| |
Veröffentlicht am 10­.11.2007

10.11.2007 - DeutschlandradioKultur

Umweg zur Scheidung

Eine Ehenichtigkeitsverfahren ist für Katholiken Voraussetzung für eine neue Heirat

Von Michael Hollenbach

Scheidungen sind nach dem katholischen Glauben nicht möglich, doch einen Ausweg gibt es: Die Kirche lässt feststellen, dass die Partner eigentlich gar nicht richtig verheiratet waren. Die Ehe wird auf diese Weise im Nachhinein für null und nichtig erklärt.

"Ich lebte getrennt von meinem damaligen Mann und bekam ein Einschreiben mit Rückantwort und da dachte ich: Okay, jetzt hat er die Scheidung eingereicht. Und dann schrieb mir das Erzbistum Berlin, das habe ich erst einmal zurückgegeben, weil ich mit denen nichts zu tun habe und an einen Irrtum geglaubt habe."

Dem war aber nicht so, obwohl Ina Meyer zu Uptrup evangelisch ist.

"Da kam dann heraus: ein Dekret, dass ein Ehegericht eingesetzt sei zur Feststellung der Nichtigkeit meiner Ehe."

Mein Name ist Stefan Schweer und ich bin hier im Bischöflichen Offizialat Untersuchungsrichter in Ehenichtigkeitsverfahren und sogenannter Ehebandverteidiger und im Generalvikariat Referent für Kirchenrecht. Der Untersuchungsrichter ist derjenige, der mit den Menschen, die ein Ehenichtigkeitsverfahren führen wollen, die Gespräche führt über das Zustandekommen der Ehe in erster Linie und über den Verlauf der Ehe, worüber man dann herausfinden muss, inwieweit es möglich ist, eine einmal geschlossene Ehe für ungültig geschlossen zu erklären.

"Es hat mich sehr überrascht, völlig kalt erwischt, ich war in keiner Weise vorgewarnt oder benachrichtigt worden von meinem Mann. Hintergrund war für ihn, was ich im Nachhinein erfahren habe: Er wollte seine katholische Freundin heiraten und das würde wohl nur gehen, wenn unsere evangelisch geschlossene Ehe von der katholischen Kirche für nichtig geschlossen erklärt würde. Was ich absolut absurd finde. Was hat die katholische Kirche darüber zu befinden, ob wir richtig oder unrichtig miteinander getraut wurden. Was soll das?"

Ina Meyer zu Uptrup hatte das Gefühl, in einem absurden Theater mitzuspielen. Die katholische Kirche hielt ein Ehegericht darüber ab, wie man eine von einem evangelischen Pfarrer geschlossene Ehe für nichtig erklären könne, damit der geschiedene Ehemann, auch ein Protestant, später noch mal katholisch heiraten kann.

Willst du diesen, den Gott dir anvertraut, als deinen Ehemann lieben und ehren und die Ehe mit ihm halten, in guten wie in bösen Tagen, bis der Tod euch scheidet, so antworte: Ja, mit Gottes Hilfe.

Die Ehe ist nach katholischem Verständnis unauflöslich, selbst wenn sie zivilrechtlich geschieden wurde. Geschiedene dürfen nicht wieder heiraten; tun sie es dennoch, werden sie von den Sakramenten wie Kommunion oder Beichte ausgeschlossen. Einziger Ausweg: Man geht zu einem kirchlichen Untersuchungsrichter wie Stefan Schweer und lässt feststellen, ob sich die Ehe nicht für null und nichtig erklären lässt. Denn Voraussetzung für eine gültige Ehe ist das katholische Eheverständnis:

"Nicht das Ehebild, was sich jemand selber schneidert, ist ausschlaggebend, sondern wirklich das der Kirche, so dass ich auch wesentliche Elemente der Ehe nicht herausnehmen darf."

Dabei geht es nicht um die Frage, warum und woran die Beziehung gescheitert ist: Prügelnde Ehemänner oder untreue Ehefrauen sind kein Grund für eine Eheannullierung. Es geht nur darum, ob die Ehe nach katholischem Verständnis gültig zustande gekommen ist.

