| |
Veröffentlicht am 30­.04.2016

30.4.2016 - DER SPIEGEL

Hysterie von oben

Katholiken Jahrzehntelang gehörten CSU und Kirchenvolk in Bayern zusammen. Nun stören sich viele Gläubige am Kurs der Union in der Flüchtlingspolitik.

Beim regionalen Treffen der katholischen Initiative "Wir sind Kirche" Mitte April im Münchner Hansa-Haus ging es um das Thema "Barmherzigkeit". Einst, so versicherte Pfarrgemeinderat Peter Teichreber, sei das wohl eine Tugend der CSU gewesen. Zum Beweis ließ er das Foto eines Wahlplakats herumgehen. "Existenz" und "Wohnung" wurden Flüchtlingen darauf versprochen: "Gemeinsam schaffen wir's! Wählt CSU!"

Doch das Plakat stammt aus dem Jahr 1946, der Großmut galt den Vertriebenen des Zweiten Weltkriegs. Damals waren die Begriffe "katholisch" und "CSU" für viele praktisch deckungsgleich, und noch jahrzehntelang konnte man in Bayern sicher sein: Wer sonntags in die Kirche geht, wählt christsozial.

Damit ist es schon länger vorbei: Die den Bayern einst heilige Allianz aus Katholiken und Staatsregierung bröckelt. Denn in der Flüchtlingskrise hat Ministerpräsident Horst Seehofer lautstark eine Obergrenze für Asylbewerber gefordert und mit Grenzschließung gedroht; sein Finanzminister Markus Söder proklamiert häufig, die Versorgung der Flüchtlinge würde zu viel kosten. Seither fragen sich Klerus und Kirchenvolk, was genau an der CSU eigentlich noch christlich sein soll.

Christian Weisner, Sprecher der "Wir sind Kirche"-Bewegung, sagt, Seehofers Haltung habe ihn "sehr enttäuscht". Der Ministerpräsident gebärde sich in der Flüchtlingsfrage "wie ein trotziges Kind".

Die Kirche profiliert sich in der Flüchtlingskrise - sie hat ein neues "Kernthema" gefunden, wie es der Münchner Jesuit und Flüchtlingsbetreuer Dieter Müller ausdrückt. Die Unterstützung der Asylsuchenden treibt Ehrenamtliche in den Gemeinden zu Höchstleistungen und versöhnt Gläubige nach den Skandalen um pädophile Priester und prügelnde Nonnen wieder mit ihrem frommen Verein.

Und ausgerechnet da schießt Seehofer mit seiner Anti-Asyl-Rhetorik quer. Bei der alljährlichen Klausur der CSU-Landtagsfraktion in Wildbad Kreuth soll der Münchner Kardinal Reinhard Marx, Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, den Christsozialen denn auch den Marsch geblasen haben, berichten Teilnehmer.

Nach außen drang keines seiner deutlichen Worte. Öffentlich sagte Marx immerhin, der Begriff der Obergrenze habe ihn irritiert, dergleichen helfe nicht weiter.

Sein Kirchenvolk formuliert schärfer, auch in der Runde im Münchner Hansa-Haus. Helmut Strauß von der Kirchenverwaltung St. Michael im Stadtteil Berg am Laim hat sich entschlossen, wegen der Flüchtlingspolitik künftig nicht mehr CSU zu wählen: "Ich kann das mit meinen christlichen Werten nicht vereinbaren."

Der Katholik Walter Hürter, der wie Seehofer seit 40 Jahren in Ingolstadt lebt und sich dafür einsetzt, dass Flüchtlinge in leer stehenden Gebäuden der Kirche unterkommen, sagt: "Ich schäme mich für einen solchen Ministerpräsidenten, der derartig herumrumpelt. Woher weiß er denn, wo eine Obergrenze genau sein soll?" Auch unter den engagierten Ehrenamtlichen im Pfarrverband Vier Brunnen südöstlich von München sind viele verärgert über die bayerische Staatsregierung. Der Pfarrverband unterstützt rund 245 Flüchtlinge, meist Familien aus Syrien und Afghanistan. "Ich finde, man muss seine Stimme erheben", sagt die Autorin und Helferin Claudia Bernardoni, "die Schreier, die von Überforderung und Überfremdung reden, haben noch nie mit Asylbewerbern gearbeitet." Aber "gottlob" gebe es in Bayern ja "genügend Leute, die Nein sagen zu dieser von oben angezettelten Flüchtlingshysterie" .

Der Geschäftsführer der Caritas-Zentren in München, Norbert Huber, sagte kürzlich, er sei über die Flüchtlingspolitik Bayerns verärgert: "Wir warnen die Politiker, die ständig auf die Parole ,Das Boot ist voll' abheben." Dergleichen unterstütze die Rechten und schüre Ängste.

Jesuit Müller, der sich um Flüchtlinge in Abschiebehaft kümmert und abgelehnte Asylbewerber auch juristisch berät, spricht von einer Kluft zwischen dem Einsatz der Menschen in den Gemeinden und der beinahe fremdenfeindlichen Sprache der Partei. "Ich erwarte von der Politik nicht, dass sie die Bergpredigt umsetzt. Aber schon, dass sie die Menschenwürde achtet, auch in der Rhetorik."

Conny Neumann

Zuletzt geändert am 02­.05.2016