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Veröffentlicht am 22­.09.2015

22.9.2015 - Frankfurter Rundschau

Bischofssynode Die Revolution in der Familie

Von Joachim Frank

Der Papst will eine Kirche, die das Leben der Menschen teilt, statt von oben herab darüber zu urteilen. Gegen seine Reformpläne formiert sich Widerstand aus den eigenen Reihen.

Hagan lío!“, Wirbel machen, das ist einer der Lieblingsworte von Papst Franziskus. In wenigen Tagen, am 4. Oktober, beginnt die dreiwöchige Bischofssynode zu Fragen von Ehe und Familie. Dann wird Rom zum Zentrum des Wirbels werden, eines Sturms, wie es ihn in der offiziellen katholischen Kirche seit langem nicht mehr gegeben hat. „Wir sollten alle beten, denn es tobt eine Schlacht“, hat Kardinal Walter Kasper, der theologische Vordenker des Papstes, bereits im März auf einer Konferenz gesagt. Und der Papst selbst soll an Ostern zu einem Vertrauten gar von einem „Krieg“ gesprochen haben, den seine Gegner gegen ihn führen.

Vom Ausgang der Synode, das weiß der Papst, wird in vielerlei Hinsicht der Erfolg seines Pontifikats abhängen: Gelingt die franziskanische Revolution, die nicht die Kirche selbst über den Haufen werfen, wohl aber eine bestimmte Gestalt von Kirche überwinden will, nämlich ihr herrisches, kontrollierendes, besserwisserisches und statusfixiertes Auftreten gegenüber den Gläubigen wie auch gegenüber der säkularen Gesellschaft.

Der Papst will eine Kirche, die das Leben der Menschen teilt, statt von oben herab darüber zu urteilen. Das macht es verständlich, warum er gerade das Thema „Ehe und Familie“ auf die Agenda der Synode gesetzt hat. Ausgerechnet hier, im Kontext von Ehe und Familie, klafft die inzwischen vielleicht größte Lücke zwischen Lehre und Leben. Der Erzbischof von Tegucigalpa in Honduras, Oscar Rodriguez Maradiaga, ein enger Vertrauter des Papstes, beschrieb in der FR die Sicht des Papstes auf die Wirklichkeit von heute: „Wir haben Scheidungen, wir haben die Patchwork-Familien, die vielen Alleinerziehenden, Phänomene wie Leihmutterschaften, kinderlose Ehen.

Nicht zu vergessen die gleichgeschlechtlichen Partnerschaften. All das erfordert Antworten für die Welt von heute. Selbstverständlich, die traditionelle Lehre wird fortbestehen. Aber die pastoralen Herausforderungen erfordern zeitgemäße Antworten. Und die stammen nicht mehr aus Autoritarismus und Moralismus.“

Damit sind Themen und Programm der Synode umrissen. Es wird aber auch unmittelbar deutlich, warum der Papst oder Kardinal Kasper eine so heftige Auseinandersetzung erwarten. Die Gegner von Veränderungen in der Kirche fürchten nämlich um das, was Kardinal Maradiaga als so „selbstverständlich“ behauptet: das Fortbestehen der traditionellen Lehre. Sie sehen im Gegenteil die „zeitgemäßen Antworten auf pastorale Herausforderungen“ als Infragestellung der Tradition, als Frontalangriffe auf die katholische Lehre von der Familie, von der Unauflöslichkeit der Ehe, von der moralischen Verwerflichkeit praktizierter Homosexualität und so weiter und so fort. Am Ende stünde tatsächlich eine „andere Kirche“. Doch im Gegensatz zum Papst ist das für seine Gegner ein Horror-Szenario.

Und so formiert sich der Widerstand. Am heftigsten im Internet, wo Franziskus von Traditionalisten und Reaktionären als Verhängnis für die Kirche dargestellt wird, als Sicherheitsrisiko, ja als Verräter der katholischen Tradition.

