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Veröffentlicht am 14­.03.2019

14.3.2019 - DIE ZEIT Glauben & Zweifeln

Was in Deutschland jetzt passieren muss

Vier Experten sagen, was sie in Sachen Missbrauchsaufklärung erwarten

Hört auf das Kirchenvolk!

Als ehemalige Priester-Seminaristen 1995 Vorwürfe gegen den Wiener Kardinal Hans Hermann Groër erhoben, er habe sie sexuell missbraucht, entstand in Österreich die Kirchenvolksbewegung »Wir sind Kirche«. Wir forderten damals: mehr Mitsprache des Kirchenvolkes, Weihe von Frauen, Aufhebung des Pflichtzölibates und eine Reform der Sexuallehre. Heute glauben wir: Wären unsere Forderungen und die vieler anderer Reformgruppen rasch aufgegriffen worden, wäre vielen Betroffenen großes Leid erspart geblieben. Und die katholische Kirche wäre jetzt nicht in der größten Glaubwürdigkeitskrise seit der Reformation. Doch Papst Johannes Paul II., unterstützt von Joseph Ratzinger als Präfekt der Glaubenskongregation, sperrte sich gegen alle Reformimpulse der Kirchenbasis und selbst der Bischöfe. Erst Papst Franziskus machte den Kampf gegen sexualisierte Gewalt zur Chefsache. Immer wieder ruft er in Erinnerung, dass auch die römisch-katholische Kirche eine synodale, also partizipative Kirche sein muss. Nach der weltweiten Erschütterung, die der Missbrauch durch Kleriker ausgelöst hat, ist es jetzt an den Bischöfen, auf das Kirchenvolk zu hören, wenn sie noch glaubwürdig die Botschaft Jesu vertreten wollen.

Christian Weisner ist Sprecher der Kirchenvolksbewegung »Wir sind Kirche«


Der Rechtsstaat soll sich einmischen!

Die katholische Kirche trägt die Universalität bereits im Namen. Wir fordern von ihr ein weltweites Bekenntnis zur Aufarbeitung und zur Entschädigung der Opfer. Das wollten wir als Vertreter von Betroffenen weltweit bereits den versammelten Bischöfen in Rom sagen. Wir wurden nicht empfangen. Jetzt stehe ich vor dem Gebäude der Vollversammlung der Vereinten Nationen, um der Präsidentin der Vollversammlung und dem Büro des Generalsekretärs zu sagen: Eine globale Krise braucht eine globale Antwort. Seit über 30 Jahre bringen Betroffene in einem Land nach dem anderen den Missbrauch durch Priester ans Licht. Machtstrukturen der katholischen Kirche und auch ihre Lehren zur Sexualität haben diese Taten begünstigt und ermöglicht. Die Kirche wird sich reformieren müssen, wenn sie nicht untergehen will. Dafür braucht sie Zeit. Wir aber können nicht länger warten. Opfer brauchen jetzt die Wahrheit über die Taten, die ihr Leben so nachhaltig beeinflusst haben, sie brauchen Hilfe, um die Folgen des Missbrauchs in ihrem Leben zu bewältigen, und sie haben ein Recht auf eine Entschädigung für den angerichteten Schaden. Deshalb appellieren wir an die Regierungen der Welt, uns zu unterstützen.

Matthias Katsch ist Mitbegründer des internationalen Betroffenen-Verbandes »Ending Clergy Abuse«
 

Bitte nicht vom Teufel reden!

Bin ich der große Bescheidwisser? Ich bin es nicht. Ich höre von Opfervertretern zwei Forderungen: Die Verantwortungskette für Fehleinschätzungen bis hin zur Strafvereitelung sichtbar machen! Entschädigung regeln! Ich weiß, wie komplex auch letzteres Thema ist, aber eine Antwort muss her. Kardinal Schönborn hat es 2010 für Österreich vorgemacht. Eine unabhängige Kommission und eine gestaffelte Regelung für Entschädigungszahlungen. Dem Papst würde ich gern von Jesuit zu Jesuit zurufen: Lass das Reden vom Teufel! So wie du es tust, verbindest du einige Dinge falsch, wie deine Vorgänger auch schon. Der Effekt ist: Verwirrung. Du lenkst ab. Von der Verantwortung der Täter. Von der Verantwortungskette. Und auch von den Opfern. Selbsterkenntnis tut weh, gewiss, aber: Die Kirche ist nicht Opfer. Das Böse kommt nicht von außen in die Kirche hinein. Sie wird auch nicht rein, wenn das Böse in ihr »ausgemerzt« wird. Das hat noch nie geklappt und wird auch in diesem Fall nicht klappen.

Klaus Mertes ist Jesuit und Schulleiter am Kolleg St. Blasien im Schwarzwald

 

Schluss mit der Selbstblockade!

Katholisch zu sein bedeutet nicht, immer einer Meinung zu sein – das hat sich inzwischen auch in der Bischofskonferenz herumgesprochen. Ob Eucharistie für nicht katholische Ehepartner, ob Frauenfrage oder Umgang mit der Vertuschung sexueller Gewalt: Der Zwang zum Konsens ist dem (mehr oder minder) offen ausgetragenen Streit gewichen. Doch eine wirksame Methode, mit dieser Binnenpluralisierung umzugehen, ohne in einer strategischen Blockade unterschiedlicher Lager zu enden, haben die Bischöfe bisher nicht gefunden. Das System schreibt dem einzelnen Bischof so viel Macht zu, dass er im Letzten nicht kompromissfähig sein muss. Gefährlich wird es dort, wo die Blockadepolitik notwendige Veränderung verhindert und alte Stereotype aus der bleiernen Zeit der letzten beiden Pontifikate wiederbelebt: Mehrheit gegen Wahrheit, Welt gegen Kirche, »heiliger Rest« der Katholiken gegen libertären Zeitgeist. Mein Rat an die Bischöfe: Werdet endlich katholischer! Pocht nicht unreflektiert auf Tradition, stilisiert nicht die Kirche zur Sonderwelt, setzt auf das bessere theologische Argument!

Johanna Rahner lehrt Dogmatik an der Universität Tübingen

 

https://www.zeit.de/2019/12/missbrauchsaufklaerung-kirche-sexuallehre-aufarbeitung-entschaedigung-opfer

 

 

Zuletzt geändert am 14­.03.2019