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Veröffentlicht am 07­.11.2017

6.11.2017 - Die Welt

Kirche positioniert sich als Anwalt der Flüchtlinge

Von Christoph Driessen

uch Jesus war ein Flüchtling. Der Evangelist Matthäus berichtet, wie Maria und Josef mit ihrem kleinen Jungen nach Ägypten fliehen, um dem Potentaten Herodes zu entgehen. Die Geschichte hat Künstler durch alle Epochen immer wieder inspiriert. Pieter Bruegel (1525/30–1569) versetzte die Flüchtlingsfamilie kurzerhand in eine mitteleuropäische Gebirgslandschaft – wenn man das Bild heute sieht, könnte man an die Balkanroute denken. Auf Anhieb wird klar: Beim Thema Flucht ist die Kirche in der Pflicht.

Tatsächlich gehören sowohl die katholische als auch die evangelische Kirche zu den Hauptpfeilern der Flüchtlingshilfe. Die katholische Seite organisierte am Montag in Köln bereits zum dritten Mal einen Flüchtlingsgipfel, zu dem 130 Praktiker, Experten und Ehrenamtliche aus ganz Deutschland zusammenkamen.

„Auch wenn wir nicht für alle Probleme eine Lösung anbieten können: Es ist unsere Aufgabe, präsent zu sein“, mahnte der Sonderbeauftragte für Flüchtlingsfragen, der Hamburger Erzbischof Stefan Heße. Etwa 100.000 freiwillige Helfer haben nach seinen Angaben die Erstaufnahme in den Kirchengemeinden unterstützt. Zudem bemühten sich 6000 professionelle Mitarbeiter um die Flüchtlinge. Allein im vergangenen Jahr hätten die deutschen Bistümer und die kirchlichen Hilfswerke 128 Millionen Euro für die Flüchtlingshilfe aufgebracht.

Ist das genug? „Ich glaube, es wird für das Engagement, was von uns allen in Zukunft noch nötig sein wird, keine Obergrenze geben können“, meint Christian Weisner von der katholischen Reformbewegung „Wir sind Kirche“. „Die Kirchen haben vielfältige Möglichkeiten, sie haben Grundbesitz und große finanzielle Ressourcen, denken wir an die Kirchensteuereinnahmen.“

Kirche erhält Entschädigung vom Staat

Und sie bekommen für eine ganze Menge Leistungen Ersatz. „Das ist etwas, was viele gar nicht wissen: Die Kirchen werden vom Staat finanziell entschädigt, wenn sie zum Beispiel Gebäude zur Verfügung stellen“, erläutert Weisner. „Das sollte man nicht vergessen, wenn die Kirchen auflisten, was sie alles für die Geflüchteten tun.“

So lobenswert die Hilfe sein mag – sie erfolgt nicht nur aus reiner Nächstenliebe. Vor allem die katholische Kirche hat damit ein Thema besetzt, mit dem sie sich gesellschaftlich positionieren kann und nahezu permanent in der öffentlichen Debatte präsent ist. Vorher machte sie vor allem durch den Missbrauchskandal oder den Limburger „Protz-Bischof“ Franz-Peter Tebartz van Elst von sich reden – jetzt tritt sie als Anwalt der Flüchtlinge auf. Die Kirche habe dadurch „eine neue Relevanz gewonnen“, sagte der Kölner Erzbischof Rainer Woelki vor einiger Zeit in einem dpa-Interview.

Solidarität statt Hartherzigkeit

Bei der Hilfeleistung kann die Kirche eine ihrer größten Stärken ausspielen – ihren hohen Organisationsgrad. Der Wohlfahrtsverband Caritas und das noch immer dichte Netz von Pfarrgemeinden sind dabei von unschätzbarem Wert. Denn auch das hat die Flüchtlingskrise gezeigt: Guter Wille allein reicht oft nicht aus, man muss auch auf Erfahrung und auf gewachsene Strukturen zurückgreifen können.

Vielleicht ebenso wichtig ist die Bewusstseinsbildung, die die Kirche in Deutschland betreibt: Sie nimmt viele Menschen mit – auch solche, die eher konservativ eingestellt sind und Vorbehalte gegenüber dem Zuzug von Fremden haben. Bischof Heße mahnte am Montag in Köln: „Als Christen kann es uns nicht gleichgültig sein, wenn Hartherzigkeit an die Stelle von Solidarität tritt und Ressentiments den Blick auf den Nächsten verdunkeln.“

https://www.welt.de/regionales/nrw/article170380947/Kirche-positioniert-sich-als-Anwalt-der-Fluechtlinge.html

Zuletzt geändert am 11­.11.2017