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Veröffentlicht am 06­.05.2015

Mai 2015

Ist der Papst unfehlbar? Tabuthemen im Religionsunterricht

Interview mit Christian Weisner, KirchenVolksBewegung Wir sind Kirche

Vorinformationen zum Interview mit Christian Weisner
  • „Verlorene weltliche Macht des Papstes“: über viele Jahrhunderte war der Papst auch weltlicher Herrscher über ein großes Territorium von Italien) den Kirchenstaat. Im September 1870, während des Ersten Vatikanischen Konzils, lösten Truppen des Freiheitshelden Guiseppe Garibaldi den Kirchenstaat auf. Die Päpste haben diesen weltlichen Machtverlust erst 1929 akzeptiert.
  • Enzyklika „Humanae vitae“ (1968; „Pillenenzyklikla): Mit dieser Enzyk-lika bestätigte Papst Paul VI. die Lehre seiner Vorgänger, dass jeder ein-zelne eheliche Akt nur dann sittlich gut sei, wenn er für die Weitergabe des Lebens offen bleibe. Eine Studienkommission und eine Bischofskommissi-on kamen mehrheitlich zu der Auffassung, dass Antikonzeptionsmittel an sich nicht verwerflich seien. Der Papst schloss sich dann aber einem gegen-teiligen Gutachten von (nur) fünf Kardinälen an.
  • Pius X.-Bruderschaft: Sie wurde 1970 von Erzbischof Marcel Lefebvre gegründet, um an Riten und Lehren der römisch-katholischen Kirche fest-zuhalten. die das Zweite Vatikanische Konzil (1962-1965) aufgegeben hat-te. Sie lehnt Konzilsbeschlüsse zur Ökumene, Religionsfreiheit, Kollegiali-tät der Bischöfe, Anerkennung des Judentums als Heilsweg sowie die Li-turgiereform ab.
  • Jurisdiktionsprimat (höchste Gewalt in allen rechtlichen Fragen): Zusam-men mit der Lehrgewalt beansprucht der Papst so die hoheitliche Gewalt über die gesamte Weltkirche.

Interview mit Christian Weisner, KirchenVolksBewegung Wir sind Kirche

Wie erklären Sie Jugendlichen in wenigen Worten die Unfehlbarkeit des Papstes?
Das beim Ersten Vatikanischen Konzil 1870 beschlossene Unfehlbarkeitsdogma ist der Versuch, als Ausgleich für verlorene weltliche Macht dem Papst eine absolute Macht in Glaubens- und Sittenfragen zu verleihen.

Theologen deuten die Unfehlbarkeit des Papstes als Versprechen Gottes, dass er die Kirche vor grundlegenden Irrtümern bewahren wird. Was sagen Sie zu dieser Erklärung?
Nicht nur Papst, Bischöfe und Priester, sondern alle Getauften und Gefirmten bilden die Kirche. Insofern ist es folgerichtig, dass das Zweite Vatikanische Konzil (1962-65) der Gesamtheit der Gläubigen ebenfalls diese Art der Unfehlbarkeit zugesprochen hat.

Was denken Sie persönlich über die Unfehlbarkeit des Papstes?
Unfehlbarkeit und auch das päpstliche Lehramt sind erst sehr junge Elemente der römisch-katholischen Kirche, die weder aus der Bibel, noch aus der Tradition hergeleitet werden können.

Im Alltag der Katholiken spielen unfehlbare Lehrentscheidungen des Papstes keine große Rolle. Wieso ist die Lehre der Unfehlbarkeit des Papstes trotzdem ein Problem für die heutige katholische Kirche?
Der Begriff der Unfehlbarkeit, gleiches gilt für Dogmen, vermittelt den Eindruck, als ob hier Wahrheiten „für die Ewigkeit“ formuliert würden. Ein Blick in die 2000-jährige Kirchengeschichte zeigt jedoch, dass vieles, was einmal als absolut formuliert worden ist, heute anders zu beurteilen ist oder gar keine Rolle mehr spielt.

Sehen Sie einen Zusammenhang zwischen der Lehre der Unfehlbarkeit des Papstes und dem Reformstau, den viele in der katholischen Kirche feststellen?
Das Prinzip der Unfehlbarkeit wird bewusst oder unbewusst auch auf andere Aussagen von Papst und Kirchenleitung übertragen, die Angst haben, einmal festgesetzte Lehren nicht entsprechend den Umständen („Zeichen der Zeit“) abändern zu können.

Die Unfehlbarkeit des Papstes bewahrt die Päpste nicht vor Irrtümern in praktischen Fragen der Leitung der Kirche. Welche Irrtümer von Päpsten der letzten 50 Jahre waren für Sie besonders bedauernswert?
Bei der Enzyklika „Humanae vitae“ (1968; zur künstlichen Geburtenregelung etc.) ist der damalige Papst nicht den Beratungsgremien gefolgt. Bei der Wiederzulassung der Pius X.-Bruderschaft (2009; sie lehnt das Zweite Vatikanische Konzil ab) erfolgte keine Beratung. In beiden Fällen wurde nicht dem Dialog- und Kollegialitätsprinzip des Zweiten Vatikanischen Konzil entsprochen – mit sehr negativen Folgen in der kirchlichen und nichtkirchlichen Öffentlichkeit.

Für evangelische Christen ist die Unfehlbarkeit des Papstes ein großes Hindernis auf dem Weg zur Einheit der Christen. Wie sollte man mit diesem Hindernis umgehen, damit mehr Ökumene möglich wird?
Die absolute Vorrangstellung (Jurisdiktionsprimat) des „Bischofs von Rom“ als Papst der römisch-katholischen Kirche („von oben“) entspricht nicht dem synodalen Verständnis der Kirchen der Reformation („von unten“). Auch die römisch-katholische Kirche braucht, wie die Urkirche, wieder mehr synodale Gremien oder Konzilien, die die Gesamtheit der Kirchenmitglieder repräsentieren und Entscheidungsbefugnis haben.

Wünschen Sie sich für eine ferne Zukunft einen Papst der auf die Unfehlbarkeit verzichtet und doch der Sprecher aller Christen ist?
In der Realität spielt der Unfehlbarkeitsanspruch keine Rolle mehr und sollte deshalb von der römisch-katholischen Kirche aufgegeben werden. Dies gilt genauso für den Alleinvertretungsanspruch der katholischen Kirche.

Welchen Tipp geben Sie Papst Franziskus, wenn er zur Unfehlbarkeit des Papstes gefragt würde?
Mit Aussagen wie „Wer bin ich, zu urteilen…“ hat Franziskus schon bei verschiedenen Fragen auf die formale Autorität päpstlicher Aussagen verzichtet. Dies sollte er sehr bald auch im Kirchenrecht umsetzen.


in: "Tabuthemen im Religionsunterricht" Brisante Fragen zu Kirche und Religion sicher und schülergerecht aufgreifen. Auer-Verlag, 92 Seiten, DIN A4, 5. bis 10. Klasse, ISBN: 978-3-403-07573-8, Seite 46/47
http://www.auer-verlag.de/tabuthemen-im-religionsunterricht.html

Zuletzt geändert am 15­.06.2015