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Veröffentlicht am 15­.10.2014

15.10.2014 - Mittelbayerischer Zeitung

Mehr Hilfe für Sterbende

Sigrid Grabmeier vom Bundesteam der Reformbewegung „Wir sind Kirche“: Menschen am Ende ihres Lebens brauchen eine gute Begleitung, aber auch das Recht auf freie Entscheidung.

Meine Mutter hat ihr Sterben sehr bewusst gelebt. Nachdem schon 2004 Darmkrebs festgestellt und operativ behandelt wurde, lebte sie daraufhin sehr intensiv. Im Sommer 2006 wurden an mehreren Stellen im Körper Metastasen diagnostiziert. Sie pflanzte im Herbst noch Blumenzwiebeln und sagte zu mir: „Ich werde sie nicht mehr blühen sehen“. Dann plante sie ihren Geburtstag mit circa 50 Gästen. Wir feierten einen Dankgottesdienst und ein Fest mit Singen und Lachen. Wenige Wochen darauf kam sie ins Krankenhaus und dann auf die Palliativstation. Ich fuhr jede Woche einige Tage zu ihr, schlief auch bei ihr im Zimmer und erlebte die tiefste Adventszeit meines Lebens.

Nach drei Wochen war die Möglichkeit der Unterbringung dort beendet. Ich begleitete sie die letzte Woche ihres Lebens zuhause. Wichtig war für sie, dass sie immer jemanden hatte um zu fragen, wie es denn nun werden würde. Ich versicherte ihr, ich würde sie begleiten bis zu der Tür, durch die sie ohne mich gehen müsste. Sie starb zwei Tage vor Weihnachten.

Als Spruch auf der Traueranzeige wählte ich: Heut schließt er wieder auf die Tür zum schönen Paradeis, der Cherub steht nicht mehr dafür, Gott sei Lob, Ehr und Preis.

Ich glaube, dass die tiefsitzende Angst davor, im Leiden allein gelassen zu werden oder jemanden leiden zu sehen, ohne jetzt wirklich etwas tun zu können, viele von uns hemmt, sich auf das Sterben einzulassen. Leiden ist eine Herausforderung, eine Infragestellung unserer Vorstellung von Glück, Lebensqualität, Selbstbestimmung, Würde. Sterben ist nicht ein punktuelles Ereignis am Ende des Lebens. Das Thema Sterben begleitet uns vielmehr ein Leben lang.

Leben ist verbunden mit der Erfahrung von Begrenzungen, die Schmerz und Trauer hervorrufen. Auch Abschiede, sagt man zu Recht, können ein bisschen wie Sterben sein.

In unserer Zeit, in der der Mensch sich als stark und unabhängig beweisen muss, um vorwärts zu kommen, wird es zunehmend schwerfallen, eigene Hilfebedürftigkeit auszusprechen. Schwächen werden vor anderen versteckt, vielleicht sogar vor sich selbst. Darin liegt die große Gefahr, dass der Mensch an sich selber stirbt – schon zu Lebzeiten.

Menschen am Ende ihres Lebens brauchen eine gute Begleitung, aber auch das Recht auf freie Entscheidung.

Um so mehr brauchen wir deshalb eine Kultur, in der wir offen zu unserer Hilfebedürftigkeit stehen können. Die Palliativmedizin und die Betreuung in Hospizen bieten für die Leidenden und Sterbenden wie auch diejenigen, die ihnen angehören, Begleitung und eine dem Leben verpflichtete Sterbehilfe. Auch die kirchliche Seelsorge ist aufgerufen, auf diesen Wegen des Abschieds mitzugehen, zuzuhören und zu trösten.

Wenn Menschen aber in ihrer Qual nicht mehr weiter leben können, das Sterben verkürzen wollen, dann gilt es das nicht zu verurteilen. Auch sie bedürfen der Begleitung, die ihnen nicht versagt bleiben darf in der Konsequenz aus dem Gebot der Nächstenliebe: Ich muss mich dem Sterben meiner Nächsten stellen, nicht wegschauen, es als das anschauen was es ist und es als Teil des Lebens begreifen.

Wir brauchen also Regelungen, die dem grundsätzlichen Schutz des Lebens dienen und jeden Sterbenden umfassend schützen, in Einzelfällen unter äußerst strengen Bedingungen aber auch eine Straffreiheit bei Beihilfe zur Selbsttötung zulassen.

http://www.mittelbayerische.de/nachrichten/artikel/mehr-hilfe-fuer-sterbende/1134961/mehr-hilfe-fuer-sterbende.html

Zuletzt geändert am 19­.10.2014