Als mögliche Gründe für eine Eheannullierung nennt die katholische Kirche:

Mängel in der verbindlich festgelegten Eheschließungsform, zum Beispiel Heirat katholischer Partner nur vor dem Standesbeamten.

Vorliegen eines Ehehindernisses, zum Beispiel Bindung durch eine frühere Ehe, nahe Blutsverwandtschaft, Unfähigkeit zum ehelichen Akt.

Fehlen des notwendigen inneren Ehewillens, zum Beispiel Eheschließung nur zum Schein, Vorbehalte gegen die Unauflöslichkeit der Ehe, gegen die eheliche Treuepflicht, die eheliche Nachkommenschaft, arglistige Täuschung, Irrtum.

Psychisch bedingte Eheunfähigkeit, zum Beispiel mangelndes Urteilsvermögen hinsichtlich der wesentlichen ehelichen Pflichten, Unfähigkeit, die wesentlichen Verpflichtungen der Ehe zu übernehmen.

Zu den häufigsten Gründen, warum eine Ehe für nichtig erklärt wird, gehört die fehlende Verbindlichkeit bei - zumindest - einem Partner.

"Dahinter steckt der Gedanke, dass man ausschließt, dass die Ehe wirklich auf Dauer 'Bis dass der Tod euch scheidet' geschlossen wird, sondern mit dem Gedanken, ich will das wohl versuchen, aber wenn es scheitert, dann nehme ich mir vor, mich scheiden lassen zu können mit dem Hintergedanken, auch eine neue Bindung wieder eingehen zu können."

Willst du diesen, den Gott dir anvertraut, als deinen Ehemann lieben und ehren und die Ehe mit ihm halten, in guten wie in bösen Tagen, bis der Tod euch scheidet, so antworte: Ja, mit Gottes Hilfe.

Auch in dem Ehenichtigkeitsverfahren von Ina Meyer zu Uptrup lautete die Klage zunächst: fehlende Verbindlichkeit der Ehe. Doch in den Zeugenbefragungen - vernommen wurden der evangelische Traupfarrer sowie Eltern und Freunde des Ex-Paares - wurde deutlich, dass sich beide durchaus für eine verbindliche Ehe ausgesprochen hatten:

"Das war eines der zentralen Themen im Traugespräch. Das Signal: Das Vorhaben Ehe wird gestartet auf Unendlich, das fand ich in Ordnung, denn sonst hätten wir beide nicht geheiratet. Nur einmal sehen für die nächsten drei Jahre, dafür wollten wir nicht heiraten. Von daher war es geradezu irrsinnig, das zu nehmen als Klagegrund zur Nichtigerklärung der Eheschließung."

Das sah dann auch das Ehegericht so. Deshalb suchte man nach einem neuen Klagegrund: Mangel an Erkenntnisvermögen.

Wenn jemandem das Mindestwissen über die Ehe fehlt, ist eine Eheschließung ungültig.

"Als junger Mensch kann man ja gar nicht einschätzen, was es heißt, eine Ehe einzugehen", versuchte der katholische Eherichter Ina Meyer zu Uptrup zu überzeugen.

"Da habe ich gesagt: Mein Ex-Mann war damals Theologie-Student, kurz vor dem Examen, ich habe Jura studiert, was wollen Sie denn? Was muss man denn haben, um eine wirksame und eine gültige Ehe zu schließen? Ich meine, blöd sind wir ja alle nicht."

Dennoch: Mit einer 100-seitigen Begründung des katholischen Ehegerichts erhält sie den Bescheid, dass das Erzbistum Berlin "in Verantwortung vor Gott und nach Anrufung seines Beistandes" ihre Ehe für nichtig erklärt hat.

Das sei für sie in diesem kafkaesken Verfahren so gewesen, sagt die Berlinerin, als versuche man, einen Pudding an die Wand zu nageln:

"Dieses Gefühl von: Wo bin ich hier eigentlich? Wer redet da über mich? Ich habe immer das Gefühl gehabt, das Ergebnis stand von vornherein fest und wie man da nun hinkommt: Ja, einmal muss man über den Berg oder durch den Tunnel, das ist egal. Hauptsache, man kommt an. Logik hin oder her, das ist egal."

