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Veröffentlicht am 25­.09.2016

25.9.2016 - Münchner Kirchenzeitung

Die Zölibats-Debatte

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Es geht um einen Wandel der Kirche

Immer weniger Männer entscheiden sich für den Pflichtzölibat. Brauchen wir Reformen? Natürlich! Dringend! Dabei steht das Ideal der Ehelosigkeit als solches überhaupt nicht zur Disposition. Es bleibt für immer eine jeweils ganz persönliche Herausforderung, ist kein Sakrament, sondern eine Lebensweise, die weder höher noch niedriger eingestuft werden kann und soll als die eheliche Gemeinschaft, und diese von einer ganz besonderen Warte aus bedeutsam macht.

Aber als verpflichtende Bestimmung für einen Berufsstand in der Kirche wird der Zölibat schon lange nicht mehr als notwendig erachtet. Wir stoßen hier nicht auf eine besondere Form des Unglaubens. Die Bedingungen, wie Menschen heute eben fühlen, denken und glauben, haben sich radikal gewandelt. Eine Sonntagspflicht zwingt heute auch niemanden mehr in die Kirche, sondern ausschließlich engagierte, ansprechende, ehrliche und lebendige Gottesdienste. Genauso aber überzeugt auch kein Pflichtzölibat für einen Weg, der von der Natur her an sich nicht vorgesehen ist, dennoch nie seinen Reiz verloren hat und gerade in einer modernen Gesellschaft neue Begeisterung wecken könnte.

Es ist auch nicht der personelle Mangel, der uns in dieser Reformfrage antreiben soll. Alle seit Jahrzehnten diskutierten Reformvorschläge werden keine sofortige Verbesserung der Situation der Kirche innen (individuelles und kollektives Glaubensleben) wie außen (wirksame Verkündigung des Evangeliums Christi) bringen.

Es geht schlichtweg um einen Wandel der Kirche weg von einer Anstalt zur Befriedigung religiöser Bedürfnisse hin zu einer wirklich lebendigen und glaubwürdigen Gemeinde, in der jeder Einzelne gleichermaßen befähigt und berufen ist, in die Christusnachfolge einzutreten. Die Einladung „Komm und sieh“ eines Jesus von Nazareth gilt allen Menschen! Sie muss wieder erlebbar werden. Nicht den fehlenden Berufungen sollen wir also nachtrauern, sondern uns auf die Berufenen konzentrieren, die schon da sind.

Pfarrer Rainer Schießler leitet die Pfarreien St. Maximilian und Heilig Geist in München.


Prophetischer Luxus

Wenn ich die schier endlose Debatte über den Zölibat verfolge, frage ich mich immer wieder: Wozu soll sie gut sein? Sollen der Zölibat aufgehoben und damit wie durch Zauberhand alle Schwierigkeiten der Kirche gelöst werden? Verlust des Glaubens, Ausdünnung der Gemeinden, Mangel an Priestern, pastoralen Mitarbeiter/innen und an engagierten Gläubigen? Ein Blick auf die evangelischen Kirchen zeigt die freundliche Naivität der Idee: Dort ist die Ehelosigkeit von Geistlichen freigestellt und damit faktisch aufgehoben. Die Herausforderungen sind dieselben wie bei uns.

Der Zölibat ist ein Problem. Er ist ein Stein des Anstoßes. Wir bräuchten aber nicht weniger solcher Steine, sondern mehr. Unsere Gesellschaft genügt sich immer mehr selbst und schottet sich ab, nach außen wie nach oben: Alles, was irgendwie anders ist, beunruhigt. Flüchtlinge, Migranten, Religionen. Wir bleiben am liebsten unter uns.

Sendung der Kirche ist, diese Selbstisolierung zu durchbrechen. Sendung der Kirche ist, die Fesselung an die Horizontale zu durchstoßen und auf die größere Wirklichkeit Gottes zu zeigen. In dieser Aufgabe stehen auch die Priester. Ihr Lebenszeugnis der Ehelosigkeit weist auf diese größere Realität Gottes hin: seine Liebe jenseits jeder Liebe, die wir Menschen uns vorstellen können.

