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Veröffentlicht am 01­.06.2014

1.6.2014 - Publik-Forum

Der Papst aus Pappe

Regensburg ist die Stadt der Ratzingers. Georg wurde hier zum großen Kirchenmusiker, sein Bruder Joseph hielt 2006 im Audimax der Universität als Papst Benedikt seine berühmte Regensburger Rede. Doch keiner der beiden wird auf dem Katholikentag auch nur erwähnt. Stattdessen ist ein Papst aus Pappe allgegenwärtig: Und der heißt Franziskus

Zum ersten Mal fällt er mir im Kolpinghaus auf: Vorn auf der Bühne des Festsaals debattieren Kardinal Reinhard Marx und ein paar andere über die Glaubwürdigkeit einer armen Kirche; rund tausend Leute sitzen im Saal. Am Seiteneingang steht einer still und stumm, der mir frappierend bekannt vorkommt: Ist das nicht Papst Franziskus? Tatsächlich. Mannsgroß und wie er leibt und lebt! Das ist doch nicht möglich! Noch nie ist ein Papst zum Deutschen Katholikentag über die Alpen gekommen. Noch nie, seit 1848! Da bin ich mir ziemlich sicher, schließlich ist Kirchengeschichte mein Spezialgebiet.

Und nun muss diese Geschichte also weitergeschrieben werden: 2014 nimmt ein Papst am 99. Deutschen Katholikentag teil! Ganz bescheiden mischt er sich unter die Menge. Hält die Klappe und lauscht einem Podium. Lächelt still vor sich hin. Und verlangt noch nicht mal einen Sitzplatz im Saal. Als das Podium zu Ende ist, die Leute den Festsaal verlassen, gehe ich auf den Papst zu. Mal mit ihm reden! Das ist doch eine einmalige Gelegenheit. Ich kann weder Italienisch noch Spanisch, mein Latein ist mittlerweile auch nicht mehr wirklich passabel, aber es wird sicher auf Englisch gehen. Nur seltsam, dass alle so einfach an ihm vorbeigehen. Und er sich so gar nicht bewegt. Ich komme näher und näher, der Papst bleibt, wo er ist. Hätte ich doch nur meine Brille dabei; die habe ich im Hotelzimmer liegen gelassen. Absichtlich. Schließlich bin ich ja noch nicht total kurzsichtig! Ich kann auf jeden Fall Päpste erkennen! Dann stehe ich vor ihm. Und sehe: Der Mann ist aus Pappe! Irgendwer hat ihn hier aufgestellt. ( Später erfahre ich, es war das ZDF, das mit diesem Pappkameraden seinen Abschlussbeitrag zum Katholikentag drehen will.) Das ist ja unglaublich! Und irgendwie, finde ich, auch eine verdammt gute Idee. Das sieht man schon daran, dass sich immer wieder Menschen mit dem Papp-Papst fotografieren lassen; andere führen ganze Gespräche mit ihm. Über ihre persönlichen Nöte; über die Armut der Armen und den Reichtum der Kirche; über die Hoffnung, die er, Franziskus, ihnen persönlich macht.

