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Veröffentlicht am 25­.10.2014

25./26.10.2014 - Neues Deutschland

Druck auf deutsche Bischöfe

Katholische Reformbewegung fordert offenen Dialog zu Homosexualität

Die Initiative »Wir sind Kirche« drängt die deutschen Bischöfe, dem päpstlichen Modernisierungskurs zu folgen. Das meint den Umgang mit Sexualität und Geschiedenen, aber auch das soziale Engagement.

Von Thomas Klatt

Nein, eine materielle Unterstützung seitens der Bistümer gibt es nicht. Die rund 70 Delegierten müssen ihre Fahrt- und Übernachtungskosten nebst Tagungsbeitrag für ihre dreitägige Bundesversammlung in Essen selbst tragen. Die Initiative »Wir sind Kirche« ist nach wie vor eine Basisbewegung, die sich auch gar nicht durch finanzielle Zuwendungen der Bischöfe korrumpieren lassen möchte. Dabei sind die katholischen Kritiker im Grunde die treuesten Schafe ihrer Kirche, denn gerade sie fordern die Glaubensgeschwister auf, sich weiterhin in den Gemeinden zu engagieren. »Es kommt der Generalvikar des Bistums Essen, Monsignore Klaus Pfeffer, zu unserem Treffen, immerhin der zweite Mann nach dem Bischof. Das ist schon eine Wertschätzung für uns«, sagt Christian Weisner, langjähriger Pressesprecher der Kirchenvolksbewegung.

Nach Einschätzung der Reformkatholiken besteht dringender Handlungsbedarf: Die dramatisch hohe Zahl von 178 805 Kirchenaustritten im Jahr 2013, fast so viel wie die 181 193 im Krisenjahr 2010, wollen sie nicht allein durch allgemeine religiöse oder gesellschaftliche Trends erklärt wissen. Sie seien auch eine Reaktion auf die Ereignisse um den Bischof Franz-Peter Tebartz-van Elst, den einige Bischöfe und Kardinäle bis zuletzt deckten. Dies habe alle positiven »Franziskus-Effekte« und Bemühungen dialogbereiter Bischöfe zunichte gemacht. Zur Abkehr von der Kirche führe zudem, dass greifbare Ergebnisse des »Gesprächsprozesses « fehlten, der in den 27 deutschen Diözesen in sehr unterschiedlicher Intensität betrieben werde.

Dennoch halten die Basis-Christen die römisch-katholische Kirche für reformfähig. Christian Weisner selbst war im Vatikan als Beobachter bei der gerade zu Ende gegangenen Familiensynode. Nach der jahrelangen Unterdrückung jedes innerkirchlichen Dialogs sei es ein bemerkenswerter Schritt gewesen, dass Papst Franziskus auch das Kirchenvolk vor Beginn der Synode direkt hat zu Wort kommen lassen. In vielen Gemeinden hofft man nun auf frischen Wind nicht nur im Vatikan.

Als einziger deutscher Bischof nahm Kardinal Reinhard Marx an der Familiensynode teil. »Ich will schon zugestehen, dass da ein Umdenken und Lernen ist«, sagt Weisner. Sie wollten die deutschen Bischöfe nun drängen, Franziskus nicht hängen zu lassen. Es brauche einen Mentalitätswechsel. Die meisten deutschen Bischöfe wurden noch in der Zeit von Johannes Paul II. und Benedikt XVI. inthronisiert, beide Vertreter eines konservativen Katholizismus.

Die Basisbewegung spricht sich für eine kirchliche Sexuallehre aus, die im Einklang mit den modernen Humanwissenschaften entwickelt wird. Nötig sei auch ein offenerer Umgang mit Homosexualität bis hin zum Einsatz gegen die Kriminalisierung von homosexuellen Menschen, die in vielen Ländern bis hin zur Todesstrafe verfolgt werden. »Es gibt eine breite Akzeptanz dafür. Man kann davon ausgehen, dass auch in der römischkatholischen Kirche ein beträchtlicher Teil der Amtsträger homosexuell ist«, fordert Weisner »die Wahrnehmung der Realität«. Zudem brauche es ein einladendes Angebot für geschiedene und wiederverheiratete Paare, das dem Beispiel der orthodoxen Kirchen folgt.

Reformen, auf die Millionen Katholiken warten. In der Politik feiert die AfD große Zuwächse, weil sich bürgerlich-konservative Wähler in der immer liberaler auftretenden CDU kaum noch zu Hause fühlen. Dass es eine erzkatholische Gegenbewegung geben würde, wenn die Kirche von ihren alten dogmatischen Zöpfen Abschied nimmt, glaubt der Pressesprecher von »Wir sind Kirche« hingegen nicht. Die Zeit sei reif für eine modernere katholische Kirche.

Doch Sex ist nicht alles. Die Bundesversammlung in Essen steht unter dem Motto »Alles ist relativ, außer Gott und der Hunger«. Auch da fordern sie größtmögliche Unterstützung für den neuen Papst, der eine Kirche der offenen Türen und Fenster propagiert. Besonders seine Aussage »Diese Wirtschaft tötet« hat viele begeistert.

Zuletzt geändert am 07­.11.2014