"Ich bin froh und dankbar, dass es die Möglichkeit gibt."

Sagt dagegen der Hildesheimer Wolfgang Hussmann, auf dessen Antrag hin seine erste Ehe annulliert wurde, so dass er wieder heiraten konnte.

"Weil es geht ja wirklich darum geht, dass man mit einem Menschen sein Leben verbringen will, und zwar solange ich lebe, und dazu braucht es einen geistigen und geistlichen Grund und den finden wir dadurch, dass wir das Sakrament der Ehe leben können und durch die Annullierung auch die Möglichkeit hatten, dieses Sakrament zu spenden."

Doch für Wolfgang Hussmann gab es noch einen anderen Grund, die erste Ehe für nichtig erklären zu lassen: Er ist Angestellter der katholischen Kirche und hätte um seinen Job fürchten müssen, wenn er - ohne Ehenichtigkeitsverfahren - wieder geheiratet hätte. Auch Wolfgang Hussmann räumt ein, dass das Ehenichtigkeitsverfahren skurrile Züge trage, denn die kirchlichen Richter müssen ja durch diverse Zeugenbefragungen erst herausbekommen, ob eine Ehe gültig zu Stande gekommen ist.

"Wenn es darum geht: Ist vor der Eheschließung eine bestimmte Äußerung gefallen oder nicht und es davon abhängt, ob die Gültigkeit der Ehe vorhanden ist oder nicht und wenn man dann jemanden finden muss, der dann weiß, als wir uns 1979 auf dieser Party unterhalten haben, oder der sich noch an das Gespräch erinnern kann, das ist schon ein bisschen merkwürdig. Und die Befragungen einer Ehe sind schon sehr detailliert, denn zur Gültigkeit einer Ehe gehört ja auch, dass sie vollzogen wurde. Das muss ja auch erst einmal festgestellt werden."

"Dieses Verfahren ist ein Schnüffeln in Tagebüchern. Da werden Aussagen von Bekannten ausgewertet, da hat man schon den Eindruck, als ob die katholische Kirche amtlicherseits in dem Privatleben, Seelenleben einer Familie herumforscht, die ihr Innerstes da offenzulegen haben."

Christian Weissner von der katholischen Kirchenvolksbewegung "Wir sind Kirche" fordert, dass sich seine Kirche mit der Lebensrealität geschiedener Menschen auseinandersetzt. Das Ehenichtigkeitsverfahren sei da der falsche Weg:

"Man kann ja nicht einfach in seinem Leben etwas annullieren, mit Tipp-Ex wieder ausstreichen und sagen: Das war falsch. Und ich denke, was bedeutet das zum Beispiel für die Kinder, die aus solcher Ehe entstanden sind: die dann sagen, die Ehe, wo ich geboren bin, die hat es nach Ansicht der Kirche gar nicht gegeben."


"Das ist ein etwas skurriler Gedankengang", räumt der kirchliche Untersuchungsrichter Stefan Schweer ein:

"Aber selbst bei einer Ehe, die für ungültig geschlossen erklärt wird, bleiben die Kinder ehelich, weil bis zum Zeitpunkt der Nichtigerklärung ja davon ausgegangen wurde, dass die Ehe gültig war."

Vor allem wegen ihrer Kinder hat Ilona Schulz ihr Ehenichtigkeitsverfahren abgebrochen. Und eigentlich hielt die engagierte Katholikin das ganze Verfahren für absurd:

"Es ist für mich ein sehr juristisches Denken. Und wenn ich vom Biblischen her komme, muss es doch Menschen erlaubt sein zu scheitern: Wir sind Menschen und scheitern. Ich wäre wahrscheinlich in einer zweiten Beziehung noch einmal glücklich geworden, ich finde das nicht in Ordnung, dass die Kirche das Scheitern nicht anerkennt und Menschen verurteilt."

Trotz aller Kritik: Immerhin beantragen in Deutschland jährlich rund 1000 Katholiken ein Ehenichtigkeitsverfahren - die meisten mit Erfolg. Über zwei Drittel der Ehen werden dann tatsächlich - nach katholischer Lesart - für null und nichtig erklärt.

Quelle: http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/religionen/694003/

Zuletzt geändert am 06­.10.2009