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Veröffentlicht am 26­.04.2020

26.4.2020 - Domradio / DPA

Neuer Versuch - Bischöfe ringen um Aufarbeitung des Missbrauchs Spitze des Eisbergs

Die Deutsche Bischofskonferenz befasst sich kommende Woche einmal mehr mit dem Missbrauchsskandal, der die Kirche immer wieder erschüttert. Die Bischöfe ringen um eine "Gemeinsame Erklärung". Eine letzte Chance, Vertrauen zurück zu gewinnen?

Es ist in diesem Herbst zwei Jahre her, dass die katholische Kirche ihre große Missbrauchsstudie und mit ihr erschreckende Zahlen veröffentlichte. Mindestens 3677 Minderjährige wurden in den Jahren 1946 bis 2014 in Deutschland von 1670 Klerikern missbraucht.

Doch die Studie war von Anfang an von Kritik begleitet: Die Forscher hätten keinen unbeschränkten Zugang zu Akten gehabt. Diejenigen, die die Täter gedeckt hätten, würden nicht benannt. Die Unterlagen, die die Kirche an die Staatsanwaltschaften weitergeleitet hätten, seien wertlos. Das, was da bekannt werde, sagten Betroffene, sei doch ohnehin nur die Spitze des Eisbergs.

Jetzt steht die katholische Kirche möglicherweise vor einem neuen Versuch, das Unrecht, das so vielen Kindern und Jugendlichen angetan wurde, aufzuarbeiten. Im Ständigen Rat der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) befassen sich die Bischöfe in einer Videokonferenz an diesem Montag mit der Frage, ob in den bundesweit 27 Bistümern unabhängige Aufarbeitungskommissionen eingesetzt werden sollen, die Fälle nach einheitlichen Kriterien ab- und aufarbeiten. Wann öffentlich wird, ob und was dort entschieden wird, sei aber unklar, sagt DBK-Sprecher Matthias Kopp. Möglicherweise soll es im Laufe der Woche eine Erklärung geben.

Gemeinsame Erklärung

Der DBK-Missbrauchsbeauftragte, der Trierer Bischof Stephan Ackermann, und der Missbrauchsbeauftragte der Bundesrepublik, Johannes-Wilhelm Rörig, haben dazu eine "Gemeinsame Erklärung" aufgesetzt, die - so Rörigs Hoffnung - nun von allen Bischöfen angenommen und umgesetzt werden soll. Aus seiner Sicht ist es so etwas wie die letzte Chance. "Wollen die Bischöfe Vertrauen und Glaubwürdigkeit für ihre Kirche zurückgewinnen, sollten sie jetzt gemeinsam mit aller Kraft und Ernsthaftigkeit an einem Strang ziehen und sich gegenseitig unterstützen", sagt Rörig.

Ackermann will sich dazu vor der Sitzung des Rates nicht äußern, auch andere Bischöfe sind zurückhaltend. Sie wollten dem Rat "nicht vorgreifen" heißt es beispielsweise fast einstimmig von den bayerischen Bischöfen. Der neu ernannte Augsburger Bischof Bertram Meier sagt, in seinem Bistum gebe es bereits Gremien, die sich mit der Aufarbeitung befassen und die "gezielt auch mit externen Mitgliedern" besetzt seien. Das Bistum Regensburg verweist darauf, dass Bischof Rudolf Voderholzer schon nach der Veröffentlichung der sogenannten MHG-Studie einen "TÜV" für alle Institutionen in Deutschland gefordert habe, der unabhängig und vergleichend begutachten sollte.

Unabhängige Aufarbeitung

Es ist nicht so, dass es noch keine Versuche gegeben hätte für eine bistumsweite unabhängige Aufarbeitung: Das Erzbistum München und Freising, das seit jeher unter besonderer Beobachtung steht, weil der spätere Papst Benedikt XVI. dort als Joseph Ratzinger zwischen 1977 und 1982 Erzbischof war, hat bereits vor zehn Jahren den sogenannten "Westphal-Bericht" bei einer externen Rechtsarbeitskanzlei in Auftrag gegeben. Der wurde aber nie veröffentlicht. Inzwischen hat das Bistum einen neuen Bericht angekündigt, der es auch an die Öffentlichkeit schaffen soll. Darin sollen nach Angaben eines Sprechers auch jüngst bekannt gewordene massive Vorwürfe gegen das ehemalige katholische Piusheim bei München untersucht werden.

In Köln wartet man noch immer auf die Veröffentlichung eines Berichts, der benennen soll, wer im Erzbistum dafür verantwortlich war, dass Missbrauchsfälle nicht konsequent aufgedeckt wurden. Der Kölner Erzbischof Rainer Woelki hat die Vorstellung der Ergebnisse im März aber kurzfristig verschoben. Ein neuer Termin wurde noch nicht mitgeteilt. Der Grund: Eine "unklare Rechtslage".

Regeln zur Veröffentlichung

"Zu den Standards von Aufarbeitung gehört auch, dass die Regeln der Veröffentlichung zu Beginn eines solchen Prozesses klar und verbindlich festgelegt werden", sagt der Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Rörig. "Geschieht dies nicht, sind Enttäuschung und Kritik groß, wie jetzt im Erzbistum Köln."

Das Landeskomitee der Katholiken in Bayern forderte kurz vor der Zusammenkunft des Ständigen Rates unabhängige Ombudsstellen zur Prävention und Aufarbeitung von Missbrauch in den einzelnen Bistümern im Freistaat. Ein Konzept müsse entwickelt werden, "wie in Gegenwart und Zukunft alles getan wird, um Kinder und Jugendliche zu schützen, Täter abzuschrecken und diesen abscheulichen Taten Einhalt zu gebieten", hieß es in einem Schreiben der Laien-Organisation an die Diözesen.

Flache Lernkurve

Aus Sicht der Reformbewegung "Wir sind Kirche" ist es höchste Zeit dafür. "Die Lernkurve der Kirche ist da sehr, sehr flach", kritisiert ihr Sprecher Christian Weisner. "Beim Piusheim hat man das wieder gesehen: Sie reagieren immer erst auf Nachfrage, auf Anstoß aus der Politik. Aber sie agieren nie von sich aus." Eine unabhängige Aufarbeitung sei nur dann möglich, wenn diejenigen, die aufarbeiten, uneingeschränkten Zugang zu den Unterlagen bekämen. "Wenn nicht wirklich jemand von außen rein kann, wird immer gefiltert." Weisner hofft, dass es den Bischöfen nun mit der Verabschiedung der "Gemeinsamen Erklärung" gelingt, "sich demütig zu zeigen".

Britta Schultejans
 
(dpa)

Zuletzt geändert am 27­.04.2020