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Veröffentlicht am 04­.06.2008

4.6.2008 - Westfalen Blatt

»Exorzismus ist ein Relikt«

Bielefelder Mediziner fordern, auf Teufelsaustreibungen zu verzichten Bielefeld (WB). Exorzismus darf nicht mehr praktiziert werden, das fordert die katholische Reformgruppe »Wir sind Kirche« im Bistum Paderborn in einem offenen Brief an Erzbischof Becker. Unterstützt wird die Gruppierung von Bielefelder Medizinern aus neurologischen, psychotherapeutischen und psychiatrischen Kliniken. Über die Hintergründe dieser Initiative sprach Professor Dierk Dommasch, Chefarzt der Klinik für Neurologie in Bethel, mit Esther Steinmeier.

Wie kommt es, dass sich Mediziner in einem innerkirchlichen Prozess zu Wort melden?

Dommasch: Als Fachleute, unabhängig von den konfessionellen Bindungen und auch von den beruflichen Positionen in unseren Kliniken, wollen meine Kollegen, Dr. Ursula Gast und die Professoren Peter Clarenbach, Martin Driessen und ich die WsK in ihrer Forderung bestärken und dabei deutlich machen, dass auch wir die Praxis von Exorzismus als einen Verstoß gegen Patienten- und Menschenrechte ansehen. Dies ist kein rein theologisches Thema. Wegen der möglichen Schädigung von Patienten fühlen wir uns als Ärzte zu dieser Stellungnahme aufgerufen.

Bei dem letzten bekannten Exorzismus-Skandal 1976 in Würzburg starb eine junge Studentin an den Folgen unterlassener medizinischer Hilfe. Wie haben Sie diesen Fall erlebt?

Dommasch: Ich habe damals an der Universität Würzburg gearbeitet. Das war offenbar eine Art Wahn, der die Familie der Studentin und Teile ihrer Umgebung erfasst hatte. Die Patientin habe ich selbst nicht kennen gelernt, aber soweit ich weiß, hatte sie sich der fachärztlichen Behandlung ihrer psychischen Störungen und eines vermuteten Anfallsleidens entzogen. Beim Exorzismus selbst gab es dann keine medizinische Begleitung und auch bis zum Schluss keine notärztliche Hilfe.

Wie haben Sie das damals als Mediziner beurteilt?

Dommasch: Meine damaligen Kollegen und mich hat das sehr schockiert, denn bis dahin waren wir davon ausgegangen, dass es so etwas wie Exorzismus in Deutschland gar nicht mehr gab. Es war sogar anhand der Aufzeichnungen, die während der Exorzismen gemacht und später veröffentlicht wurden, deutlich erkennbar, dass diese junge Frau unter Anfällen und einer Psychose litt, die fachliche Behandlung erfordert hätten. Durch die Eingriffe der Exorzisten wurde der jungen Frau eine angemessene Behandlung vorenthalten.

Was halten Sie von Berichten über Phänomene der Besessenheit wie zum Beispiel Reaktionen angeblich Besessener auf geweihte Gegenstände, das Sprechen fremder Sprachen oder mit veränderten Stimmen?

Dommasch: Offen gestanden halte ich das alles für Hokuspokus, sofern es im Einzelfall nicht doch rationale Erklärungen der Symptome der scheinbaren Besessenheit gibt. Auch bei dem Würzburger Fall wurde behauptet, dass die Frau fremde, vorher nicht gelernte Sprachen gesprochen hätte. Wenn man sich die Aufzeichnungen anhört, wird klar, dass es sich dabei überwiegend um unverständliche Laute, ja, zum Teil Grunzlaute handelte. Mit veränderten Stimmen und mit mehreren Identitäten zu sprechen, kann Anzeichen einer multiplen Persönlichkeit sein, wie sie zum Beispiel nach schwerstem und langjährigem Missbrauch entstehen soll. Auch hier ist eine psychotherapeutische Behandlung einer Teufelsaustreibung klar vorzuziehen.

Aus medizinischer Sicht gibt es also Besessenheit nicht?

Dommasch:Ich kann mir keine gesundheitliche Störung, keine psychische oder hirnorganische Erkrankung, vorstellen, bei der dieses Konzept, das von einer Besessenheit ausgeht, greifen würde. In früheren Jahrhunderten hatte man sicher keine anderen Erklärungsmöglichkeiten für manche dieser Krankheiten. Aber heute bieten doch die medizinisch-naturwissenschaftlichen und psychotherapeutischen Disziplinen einfach die besseren Erklärungen und die besseren Behandlungsmöglichkeiten. Und auch die menschenwürdigeren.

Fehlt der katholischen Kirche die Kompetenz, diese Fälle zu beurteilen?

Dommasch: Ich möchte ein anderes Grenzgebiet zwischen Medizin und Religion nennen, auf dem die römisch-katholische Kirche sehr früh ausgesprochen respektable und mutige Entscheidungen getroffen hat: nämlich als von der Medizin das Konzept des Hirntods erkannt und die Organtransplantation entwickelt wurde. Der medizinische Befund bei Fällen von Hirntod wurde als Fakt akzeptiert, und im Sinne christlicher Nächstenliebe haben Priester zur Organspende geraten. Eine solche Akzeptanz auch psychiatrischer und neurologischer wissenschaftlicher Erkenntnisse würde ich mir als Außenstehender von der katholischen Kirche jetzt ebenso konsequent wünschen. Es ist an der Zeit, den Exorzismus als angebliche Heilungsmethode aufzugeben, so wie Kirche und weltliche Obrigkeit einst aufgehört haben, Hexen zu verbrennen.

Glauben Sie an Dämonen?

Dommasch: Nein, aber wegen fehlender Kompetenz will ich mich zu dieser Frage weder unter theologischen noch unter philosophischen Aspekten äußern. Als Mediziner an der Basis, der mit Patienten arbeitet, halte ich es für wichtig, dass für erkrankte Menschen die richtigen Untersuchungen und die richtigen Behandlungen gefunden werden und auch, dass die Öffentlichkeit Erkrankungen des Gehirns oder der Seele nicht als etwas Dämonisches betrachtet.

Zuletzt geändert am 05­.06.2008