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Veröffentlicht am 21­.11.2014

21.11.2014 - Die Welt

Karlsruhe stürzt katholische Bischöfe ins Dilemma

von Matthias Kamann

Das Bundesverfassungsgericht erlaubt der katholischen Kirche, Mitarbeitern, die zum zweiten Mal geheiratet haben, zu kündigen. Doch bei Bischöfen ist inzwischen umstritten, ob das noch zeitgemäß ist.

Am kommenden Montag wird es für katholische Bischöfe schwierig: Sie müssen im Ständigen Rat der Deutschen Bischofskonferenz diskutieren, ob sie am katholischen Selbstverständnis freiwillig etwas ändern. Obwohl ihnen das Bundesverfassungsgericht bescheinigt hat, dass sie das gar nicht müssen.

Letztlich stehen sie vor der Frage, ob sie von sich aus den Mentalitätswandel in Gesellschaft und Kirchenvolk mitvollziehen. Oder ob sie die starke Position der Kirche im Verfassungsrecht nutzen, um alles beim Alten zu lassen. Es geht um Menschen, die nach einer Scheidung eine neue Ehe schließen. Ihnen droht, sofern sie Mitarbeiter katholischer Einrichtungen sind, die Kündigung. Dies stößt auch innerhalb der Kirche auf wachsenden Unmut.

Deshalb plädieren seit Monaten nicht wenige deutsche Bischöfe für Änderungen im kirchlichen Arbeitsrecht. Jene Menschen sollten "nicht mehr um ihren Job fürchten" müssen, sagte etwa der Trierer Bischof Stephan Ackermann im Oktober. Doch kaum haben sich die Bischöfe auf den Weg der Veränderung gemacht, schon sagt ihnen das Bundesverfassungsgericht, dass sie stehen bleiben können.

Am Donnerstag hob Karlsruhe ein Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) auf, welches die Kündigung eines nach einer Scheidung neuerlich verheirateten Chefarztes an einer katholischen Klinik in Düsseldorf für unwirksam erklärt hatte. Diese Entscheidung des BAG sei nicht hinnehmbar, entschied der Zweite Senat des Verfassungsgerichts. Das Arbeitsgericht habe verkannt, dass sich staatliche Gerichte nicht über das kirchliche Selbstverständnis hinwegsetzen dürften.

Karlsruhe stärkt die Macht der Kirchen

"Vorbehaltlos", urteilte Karlsruhe, gewährleiste das Grundgesetz "die korporative Religionsfreiheit" der Kirchen. Dazu gehöre, dass sie ganz allein entscheiden dürften, "welche kirchlichen Grundverpflichtungen als Gegenstand des Arbeitsverhältnisses bedeutsam sein könnten". Katholische Träger können also das Eheverständnis zur Grundverpflichtung erklären und von ihren Mitarbeitern entsprechende Loyalität verlangen. Sodass gekündigt werden kann, wenn die Angestellten anders leben.

Zwar ist damit der Fall des Chefarztes nicht erledigt. Karlsruhe hat die Sache ans BAG zurück verwiesen, damit es einen neuen Ausgleich zwischen den Rechten des Arbeitnehmers und denen der Kirche findet. Denkbar ist daher, dass der Chefarzt Recht bekommt.

Aber das wäre nicht mehr mit einer Höherrangigkeit von Arbeitnehmerrechten zu begründen. Vielmehr kann das BAG nur noch prüfen, ob der kirchliche Arbeitgeber alle eigenen Verfahrenspflichten eingehalten hat. Klargestellt jedenfalls hat Karlsruhe, dass nicht die katholischen Prinzipien geopfert werden dürfen.

Kirchenreformer wollen Arbeitsrecht ändern

Aber will die Kirche ihr Recht jetzt erbittert verteidigen? Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, sieht die Kirche zunächst von dem Druck entlastet, etwas ändern zu müssen: "Die Entscheidung stärkt das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen", sagte Marx nach dem Karlsruher Urteilsspruch.

