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Veröffentlicht am 13­.09.2010

13.9.2010 - www.weilburger-nachrichten.de

„Man muss diese Betonköpfe einmal aufwecken!“ – KirchenVolksBewegung Wir sind Kirche feiert 15 Jahre

mit Fotostrecke und Video

Guten Tag, Weilburg! Die KirchenVolksBewegung Wir sind Kirche feierte am vergangenen Sonntag 15 Jahre KirchenVolksBegehren. Bei einer Schiffstour auf dem Rhein von Bingen nach Mannheim, der Stadt des Katholikentages 2012, trafen sich 130 Katholiken, die „Gegen den Strom – von Rom“ ihre Kritik an der katholischen Amtskirche äußerten, zugleich aber ihren Willen bekundeten, in der Kirche zu bleiben.

„Die evangelische Kirche ist in meinem Dorf, einem Ort in der Nähe von Dillenburg, gleich gegenüber. Ich habe schon oft überlegt, aber nein, ich bin Teil der katholischen Kirche und will das bei aller Kritik auch bleiben,“ sagt Henny Toepfer, Sprecherin der Bewegung im Bistum Limburg.

Vor 15 Jahren formulierten katholische Christen zunächst in Österreich und wenig später in Deutschland ihre Kritik an der Amtskirche. Innerhalb kürzester Zeit kamen alleine in Österreich 500.000 Unterstützer-Unterschriften zusammen, in Deutschland waren es zwischen September und November 1995 genau 1.845.141 Menschen, davon fast 1,5 Millionen Katholiken, welche den Forderungskatalog unterschrieben. Die KirchenVolksBewegung forderte die Amtskirche auf, eine geschwisterliche Kirche zu schaffen. Sie will die bedingungslose Gleichstellung der Frauen (auch die Zulassung zum priesterlichen Amt) und eine freie Wahl der PriesterInnen zwischen Ehelosigkeit oder nicht-zölibatärer Lebensweise. Wichtig ist eine positive Bewertung der Sexualität als Teil des von Gott geschaffenen Menschen. Schließlich fordert Wir sind Kirche eine Frohe Botschaft durch die Amtsträger, statt der so oft gehörten Drohbotschaften. Heute kommen zwei weitere Forderungen hinzu: die Ökumene und die Umsetzung des 2. Vatikanischen Konzils.

Diese Forderungen sind heute so aktuell wie vor 15 Jahren. Aus dem Kirchenvolksbegehren, einer Protest-Unterschriftenaktion, wurde eine Protest- und Reformbewegung innerhalb der katholischen Kirche. Während zu Anfang die Bewegung eher ignoriert wurde, ist heute stellenweise offene Feindschaft zu spüren. Nicht nur im Bistum Limburg mit Bischof Tebartz van-Elst an der Spitze, auch in vielen anderen Bistümern ist Wir sind Kirche nicht gerne gesehen.

Immer wieder meldet sich die KirchenVolksBewegung Wir sind Kirche zu Wort. Immer wieder fordert sie eine Umsetzung der Beschlüsse des von Papst Johannes XXIII einberufenen 2. Vatikanischen Konzils (1963 – 1965). Keiner der fünf ursprünglichen Forderungen wurde bisher kirchenrechtlich umgesetzt. Aber auch in der wohl größten Krise der römisch-katholischen Kirche seit der Reformation (sexualisierte Gewalt gegen Kinder und Jugendliche durch Geistliche) begleitet Wir sind Kirche den Prozess mit Diskussionen, Dialogen und konstruktiver Kritik.

Nach dem KirchenVolksBegehren 1995 wird im Juni 1996 anlässlich des Papstbesuches in Deutschland ein Programm in Paderborn mit dem Motto „Vielfalt statt Einfalt – Auch wir sind Kirche, Bruder Papst!“ veranstaltet. 1997 wird der erste Aufruf zur KirchenVolksPredigt veröffentlicht. Kurze Zeit später wird bei der Frühjahrsvollversammlung der Bischöfe für die Öffnung des ständigen Diakonats für Frauen demonstriert.

1998 gründet Wir sind Kirche den Verein „Frauenwürde e.V.“, nachdem sich die deutschen Bischöfe auf Anweisung des Papstes aus der Schwangerenkonfliktberatung zurückgezogen hatten. 1999 gibt es Wir sind Kirche schon in 20 Ländern auf fünf Kontinenten. 2001 erscheint eine Resolution zur „eucharistischen Gastfreundschaft“ und Wir sind Kirche nimmt kritisch Stellung zum Plan der Zusammenlegung von Kirchengemeinden zu Seelsorgeeinheiten, um dem wachsenden Priestermangel abzuhelfen. Schon 2002 richtet Wir sind Kirche ein Notfalltelefon für Opfer von sexualisierter Gewalt durch Priester und Ordensleute ein. Die Rufnummer wird gerade heute intensiv in Anspruch genommen. Nach der Aufdeckung jahrzehntelanger sexualisierter Gewalt am Berliner Canisius-Kolleg wird alleine im ersten Halbjahr 2010 die Notrufnummer 300 Mal angewählt und diese Hilfesuchenden werden tatsächlich auch begleitet.

2003 setzt Wir sind Kirche zum 1. Ökumenischen Kirchentag ein Zeichen für die Ökumene und die eucharistische Gastfreundschaft. In zwei Gottesdiensten in der Berliner Gethsemane-Kirche werden alle Christen zur Kommunion und zum Abendmahl eingeladen. Professor Hasenhüttl (katholischer Priester) wird wegen der Leitung des katholischen Gottesdienstes suspendiert, dem katholischen Pfarrer Kroll wird wegen des Empfangs des Abendmahls sein Pfarreramt aberkannt.

Im Selbstverständnis der KirchenVolksBewegung Wir sind Kirche ist der Platz für Kritik nicht außerhalb, sondern innerhalb der römisch-katholischen Kirche. Weil katholische Christen sich ihrer gemeinschaftlichen Verantwortung nicht entziehen wollen. Kirche ist Lebensraum und Heimat. Sie bietet Orientierung und Halt und macht das Leben lebenswert. Und weil in der Kirche trotz der autoritären Strukturen, die Angst machen, die Freude an der Botschaft Jesu weiterlebt.

Von vielen Menschen innerhalb und außerhalb der Kirche wird die KirchenVolksBewegung als wichtigste kritische Gruppierung in der katholischen Kirche wahrgenommen: Engagiert, kompetent und loyal.

Jetzt ist die KirchenVolksBewegung Wir sind Kirche schon 15 Jahre alt. Die Mitglieder kommen in die Jahre, es scheint alleine eine biologische Frage zu sein, wie lange Wir sind Kirche noch eine kritische Begleitung der katholischen Kirche sein und Reformen einfordern kann. Nur wenige junge Menschen wachsen nach.

Als aber Christian Weisner, Gründungsmitglied und Sprecher der KirchenVolksBewegung über die „letzten 15 Jahre sprach“, gab es gleich aus dem Kreis der 130 Teilnehmer die Korrektur:“ Wir sollten nicht über die „letzten“ 15 Jahre sprechen, wir sollten über die „ersten“ 15 Jahre reden!“

Ob der KirchenVolksBewegung Wir sind Kirche sind noch viele Geburtstage zu wünschen sind? Lieber nicht, denn das würde bedeuten, dass die römisch-katholische Amtskirche weiterhin die Augen vor den dringend notwendigen Reformen verschliesst. Wir wünschen ihr vielmehr die Kraft, weiterhin engagiert, loyal, kompetent und kritisch gegen den Strom zu schwimmen.

Zuletzt geändert am 29­.01.2014