So schrieb der emeritierte Freiburger Pastoraltheologen Hubert Windisch über das erste Treffen der Synode 2014: „Man muss mit allem Freimut und Respekt gegen die Vorgänge in Rom Widerstand leisten. Laien wie Priester. Die Gefahr der Dekonstruktion der katholischen Kirche ist die Gefahr ihrer Spaltung. Wir dürfen hoffen, dass der Papst sich in den bevorstehenden Auseinandersetzungen in doktrineller Klarheit als Petrus, als Fels erweisen wird… Wenn nicht, bräuchten wir einen neuen Papst.“

Nicht minder scharf ist ein Positionspapier von Papst-Gegnern, das nach einem Bericht der Wochenzeitung „Die Zeit“ kurz vor der Synode im Vatikan die Runde macht, auch in der von Kardinal Gerhard Ludwig Müller geführten Glaubenskongregation. Das siebenseitige Dossier will dem Papst Kompetenzüberschreitungen, Regelverstöße und Normverletzungen nachweisen. Die „Zeit“ spricht von einer „Anklageschrift“ und „Sündenliste“ in dem Bemühen, die vermutete Reformagenda des Papstes zu diskreditieren.

Dass Franziskus eine solche hat, gilt als ausgemacht bei seinen Widersachern im Vatikan. Unter ihnen nimmt Kardinal Müller als oberster Glaubenswächter eine führende Rolle ein. Und auch wenn er nicht die Deutungsmacht seines Vorvorgängers Joseph Ratzingers hat, erscheint es als eine Hypothek für das Pontifikat des argentinischen Papstes, dass die Nummer drei im Vatikan eine Art Oppositionsführer ist. Es kursiert unter Analysten allerdings auch eine andere – dialektische – Sicht: Der Papst brauche die Reibung in den eigenen Reihen, um Funken daraus schlagen zu können. Es sei besser für ihn, zu wissen, wo die Frondeure stehen, als sie im Untergrund der Kurie suchen zu müssen. Zudem sei gerade Müller keiner, der Allianzen schmieden und Truppen sammeln könne.

Fingerzeige an die Synode

Und zudem sorge Franziskus immer wieder dafür, dass die Autorität der Glaubenskongregation und ihres Präfekten nicht wieder in vergangene Höhen klettert. So lobte er unlängst auf dem US-Sender ABC die Arbeit amerikanischer Nonnen, deren Dachverband jahrelang in heftigem Clinch mit der Glaubenskongregation gelegen hatte. „Die Arbeit, die die Ordensfrauen gemacht haben und machen in den USA, ist großartig. Ich gratuliere Ihnen. Seien Sie mutig. Gehen Sie voran, immer an vorderster Front.“

Egal, was Kardinal Müller sagt: Gehen Sie mutig voran! Ich, der Papst, tue es auch. Diese Botschaft, diesen Akzent setzte der Papst mehrfach in den Wochen vor der Synode.

So können seine beiden Dekrete zur erleichterten Lossprechung von der Sünde der Abtreibung und zur beschleunigten Ehe-Annullierung, jeweils unter der großen Überschrift „Barmherzigkeit“, gar nicht anders verstanden werden denn als Fingerzeige des Papstes an die Synode, wohin die Reise gehen soll. Ob solches Vorpreschen und einsames Agieren taktisch klug ist, wird selbst von Parteigängern des Papstes bezweifelt. Aber eines macht er damit unmissverständlich klar: Im Zweifel scheut er sich nicht, seine praktisch unumschränkten Amtsvollmachten auch in Anspruch zu nehmen.

Originellerweise stellt er damit nun gerade die Konservativen auf die Probe, die sich im katholischen Ganzkörper-Scanner unter den früheren, ihrem Gusto gemäßeren Päpsten stets auf die unverbrüchliche Treue zum Petrusamt berufen hatten. Jetzt werfen ausgerechnet sie dem aktuellen Inhaber des Amtes vor, das Prinzip der Synodalität zu unterlaufen und die offene Diskussion zu scheuen.

Mit alledem freilich ist noch nichts Verbindliches darüber gesagt, wie Kräfteverhältnisse in der Synoden-Aula am Ende verteilt sind. Um jeden Reformschritt wird erbittert gerungen werden. Ausgang ungewiss. Ob es nun um eine Wiederzulassung wiederverheirateter Geschiedener zur Kommunion geht und um den Umgang mit gescheiterten Ehen überhaupt; oder ob Formen der Anerkennung nicht-ehelicher Beziehungen durch die katholische Kirche zur Sprache kommen, seien es Partnerschaften von Mann und Frau oder – noch komplizierter – homosexuelle Paare.