Indes ließ der Kölner Erzbischof, Kardinal Rainer Maria Woelki, weiteren Gesprächsbedarf erkennen. Man werde "mit dieser verfassungsrechtlich gewährleisteten Freiheit weiterhin verantwortlich umgehen", sagte Woelki über den Karlsruher Richterspruch und ließ damit die Tür für einen anderen Umgang mit wiederverheirateten Geschiedenen offen.

Ausdrücklich wünscht dies die katholische Reformbewegung Wir sind Kirche, die "eine baldige und hoffentlich positive Änderung des kirchlichen Arbeitsrechts" forderte. Dies halten auch weniger reformfreudige Kräfte im Katholizismus für geboten. Denn katholische Wohlfahrtseinrichtungen haben in Bayern und Teilen Nordrhein-Westfalens fast eine Monopolstellung.

Daher kann es für manche der insgesamt 560.000 Caritas-Mitarbeiter schwierig werden, nach einer zweiten Heirat überhaupt noch einen Job in ihrem Beruf zu finden. Aber ob sie künftig bei der Caritas bleiben dürfen, muss ganz allein die Kirche selbst entscheiden.

Die Chancen von Ver.di werden schlechter

Damit dürften sich auch die Chancen der Gewerkschaft Ver.di verschlechtern, die demnächst in Karlsruhe das kirchliche Arbeitsrecht auf einem anderen Gebiet kippen möchte. Da streitet Ver.di mit den Protestanten von der Diakonie mit deren rund 450.000 Mitarbeitern. Ums Eheleben geht es in diesem Fall nicht – da mischt sich die evangelische Kirche nicht ein.

Aber strittig ist zwischen Diakonie und Ver.di das Streikverbot im kirchlichen Arbeitsrecht des Dritten Wegs. Dort werden Tarife in paritätisch besetzten Kommissionen ausgehandelt und Streitfragen durch verbindliche Schlichtersprüche geklärt.

Hierzu entschied 2012 das BAG, dass die Kirchen ein Streikverbot verhängen dürfen, sofern sie sich konsequent an ihre Arbeitsrechtsregeln halten und die Gewerkschaften an den arbeitsrechtlichen Kommissionen beteiligen. Damit jedoch war Ver.di nicht zufrieden und legte Verfassungsbeschwerde ein, über die Anfang 2015 in Karlsruhe entschieden werden dürfte.

Streikverbot dürfte Bestand haben

Doch seit Donnerstag stehen Ver.dis Chancen schlecht. Die Eindeutigkeit, mit der das Bundesverfassungsgericht beim Individualarbeitsrecht der Katholiken das kirchliche Selbstbestimmungsrecht gestärkt hat, lässt nicht erwarten, dass Karlsruhe beim Kollektivarbeitsrecht des Dritten Weges die Kirchenrechte eingeschränkt.

"Klar bestätigt" durch Karlsruhe findet der Präsident des EKD-Kirchenamtes, Ulrich Anke, "den Vorrang der kirchlichen Maßstäbe für die Ausgestaltung von arbeitsrechtlichen Grundverpflichtungen. Wir sehen hierdurch in den grundsätzlichen Positionen unsere Rechtsauffassung auch für die Zukunft gestärkt", sagte Anke der "Welt".

Indes hat die Diakonie bereits begonnen, worüber Katholiken erst zu diskutieren haben: Die Diakonie hat freiwillig Änderungen vorgenommen. Sie hat die Möglichkeiten einer Gewerkschaftsbeteiligung verbessert, um die Akzeptanz des Dritten Wege zu erhöhen. Entsprechend ist hier die Kritik leiser geworden.

Dafür könnte nun auch die katholische Kirche sorgen, wenn sie beim individuellen Arbeitsrecht ihren Umgang mit wieder verheirateten Geschiedenen oder auch mit Homosexuellen ändern würde. Sie muss es aber nicht. Was die Sache für die Bischöfe nicht leichter macht.

http://www.welt.de/politik/deutschland/article134601974/Karlsruhe-stuerzt-katholische-Bischoefe-ins-Dilemma.html

Zuletzt geändert am 22­.11.2014