Unsere Zeit, die immer gleichförmiger wird, braucht prophetische Zeichen. Sie braucht prophetische Menschen, die ihren Lebenssinn nicht aus Konsum und Unterhaltung ziehen, sondern aus ihrer Gottesbeziehung. Zu ihnen gehören Priester. Die Kirche wird klug beraten sein, das anstößige Zeichen priesterlicher Ehelosigkeit nicht um eines überschaubaren Vorteils willen aufzugeben.

Die endlose Diskussion um den Zölibat ist eine Scheindebatte. Sie lenkt von den wirklich drängenden Fragen ab: Wie können wir eine echte Berufung der Laien zum Apostolat fördern? Wie können wir den Ehepaaren und Familien helfen, ihren Glauben zu leben? Wie können wir überhaupt lernen, wieder über unseren Glauben zu sprechen? Wie können wir für suchende Menschen attraktiv werden? Das Taufbewusstsein der Christen wird nicht durch die Aufhebung des Zölibates geweckt.

Die Zukunft der Kirche entscheidet sich nicht an der Zölibats-Debatte. Die Zukunft der Kirche entscheidet sich in Familienkreisen und ökumenischen Gebetstreffen, in Bibelrunden und engagierten Gremien, die sich ihrer apostolischen Aufgabe stellen und das verwirklichen, was das Konzil uns aufträgt: Freude und Hoffnung zu bezeugen.

Wenn die Kirche nicht in der säkularen „diversity“ untergehen will, wird sie sich weiterhin den prophetischen Luxus der priesterlichen Ehelosigkeit leisten.

Wolfgang Lehner ist Regens des Priesterseminars St. Johannes der Täufer in München.


Damit Gemeinden überleben können

„Katholiken gehen die Priester aus“, titelte eine Zeitung, als kürzlich bekannt wurde, dass es im vergangenen Jahr nur 58 Priesterweihen in ganz Deutschland gab. Die Zahl der Priester im Amt sinkt trotz ausländischer Kräfte dramatisch. Die Zusammenlegungen von Pfarreien kommen an ihre Grenzen. Über den Pflicht-Zölibat – einer der fünf Punkte des Kirchenvolks-Begehrens im Jahr 1995 – wird deshalb so heftig diskutiert wie lange nicht mehr. Die Mitte jeder Gemeinde ist die Eucharistiefeier. Die Erfüllung des Auftrags Jesu „Tut dies zu meinem Gedächtnis“ darf nicht länger durch ein erst nach über 1.000 Jahren eingeführtes Kirchengesetz verhindert werden, das nur zölibatär lebende Männer der Eucharistie vorstehen lässt. Dieses Gesetz entbehrt jeder biblischen Grundlage und missachtet heutige Erfordernisse.

Aber es ist nicht nur der Mangel an zölibatären Priestern, der den grundsätzlichen Reformbedarf der Kirche immer offensichtlicher werden lässt. Wenn es auch in Zukunft lebendige Gemeinden geben soll, müssen sie ein neues Selbstbewusstsein finden und ihre Verantwortung neu entdecken. Das gemeinsame Priestertum geht dem Dienst-Priestertum voraus.

Immer mehr Bischöfe sprechen sich ebenfalls dafür aus, die Rolle der Priester, des Diakonats und der Frauen in der katholischen Kirche zu überdenken. Die Aufforderung von Papst Franziskus an Bischof Erwin Kräutler „Machen Sie mir mutige Vorschläge!“ gilt uns allen.

So ist es gut, dass Kardinal Reinhard Marx im Münchner Erzbistum neue Pastoralkonzepte erarbeiten lässt, die offen sein sollen „für neue Wege und Experimente gemäß dem Blick auf die vor Ort vorhandenen Ressourcen und Charismen“.

„Die Kirche der Zukunft (...) wird neue Formen des Amtes kennen und bewährte Christen, die im Beruf stehen, zu Priestern weihen“, das prophezeite schon 1970 Joseph Ratzinger, der auch einmal Erzbischof von München war. Hoffentlich ist es bald so weit.


Christian Weisner ist Sprecher der KirchenVolksBewegung „Wir sind Kirche“ in Deutschland.

Zuletzt geändert am 26­.09.2016