Nachdem der Papst 2013 zu der spektakulären Maßnahme einer weltweiten Umfrage unter den Gläubigen gegriffen hatte, um ein realistisches Bild vom Ehe- und Familienleben in aller Welt und von der Reichweite der offiziellen kirchlichen Lehre zu bekommen, hätte man vermuten können, dass in Rom der Reformdruck steigen würde. Es gibt aber Indizien, dass die Skeptiker auf der Synode gerade in den strittigen Fragen am Ende die Oberhand gewinnen könnten.

Bereits nach der ersten Beratungsrunde vor einem Jahr verfehlten die Voten für eine Aufwertung homosexueller Partnerschaften und Schritte einer Öffnung für wiederverheiratete Geschiedene die erforderliche Zwei-Drittel-Mehrheit der Synodenväter.

In den Monaten zwischen der ersten Session der Synode und dem jetzt bevorstehenden zweiten Treffen waren dann vor allem die Reformer auffallend darum bemüht, abzuwiegeln. Es werde sehr schwierig sein, „so miteinander ins Gespräch kommen, dass am Ende wirklich gute und vernünftige Empfehlungen dabei herauskommen“, sagte der Osnabrücker Bischof Franz-Josef Bode, einer von drei deutschen Bischöfen auf der Synode, der Zeitung „Die Welt“. Im Klartext: Echte Erneuerung wird mit den reaktionären Bremsern nicht zu machen sein.

Ähnlich defensiv äußert sich ausgerechnet die sonst so entschieden progressive katholische Basisinitiative „Wir sind Kirche“. Zwar würden von der Synode zu Recht konkrete Ergebnisse erwartet, und „zumindest für die geschiedenen Wiederverheirateten sollte eine zufriedenstellende Lösung gefunden werden“. Doch dann empfiehlt ein offener Brief an die drei deutschen Synodenväter sinngemäß, lieber keine Beschlüsse zu fassen als die falschen. „Bevor durch vorschnelle Entscheidungen der Weg in die Zukunft verbaut wird, muss ein grundlegender theologischer Diskurs stattfinden. Deshalb werden sich die Verschiebung mancher Beschlüsse und die Anberaumung einer weiteren Synodenversammlung in zwei oder drei Jahren als notwendig erweisen.“

Andererseits warnen die reformorientierten Laien davor, ,,dass die Synode mit faulen Kompromissen endet und „alles beim angeblich ‚bewährten Alten‘ belässt“.
Ist das aber nicht die Quadratur des Kreises? Beschlüsse, aber keine Festlegungen? Antworten, aber keine faulen Kompromisse? Die Synode könnte tatsächlich diesen scheinbar ungangbaren Weg einschlagen.

Wenn es den Teilnehmern gelingt, ihre Ressentiments und wechselseitigen Verdächtigungen dem Bemühen um die Sache unterzuordnen, könnten sie Räume für kulturell und regional differenzierte Lösungen öffnen oder zumindest den Schlüssel ins Türschloss stecken.

Die katholische Kirche ist nicht daran zerbrochen, dass es in Europa und Nordamerika verheiratete Diakone gibt, in anderen Gegenden nicht. Da sollte sie es auch aushalten, wenn in deutschen Bistümern schwule Paare gesegnet werden oder Geschiedenen die Kommunion erhalten, während es die Bischöfe anderswo anders regeln.

Mehr Pluralität wagen – und weniger Uniformität verlangen. Die Regionen zu stärken, etwa die Eigenverantwortung und die Kompetenzen der nationalen Bischofskonferenzen zu erweitern, das hieße, das katholische Prinzip einer weltumspannenden Gemeinschaft im „einen Glauben“ und unter dem einenden Leitungsamt des Papstes neu zu buchstabieren.

Würde die Synode in Rom jetzt damit beginnen, hätte der Papst sein Ziel erreicht, der Geist der Reform wäre aus der Flasche. Und der Wunsch ginge in Erfüllung, den der Papst laut dem italienischen Vatikan-Experten Marco Politi einem Freund anvertraut hat: „Die einzige Sache, um die ich den Herrn bitte, ist, dass dieser Wandel, den ich mit meinem großen Opfer für die Kirche fortführe, Bestand habe. Dass er nicht wie ein Licht sei, das von einem Moment auf den anderen erlischt.“

http://www.fr-online.de/panorama/bischofssynode-die-revolution-in-der-familie,1472782,31872008.html

Zuletzt geändert am 24­.09.2015