirchenvertretern und Erziehern", sagt er in seiner Predigt. "Wir leiden mit den Opfern, die wir um Verzeihung bitten." Zollitsch räumt ein, es gebe eine "menschliche und dunkle Seite der Kirche". In den Fürbitten beten die Gläubigen um Kraft für die Opfer. Und die ritualisierten Formeln in den Gebeten, die Schuldbekenntnisse im Vater Unser und im Agnus Dei, bekommen einen merkwürdig doppelbödigen Klang.

Es ist eine Resonanz, die die Konferenz fortan begleitet, auch wenn es natürlich andere Themen gibt an den Folgetagen. Journalisten werden dazu im Priesterseminar informiert, das einfache Tagungshotel schirmt ein pompös livrierter Page ab: Die Öffentlichkeit kann die Bischöfe nur in den Gottesdiensten erleben. Sie muss aber früh aufstehen: Täglich um 7.30 Uhr beginnt im Münster die Messe.

Der Bamberger Erzbischof Ludwig Schick hat keine Probleme, sich zeitig zu erheben. Er geht zu Hause regelmäßig um fünf Uhr joggen. In Freiburg hat sich der sportliche 60-Jährige mit einem Spaziergang begnügt, "zum Joggen kenne ich mich nicht gut genug aus". Zusammen mit dem ehemaligen Leiter der Caritas Haiti, Pater Wilnès Tilus, referiert er über den Stand der Hilfe für die dortigen Erdbebenopfer. Es geht um Spendensummen, erste Erfolge und bestehende Schwierigkeiten. Beide fordern, ein stärkeres Augenmerk auf Provinzregionen wie die Stadt Léogâne zu richten, um die sich auch die hiesige Hilfsaktion "Südbaden hilft" kümmern will. Nach Jahrzehnten der Fremdbestimmung sei es außerdem wichtig, "dass Haiti jetzt ermächtigt wird, das Land selbst wieder aufzubauen, dass die Haitianer ihr Land gestalten können".

Jemand fragt, ob die Kirche nicht selbst hätte mehr tun können in der Vergangenheit. "Es gibt Versagen in der Kirche", antwortet Schick, "das ist ganz klar. Aber die ganze Problematik der Kirche anzulasten, ist sicher auch nicht richtig. Wir haben gerade zuletzt viel bewirkt." Da ist sie wieder, die Resonanz.

Fürchtet Schick, dass sein Anliegen in der Aufregung um den Missbrauchsskandal untergeht? Er überlegt. "Natürlich hat das viel Aufmerksamkeit absorbiert. Es gibt Menschen, die schwere Schuld auf sich geladen haben, und das muss aufgearbeitet werden. Aber es gibt auch viele, viele Millionen Christen, die sich für das Wohl des Nächsten einsetzen."

Auch die Pressekonferenz zum Engagement in Afghanistan hat Zwischentöne. "Der Debatte in Deutschland hat lange der Mut gefehlt, sich den entscheidenden Herausforderungen und nicht selten schmerzhaften Problemen zu stellen", sagt Robert Zollitsch. Nur durch wahrhaftige öffentliche Debatten könne die Bevölkerung überzeugt werden. Bischof Stephan Ackermann aus Trier ergänzt: "Wer vorschnell von Versöhnung spricht, ohne die Tiefe der gesellschaftlichen Verletzungen ernsthaft vor sich zu bringen, der hebt nicht, sondern beschädigt die in der Gesellschaft vorhandenen Versöhnungspotenziale."

Es braucht Mut, um der Politik dieser Tage als katholischer Bischof solche Sätze ins Stammbuch zu schreiben. Und den Willen, hinter den eigenen Erkenntnissen nicht zurückzubleiben.

Robert Zollitsch hat diesen Mut, das stellt er gleich im Anschluss noch einmal klar, als er sich scharf gegen Interview-Äußerungen der Bundesjustizministerin verwahrt. "Es gibt in Deutschland 15 000 Missbrauchsfälle pro Jahr, die wenigsten davon in der katholischen Kirche. Ich beschönige nichts, Fälle im Bereich der Kirche sind besonders schlimm. Aber wir tun in unserem Bereich alles, um solche Fälle aufzuklären, und an dieser Haltung lasse ich keinen Zweifel aufkommen."

Das Thema lässt die Konferenz nicht los, aber vielleicht ist das ja diesmal tatsächlich akzeptiert. Über ihre Ergebnisse wollen die Bischöfe am Donnerstag informieren, die eingeladenen Experten zum Missbrauchsskandal stehen den Journalisten am Dienstagabend zur Verfügung.

Die Bischöfe selbst gönnen sich in dieser Zeit ihren einzigen Freizeitausflug, sie genießen eine Weinprobe auf dem Schlossberg. Vermutlich gibt es dort einmal einen anderen Gesprächsstoff: Die Vorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland ist mit 1,54 Promille am Steuer erwischt worden. Das einzige Thema, so Pressesprecher Matthias Kopp, zu dem in Freiburg keiner der Bischöfe ein Statement abgeben werde.

Zuletzt geändert am 24­.02.2010