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Veröffentlicht am 07­.03.2022

7.3.2022 - KNA

Theologe Greinacher gestorben - Würdigung als kritisches Vorbild

Von Michael Jacquemain (KNA)

Tübingen (KNA) Der Tübinger Theologieprofessor Norbert Greinacher ist am Samstagmittag im Alter von 90 Jahren gestorben. Das berichtete zuerst der SWR und berief sich dabei auf Greinachers anwaltlichen Betreuer. Der Priester erregte seit den 1970er Jahren Aufmerksamkeit mit Kritik an Leitung, Lehre und Personen der katholischen Kirche. Von 1969 bis zur Emeritierung 1997 lehrte der Freiburger in Tübingen Praktische Theologie. In den vergangenen Jahren lebte Greinacher gesundheitlich stark beeinträchtigt und zurückgezogen in Tübingen.

Der Dekan der dortigen Katholisch-Theologischen Fakultät, Matthias Möhring-Hesse, würdigte Greinacher auf Anfrage der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) als Vorbild
für das theologische Fach, so wie es heute selbstverständlich betrieben wird. Greinacher stehe für das theologische, aber auch außertheologische Bemühen, das katholische Christentum gesellschaftlich zu önen und aus seiner milieuhaften Abschließung zu befreien.

Der Theologe habe gewollt, dass die Kirche aus den institutionellen und programmatischen Verkrustungen des römischen Katholizismus ausbricht. Gegen eine enge, ungerechte, kirchlich-klerikal erstarrte Wirklichkeit habe Greinacher die Utopie einer emanzipatorischen, partizipativen und herrschaftsfreien Kirche gesetzt, so Möhring-Hesse.

Die Gruppe Wir sind Kirche würdigte Greinacher als einen ihrer Mitgründer. Der Theologe habe sich für eine Öffnung katholischer Milieus engagiert und sei ein Brückenbauer zur lateinamerikanischen Befreiungstheologie gewesen. Wissenschaftlich habe Greinacher interdisziplinär gedacht.

1993 war es zum Konikt zwischen Greinacher und dem damaligen Rottenburg-Stuttgarter Bischof und späteren Kardinal Walter Kasper gekommen: Greinacher hatte den von Kasper mitentwickelten Weltkatechismus der katholischen Kirche als Desaster bezeichnet.

Zudem legte Greinacher Papst Johannes Paul II. wegen dessen Ablehnung des Frauenpriestertums den Rücktritt nahe. Die Argumentation des Papstes nannte er theologischen
Unsinn und forderte die Frauen auf, in dieser Frage nicht auf Papst und Bischöfe zu hören. Wiederholt wurde Greinacher für seine Äuÿerungen öentlich gemaÿregelt. Die kirchliche Lehrerlaubnis wurde ihm indes nie entzogen. Das SPD-Mitglied gehörte zu den Gründern der Initiative Kirche von unten. Er engagierte sich für die Revolution der Sandinisten in Nicaragua und für die Friedensbewegung. Mit anderen Prominenten erhielt Greinacher 1985 einen Strafbefehl wegen Nötigung, weil er an einer Blockade des US-Raketenstützpunktes in Mutlangen bei Schwäbisch Gmünd teilgenommen hatte.

Der SPD-Ehrenvorsitzende Hans-Jochen Vogel würdigte Greinacher 1996 als Wissenschaftler, der die Verbindung zwischen katholischem Christentum und demokratischem Sozialismus bezeugt hat. Greinacher habe oft in einer für Kirche und Partei unbequemen und provozierenden Weise gehandelt. Greinacher studierte in Freiburg und Paris Theologie. 1955 promovierte er über die Soziologie der Pfarrei. Von 1958 bis 1963 leitete er das Pastoralsoziologische Institut in Essen. 1966 wurde er in Wien habilitiert und erhielt ein Jahr später einen Ruf nach Münster. 1969 wechselte er nach Tübingen.

Zuletzt geändert am 07­.03.2022