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Veröffentlicht am 27­.02.2019

27.2.2019 - tz München

„Eine neue Zeit ist angebrochen“

Was bedeutet die Verurteilung von Kardinal Pell?

Dr. Edgar Büttner, Wir sind Kirche im Erzbistum München und Freising:

Eine gute Nachricht. Es ist höchste Zeit, dass ihn die gerechte Strafe ereilt. Er hat sich schuldig gemacht, andere haben seine Taten vertuscht.

Wird der Fall der Ex-Nummer drei im Vatikan Wellen schlagen?

Büttner: Ganz sicher. Er wird in Australien die Reformkräfte stärken. Wir von Wir sind Kirche haben vor einigen Jahren das Buch Macht, Sexualität und die katholische Kirche. Eine notwendige Konfrontation des australischen Weihbischofs Geoffrey Robinson übersetzt. Solche fortschrittlichen Leute wurden immer durch Sperrminoritäten aus Rom abgeblockt – durch Männer wie Kardinal Pell. Da nützte es nichts, wenn80 oder 90 Prozent der Gläubigen für eine Reform waren. Jetzt aber fällt langsam alles in sich zusammen, jeder sieht die Doppelmoral der Kirchenmächtigen. Auch dass der Washingtoner Kardinal Theodore McCarrick vom Papst aus dem Klerikerstand entlassen wurde, war ein starkes Zeichen.

War der Anti-Missbrauchsgipfel in Rom in Ihren Augen ein Erfolg?

Büttner: Er war ein Anstoß. Es ist eine neue Zeit angebrochen, und das ist nicht mehr zurückzudrehen. Die restaurative Phase unter dem polnischen und dem deutschen Papst ist vorbei .Franziskus ist der Erste, der sich des Themas ernsthaft annimmt. Erarbeitet wie ein Schleusenwärter, der den Stau, den es gegeben hat, langsam auflöst. Johannes Paul II. hat alles verleugnet, Ratzinger hat alles an sich gezogen, aber auch versucht, staatliche Gesetze draußen zu halten, In Deutschland ist es bereits so, dass die Kirche mit dem Staat zusammenarbeiten muss, es darf keine parallele Justiz geben.

Warum ist sexueller Missbrauch bei katholischen Priestern und Ordensleuten so verbreitet?

Büttner: Aus Sicht von Wir sind Kirche und aus meiner Sicht als verheirateter katholischer Priester liegt es zu einem großen Teil an der restriktiven Sexualmoral in der Kirche: ihr Umgang mit Homosexuellen, ganz gravierend natürlich am Zölibatsgesetz. Und an der Verweigerung der Frauenordination. Aus diesem Gebräu entstand eine Überhöhung des Priesterbildes, eine Machtstruktur, die dazu führen kann, dass solche Übergriffe stattfinden können.

Was muss jetzt passieren?

Büttner: Es müssen konkrete Schritte festgelegt werden – dass mit der Staatsanwaltschaft zusammengearbeitet werden muss, dass Akten offengelegt werden, dass Leute, die sexuellen Missbrauch begangen haben, nicht länger Priester sein können. Dann müsste sich die Kirche darauf besinnen, dass sie zahlreiche Menschen hat, die sie in Amt und Würden bringen kann: die vielen Pastoralreferenten und -referentinnen, 300 bis 400 verheiratete Priester leben allein in der Erzdiözese München Freising – so viel brachliegendes Potenzial! Die Kirche bleibt hinter den Anforderungen des Evangeliums zurück. Zu einer grundsätzlichen Änderung ist aber auch die Mehrheit des deutschen Episkopats noch nicht bereit. Der Papst hat mehrfach angestoßen, man könne das Zölibatsgesetz diskutieren, und Lockerungen eingeführt.

Gibt es weitere Veranstaltungen, auf die Sie Ihre Hoffnung setzen?

Büttner: Im Oktober steht die Amazonas- Synode an, 2020 tritt der australische nationale Priesterrat zusammen. Er wird nahezu geschlossen für die Aufhebung des Zölibatsgesetzes stimmen. Das könnte zu einer Regionalisierung dieses Gesetzes führen–das hatte Bergoglio schon als Kardinal vorgeschlagen. In Europa könnte es aufgehoben werden, weil sonst die Eucharistiefähigkeit der Gemeinden nicht mehr gegeben ist. Der Nachwuchs liegt ja auf der Nulllinie.

INT.: B. WIMMER

 

Zuletzt geändert am 27­.02.2019