Später treffe ich den Papp-Papst noch mehrfach wieder. Mal steht er am Pressezentrum, mal auf der Katholikentags-Meile, auf der sich Deutschlands Bistümer, katholische Vereine und Verbände zeigen. Mal sprechen vor laufenden Kameras Politikerinnen und Politiker mit ihm, mitten in Regensburgs engen Gässchen. Ob auch Angela Merkel so ein Gespräch hatte? Ich muss mal den Abschlussbericht des ZDF anschauen. Auch Bundespräsident Gauck war ja da. Der hatte allerdings einen solchen Sicherheits-Tross um sich, dass der Papst vermutlich nicht zu ihm vordringen konnte. Die Anwesenheit des Papstes als Pappkamerad veranlasst den deutschen Kardinal und Vorsitzenden der Bischofskonferenz, Reinhard Marx, bei der Pressekonferenz am Samstag noch einmal eigens der Frage nachzugehen, ob es denn einen »Franziskus-Effekt« auf den Katholikentag gegeben habe. Spontan denke ich: Hat er meinen Start-Blog zu diesem Tagebuch gelesen? Könnte schon sein. Wir sind uns aus frühen Jahren etwas besser bekannt; der Mann war mal mein Reli-Lehrer am Gymnasium. Damals war er noch Vikar im Bistum Paderborn. Aber das ist eine andere Geschichte. Marx ist sich jedenfalls an diesem Samstag in Regensburg sicher: »Der Franziskus-Effekt ist da!« Nur: Worin dieser Effekt nun eigentlich besteht, darüber sagt er nichts. Gemeint ist wohl, dass der neue Mann in Rom der Kirche eine Frische-Kur im Auftreten und Mitfühlen verpasst. Die Bilder seiner jüngsten Nahost-Reise sprechen Bände; Franziskus ist politisch präsent, indem er emotionale Gesten setzt, die unvergesslich sind. Er berührt Mauern und Menschen – im wörtlichen wie im übertragenen Sinne. Berührt er auch Deutschlands Katholiken? Christian Weisner, Urgestein der Kirchenvolksbewegung »Wir sind Kirche«, ist mit dem Franziskus-Effekt noch unzufrieden. In Regensburg zeige sich, dass das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK), das den Katholikentag wie immer ausgerichtet habe, »mit Christus Brücken bauen« wolle, sich aber nicht ganz klar darüber sei, »dass am Beginn eines Bauprojekts erst mal Abriss, Schutt und Asche« das Thema wären – »und zwar ziemlich lange«.

Die Bau-Vokabeln gehen Christian Weisner leicht von den Lippen; der Mann arbeitete viele Jahre als Städteplaner. Das macht sich bemerkbar. Was er meint mit seiner Abriss-Metapher: »Weder will Deutschlands katholische Kirche arm sein, noch wollen die Bischöfe etwas von ihren Privilegien abgeben, noch machen sie irgendwelche Anstalten, die Laien, die die überwältigende Mehrheit des Gottesvolkes darstellen, auch nur ansatzweise an Entscheidungen der Kirche zu beteiligen.«

Das sitzt. Und es zeigt, dass schon mal zwei »Problemgruppen« des deutschen Katholizismus den echten Franziskus-Effekt zu verhindern scheinen: die Bischofskonferenz und das – aus Sicht Weisners – zu herrschaftsstabilisierende ZdK. Was aber ist mit der Hoffnung auf den Franziskus-Effekt noch gemeint? Es ist auf jeden Fall die Hoffnung der Kirchenleitenden, dass das verlorene Vertrauen der letzten Jahre wiedergewonnen werden kann. Vertrauensverlust nach innen: Den produzierten vor allem der Missbrauchsskandal, der Prunk und Protz des ein oder anderen Bischofs und die mangelnde Transparenz der kirchlichen Herrschaftsstrukturen. Vertrauensverlust nach außen: Den produzierte die katholische Kirche vor allem dadurch, dass nichts von den inneren Abgründen verborgen blieb – und sie sich, wie alle anderen Institutionen auch, der öffentlichen Meinung stellen musste. Die Folge: Sie sitzt lange nicht mehr so sicher im Sattel wie sie es über Jahrzehnte tat. Und so lenkte der Papst aus Pappe den Blick in Regensburg auch auf das schwieriger werdende Verhältnis zwischen Kirche und Staat. An jenem Tag, als ich ihn zum ersten Mal treffe (es ist der Katholikentags-Donnerstag), bleibt er gleich noch zu einem weiteren Podium: »Mehr als Ideologie und Blasphemie?« Unter diesem etwas kryptischen Titel läuft im Kolpinghaus eine Diskussion über Religion im öffentlichen Raum. Vermutlich kommen gleich zwei Fremdworte im Titel vor, weil die Veranstaltung vom Kreis der katholischen Akademieleiter in Deutschland sowie vom Kreis der Weltanschauungsbeauftragten vorbereitet worden ist. Inhaltlich ist sie dann überraschend konkret und brisant: Die Diskutanten schenken sich nichts. Während zum Beispiel auf der einen Seite die Philosophin und Theologin Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz die bleibende Präsenz der Religion im öffentlichen Raum verlangt und die – auch künftige – Dominanz des Christentums als kulturprägende Religion in Europa gleich mit, erklärt Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Juristin und FDP-Politikerin, warum der religionsfreundliche, aber säkulare Staat die Symbole der einen Religion im öffentlichen Raum nicht als dominant dulden kann. Besser, sie gleich ganz ins Private zu verlegen. Doch da bekommt sie Widerspruch: zum Beispiel von Aiman Mazyek, dem Vorsitzenden der Zentralrats der Muslime, aber ebenso auch von Thomas Sternberg, Akademiedirektor aus Münster.

