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Veröffentlicht am 27­.10.2017

27.10.2017 - Südwest-presse

Kirchenreformer tagen in Ulm

Basisdemokratie statt Bischofsbefehl: Die katholische Laienbewegung „Wir sind Kirche“ wirbt für mutige Reformen und will damit Papst Franziskus unterstützen. Ihre Themen erscheinen aktueller denn je.

dpa Christian Weisner von „Wir sind Kirche“: Bundesversammlung zu Reformationsgedenken.  Foto:  dpa Archiv

Siegfried Fleiner ist 85 Jahre alt, seit 60 Jahren katholischer Priester und ist mächtig sauer auf die obersten Hirten seiner Kirche. „Ich spüre eine zunehmende Wut auf Euch, weil Ihr sehenden Auges unsere Gemeinden und unsere Kirche in eine seelenlose Wüste führt“, hält der Priester den deutschen Bischöfen vor. Mit einem offenen Brief spricht er den Teilnehmern der 40. Bundesversammlung der Reformbewegung „Wir sind Kirche“ aus dem Herzen. Sie findet an diesem Wochenende in Ulm statt.

„Zu unseren Sorgenthemen gehört das von den Kirchenleitungen forcierte Gemeindesterben“, sagt Christian Weisner vom „Wir sind Kirche“-Bundesteam. Laut Angaben der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) ist die Zahl der Pfarreien im Vergleich zu 1990 – damals gab es noch 13 313 – um fast 23 Prozent gesunken. Als einen Hauptgrund sehen die Laien von „Wir sind Kirche“ den Mangel an Priestern.

1995 wurden in den deutschen Bistümern noch 186 Männer geweiht, 2016 waren es nur noch 77, nach sogar lediglich 58 im Jahr zuvor. „Jedes Gemeindemitglied weiß, woher der Priestermangel in unserer Kirche kommt, nämlich, weil Priester nicht heiraten dürfen“, schrieb Ruhestandspfarrer Fleiner. Forderungen nach Abschaffung des Zölibats, der Pflicht zur Ehelosigkeit, aber auch nach Öffnung des Priesteramtes für Frauen werden immer lauter - und stoßen regelmäßig auf die Ablehnung der Bischöfe.

Bis heute hält eine Polarisierung zwischen der eher konservativen Kirchenführung und liberal eingestellten Gläubigen an, die vor 22 Jahren zum Entstehen der basis-demokratischen Reformbewegung „Wir sind Kirche“ führte. Sie wirbt für Reformen, damit „Menschen der Zugang zum Kern der christlichen Botschaft und zur Kirche auch im kommenden Jahrtausend ermöglicht wird“, wie es 1995 in einem „Kirchenvolksbegehren“ hieß.

Dabei sprachen sich 1,8 Millionen Menschen, unter ihnen 1,5 Millionen Katholiken, für diese Ziele aus: Mitsprache der Ortskirchen bei Bischofsernennungen, volle Gleichberechtigung der Frauen - samt Zugang zum Priesteramt -, freie Wahl für Priester zwischen zölibatärer und nicht-zölibatärer Lebensform sowie eine positive Bewertung von Sexualität. Hinzu kam der seitdem oft zitierte Slogan „Frohbotschaft statt Drohbotschaft“, mit dem mehr Verständnis anstelle von Verboten verlangt wird - etwa bei der Zulassung wiederverheirateter Geschiedener zur Kommunion.

Zu den Erstunterzeichnern gehörten Persönlichkeiten wie der Theologe Hans Küng, der Sportreporter Dieter Kürten, die damalige Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth (CDU) sowie Baden-Württembergs damaliger CDU-Ministerpräsident Erwin Teufel.

Die Bischöfe reagierten mit einer Front der Ablehnung. Jahrelang sei man von ihnen „im Prinzip totgeschwiegen worden“, sagt „Wir sind Kirche“-Sprecher Magnus Lux. Daran hat sich wohl nur wenig geändert: „Die Deutsche Bischofskonferenz unterhält zu "Wir sind Kirche" keine offiziellen Kontakte“, erklärt DBK-Pressesprecher Matthias Kopp auf Anfrage. Und: „Eine Debatte über die Zulassung von Priesterinnen sehen wir nicht.“

Freundlich ist hingegen das Verhältnis zum Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK), das rund 24 Millionen katholische Laien repräsentiert. ZdK-Präsident Thomas Sternberg wünschte der Ulmer Bundesversammlung „gute Besprechungen und Beratungen“. Zugleich sprach er sich dafür aus, dass das ZdK neben eher konservativen Bewegungen auch „Wir sind Kirche“ aufnimmt. „Wir repräsentieren den Katholizismus ja in seiner ganzen Breite.“

Sternberg verwies auf den Reformkurs von Papst Franziskus, der viele Kritik-Themen anders aufgreife, als mancher dies erwartet habe. „Und das ist doch inspirierend für die Kirche.“

Diesen Aufwind verspürt man auch bei „Wir sind Kirche“. Für substanzielle Änderungen sei aber eine stärkere und konkrete Unterstützung der Bischöfe für Franziskus nötig. „Verheiratete Priester oder gar Priesterinnen wird es wohl auch in der Amtszeit von Franziskus nicht geben, wenn ihm die Bischöfe nicht endlich mutige Vorschläge machen“, sagt Weisner.

http://www.swp.de/ulm/lokales/ulm_neu_ulm/kirchenreformer-tagen-in-ulm-16333073.html

 

Zuletzt geändert am 28­.10.2017