| |
Veröffentlicht am 26­.05.2020

26.5.2020 - HNA Hessische/Niedersächsische Allgemeine

„Eine Grundlage für dringend notwendige Reformen“

INTERVIEW „Wir sind Kirche“-Sprecher Christian Weisner unterstützt Marx’ Gedanken über den Fortschritt

VON PETRA WETTLAUFER-POHL

Mit seinen Forderungen nach Reformen in der katholischen Kirche stößt Kardinal Marx bei der Laienbewegung „Wir sind Kirche“ auf Zustimmung. Wir sprachen mit dem Mitbegründer der Bewegung Christian Weisner.

Herr Weisner, auf den ersten Blick sollte Ihnen das neue Buch von Kardinal Marx gefallen, oder?

Es freut mich, dass das Buch sehr stark das Zweite Vatikanische Konzil und die Würzburger Synode und damit auch den Kurs von Papst Franziskus unterstützt. Es liefert eine Grundlage für konkrete Reformen, die dringend notwendig sind, und das nicht nur wegen der Aufdeckung der Missbrauchskandale.

Kardinal Marx kritisiert, das Gehorsamsverhältnis in der katholischen Kirche sei noch sehr ausgeprägt, empfinden Sie das auch?

Das steckt noch in vielen von uns, der Vorrang des Systems Kirche gegenüber dem Einzelnen. Ich finde, das Buch zeigt, wie dieser Gehorsam dem Gedanken der Freiheit widerspricht, den Kardinal Marx postuliert. Gut, dass er auch daran erinnert, dass Freiheitsbewegungen oft gegen den Widerstand der Kirche entstanden sind. Das passt zu seiner Kritik an den stark ausgeprägten Selbsterhaltungsstrategien der Institution Kirche. Aber liefert Kardinal Marx auch eine Strategie, die die Menschen im Blick hat und nicht die Institution? Er zeigt jedenfalls auf, wo er Handlungsperspektiven sieht, etwa in ökologischen und Gerechtigkeitsfragen und gegen den ungebremsten Kapitalismus.

Kardinal Marx hat dieses Buch nach seinem Abschied von der Spitze der katholischen Bischofskonferenz geschrieben, hätte er das nicht schon vorher tun müssen?

Im Gegenteil, jetzt ist er freier, das zu tun. Es gibt viele Bücher von Theologen und Theologinnen, die in dieser Richtung argumentieren, aber dass ein Kardinal dies tut, ist schon etwas Besonderes. Und er hat in der Weltkirche als Mitglied des Kardinalsrates in Rom auch Gewicht.

Das hoffen Sie als Mitglied der Bewegung „Wir sind Kirche“. Aber es gibt ja auch andere Strömungen innerhalb der Kirche.

Natürlich, man muss nun sehen, wie es aufgenommen wird. Leider gibt es ja starken Gegenwind gegen Franziskus und manche werden die Gedanken von Marx als Häresie betrachten. Was wir brauchen, ist aber ein Dialog, der die Kirche nicht sprengt, sondern sie in Freiheit und Vielfalt zusammenhält. Das ist das Ziel des Synodalen Wegs, um dessen Beginn sich Kardinal Marx sehr verdient gemacht hat.

Wo sehen Sie die Zukunft der katholischen Kirche?

Wir befinden uns in einem Häutungsprozess weg von überkommenen Gottes- und Kirchenbildern. Kirche darf sich nicht so stark am Kirchenrecht orientieren, sondern muss wieder solidarisch und charismatisch sein und sich mit den Herausforderungen der Zeit auseinandersetzen. Gerade jetzt in der Coronakrise leisten Organisationen wie die Caritas oder die Diakonie unendlich wichtige Aufgaben. Und wir alle haben jetzt gemerkt, wie gemeinschaftsbildend ein Gottesdienst sein kann. Das kann eine Fernsehübertragung nicht ersetzen. Insofern ist jetzt genau die richtige Zeit, eine neue Fortschrittsidee vor allem mit den Frauen zu entwickeln. Denn durch Corona wird vieles auf den Prüfstand gestellt.

Alles in allem sind Sie also zufrieden mit dem Buch?

Wenn es die Bereitschaft zu Veränderungen weckt, Ängste nimmt und Mut macht, dann ist das sehr gut. Es zeigt aber auch, dass auch Kardinal Marx eher der von Männern geprägten Kirche entstammt. Trotz aller fortschrittlichen Plädoyers für Frauen in der Kirche – in seinem Literaturverzeichnis sind nur männliche Autoren zu finden. Und der Kardinal muss neben der Kritik aus dem konservativen Lager auch damit rechnen, dass ihn die Menschen an seine fortschrittlichen Worte erinnern werden.

Christian Weisner (68) stammt aus Kiel. Er arbeitete als Stadt- und Verkehrsplaner und ist der Kirche seit Jugendtagen verbunden. Er war Mitinitiator des Kirchen- Volksbegehrens 1995 und gehört als Sprecher zum Bundesteam der Bewegung „Wir sind Kirche“. Weisner lebt mit seiner Familie in Dachau im Erzbistum München und Freising.

Kardinal Reinhard Marx: „Freiheit“, erschienen im Kösel Verlag Mai 2020, 175 Seiten, 18 Euro

 

 

 

Kardinal Reinhard Marx: "Jesus wollte nicht, dass nur Männer die Macht in der Kirche haben"
> spiegel.de 22.5.2020

"Mein Lebensthema": Kardinal Marx gibt in seinem neuen Buch den Freiheitskämpfer (KNA)
> domradio.de 25.5.2020

Kardinal Marx fordert die Erneuerung der Kirche (DPA)
> berliner-zeitung.de 25.5.2020

Zuletzt geändert am 26­.05.2020