Wohin mit der Religion? Der Franziskus-Effekt auf Deutschlands Katholiken könnte auch sein, sich über die eigenen Rolle in der Gesellschaft wieder mehr Gedanken zu machen. Der Papst selbst macht mit dem Christentum im Gepäck Politik: Er setzt sich ein für Flüchtlinge und Gestrandete, kriegt die Wut über korrupte Banker, predigt Armut, wo andere im Reichtum schwelgen. Und lässt nichts unversucht, der Kirche ein menschliches Gesicht zu geben. Starke Sätze sind seine Sache. Zum Bespiel jener, mit der er die Auswüchse des weltweiten Kapitalismus geißelt: »Diese Wirtschaft tötet.« Er baut damit Brücken zu Menschen und Institutionen, die sich nicht als christlich verstehen – und die doch wertschätzen, dass es dieses Christentum gibt. Ob der Papst allerdings auch nach innen, in die Struktur und Dogmatik seiner Kirche hinein, ein wirklicher Innovator ist? Ob er zu christlicher Geschwisterlichkeit neigt oder doch zum harten Durchregieren? Noch warten viele Katholikinnen und Katholiken in diesem Punkt auf sichtbare und die Kirche erneuernde Zeichen. Auch der Bundespräsident denkt über den Papst nach. Genau in jenem Audimax, in dem einst Benedikt seine Regensburger Rede hielt – die Gauck aber nicht erwähnt. Stattdessen gießt der evangelische Bundespräsident etwas Wasser in den katholischen Wein: In der Causa Franziskus gelte es abzuwarten, ob dieser Papst wirklich für eine grundlegende Veränderung der römischen Kirche stehe, ob Herzlichkeit und Mitgefühl auch die innere Struktur verändere: »Auch emotionale Menschen können harte Entscheidungen treffen«, sagt er. Der Satz bleibt stehen. Niemand hat ihm etwas hinzu zu fügen. Die Katholiken auf dem Regensburger Katholikentag sind, so scheint es mir, bei den Folgen all dieser Entwicklungen im Kopf noch nicht angekommen. Die Debatten zu Podien bleiben oft seltsam brav, die Stimmung ist freundlich-zurückgezogen. Man ist schon froh, sich mal hier unter lauter Katholiken wohlfühlen zu dürfen. Und der Gesellschaft zu demonstrieren: Uns gibt es auch noch! Jawoll!

Natürlich: Der neue Papst bekommt überall Lob. Man schmückt sich gern mit ihm. Fast schon breitet sich ein neuer Ultramontanismus unter Deutschlands Katholiken aus: Der Mann in Rom wird zum Ankerpunkt des katholischen Alltags auch diesseits der Alpen. Gut lässt es sich katholisch sein mit diesem Franziskus!

Doch was heißt das dann für den eigenen Lebenswandel? Ärmer werden statt immer reicher? Nachhaltige Lebensstile suchen? Das Elend der Flüchtlinge und die Not der Arbeitslosen in die Mitte der Kirchengemeinden holen? Die Linke wählen? Oder doch die Grünen? Vielleicht aber auch, konservativer zu werden? Das Gute zu bewahren und zu schützen, wo es gefährdet ist? Der Papst ist für den Katholikentag in Regensburg noch ein Mann aus Pappe. Lebendig werden seine radikalen Gedanken nicht. Zuviel bayerische Gemütlichkeit ist offenbar irgendwie hindernd.

Doch Franziskus überrascht die deutschen Katholiken in jedem Fall. Er lebt ihnen vor, was der Mittelpunkt des Christseins ist: Nächstenliebe, Gerechtigkeit, Solidarität. Erstaunlicherweise scheinen das viele aber total vergessen zu haben. Es ist schon überraschend zu sehen, wie sehr so ein Papst seine Katholiken verwirren kann. Und das bei aller Begeisterung.

Dieser Text stammt von der Webseite http://www.publik-forum.de/Religion-Kirchen/der-papst-aus-pappe des Internetauftritts von Publik-Forum

Zuletzt geändert am 16­.06.2014