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Veröffentlicht am 22­.03.2008

22.3.2008 - Stuttgarter Nachrichten

"Menschen gehen zum Therapeuten, nicht zur Kirche"

Christian Weisner, Initiator der Kirchenvolksbewegung: Papst hat trennendes Weltbild

Hannover - Der Katholik Christian Weisner (56) ist einer der Initiatoren der Kirchenvolksbewegung "Wir sind Kirche". Er dringt die Kirche zu größeren Reformen - und mehr Ehrlichkeit.

Herr Weisner, wie kann das Osterfest angesichts zunehmender sozialer Unsicherheit Hoffnung geben?

Ostern ist eine Art Frühlingsfest der Christenheit, ein Fest der Verwandlung. Die Bibel sagt: Das Weizenkorn muss in die Erde fallen und sterben, erst dann bringt es viel Frucht. Wir werden uns von vielem Liebgewonnenen verabschieden müssen. Aber unsere Fähigkeit, die großen Probleme der Menschheit immer wieder zu erkennen und zu benennen, hat auch große Hilfswerke wie Misereor oder Brot für die Welt hervorgebracht und sehr innovative Lösungen etwa im Umweltbereich. Osterfeuer und Osterkerze geben mir immer wieder Hoffnung, dass Gott Licht in das Dunkel unserer Welt und unserer Probleme bringt.

Steht der Papst für diese Hoffnung - oder begeistert man sich in Deutschland allein deshalb, dass er ein Landsmann ist?

Die Begeisterung des nationalen Stolzes "Wir sind Papst" ist bald drei Jahre nach seinem Amtsantritt sehr abgeflaut. Papst Benedikt XVI. sendet sehr zwiespältige Signale aus - er setzt sich für die Menschenrechte ein, sagt aber den Empfang des Dalai Lama ab; er verspricht konkrete Zeichen in der Ökumene, brüskiert aber wiederholt die Kirchen der Reformation; seine erste Enzyklika huldigt der Nächstenliebe, doch davon ist in der eigenen Kirche immer noch zu wenig zu spüren. Bei vielen Menschen ist die Hoffnung, dass er längst fällige innerkirchliche Reformschritte auf den Weg bringt, in große Enttäuschung umgeschlagen. Es ist empörend, dass er die Augen verschließt vor den pastoralen Nöten seiner Kirche in aller Welt.

Der katholische Glaube gilt dem Papst nun einmal als reine Wahrheit. Erschwert das den Dialog der Religionen nicht sehr?

Der Kampf gegen das, was er Relativismus nennt, ist ein zentraler Punkt für ihn. Doch ist der absolute Wahrheitsanspruch in einer globalisierten und vernetzten Welt noch zeitgemäß? Benedikt XVI. hält an Prinzipien fest, die der große Reformtheologe Hans Küng schon vor 40 Jahren zu Recht infrage gestellt hat. Denn ein übertriebener Wahrheitsanspruch hat bisher leider oft zum Unfrieden zwischen Religionen und Völkern geführt, bis hin zum Krieg.

Was, wenn sich deutsche Katholiken im Wettbewerb mit dem Islam wünschen, dass die Kirche so selbstbewusst auftritt?

Wenn es um einen Wettbewerb im Glauben mit dem Islam gehen sollte, wäre es doch angeraten, das Gemeinsame der Christenheit noch stärker zu betonen. Im Verhältnis zum Islam ist es dem Vatikan zum Glück gelungen, durch mehrfache Korrekturen die durch die Regensburger Rede des Papstes ausgelösten Irritationen zu beheben. Die Papst-Bücher verkaufen sich zwar noch immer gut - aber lesen die Menschen sie auch, und leben sie danach?

Das heißt: Die Menschen suchen Religiosität, finden sie aber außerhalb der Kirche?

Genau dies ist das Ergebnis zahlreicher Studien, die uns aufrütteln sollten. Die Menschen suchen Antworten auf ihre Lebensfragen nicht mehr in den großen Kirchen, sondern gehen zum Therapeuten. Sie hören eher auf den Dalai Lama, weil sie dessen Persönlichkeit und Botschaft mehr als Einklang empfinden. Die Römisch-Katholische Kirche hat ein zunehmend großes Problem, wenn sie mehr auf ihre überkommenen äußeren Strukturen setzt - Pflichtzölibat für Priester, Ausschluss der Frauen vom Amt - als auf ihre innere Botschaft, mit der sie den Menschen helfen kann.

Wenn das Zölibat abgeschafft wird, wird die also ganze Kirche attraktiver?

Es geht nicht nur um die Lebensform der Priester, sondern darum, ob Gemeinden überhaupt noch Eucharistie feiern können. Dies ist keinesfalls nur ein deutsches Problem, denn weltweit fehlen Priester. In Brasilien weiß ich von einem Bistum mit 26 Priestern für 600 Gemeinden. Deshalb bin ich dem neuen Vorsitzenden der deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Zollitsch, dankbar, dass er sich für die Aufhebung von Denkverboten ausgesprochen hat.

Sehen Sie Hoffnung für gemeinsame Abendmahle von Katholiken und Protestanten?

Kaum. Die Ämter- und Strukturfragen werden jetzt immer wichtiger genommen und blockieren alles andere. Es schadet der Ökumene sehr, wenn nicht einmal die Gastfreundschaft bei Eucharistie und Abendmahl möglich sein soll.

Warum blockiert sich die Kirche auch in der Aufarbeitung der Missbrauchsfälle?

Sexuelle Gewalt von Priestern an Kindern und Jugendlichen war einer der Auslöser für das Kirchenvolksbegehren vor 13 Jahren, aus dem die Kirchenvolksbewegung entstand. Das tiefer liegende Problem sehe ich darin, dass sich zölibatär lebende Menschen oft nicht mit ihrer eigenen Sexualität auseinandersetzen. Wenn es dann zum Missbrauch mit Abhängigen kommt und diese Fälle auch noch schleppend aufgearbeitet oder gar vertuscht werden, beschädigt das die Glaubwürdigkeit unserer Kirche ungemein. Jeder Lebensmittelkonzern, der einen Skandal derart schlecht aufklären würde, müsste schließen. Die Kirche behandelt Missbrauch leider immer noch wie ein Kavaliersdelikt - während Priester, die sich zu ihrer Partnerin bekennen oder die evangelische Gläubige zur Kommunion einladen, suspendiert werden.

Fragen von Claudia Lepping

Zuletzt geändert am 25­.03.2008