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Veröffentlicht am 03­.09.2014

3.9.2014 - Berliner Zeitung

„Die Kirchensteuer macht träge, sicher und satt“

Reformerin kritisiert Umgang der Bistümermit den Gläubigen

In diesem Jahr erwarten die beiden großen Kirchen einen deutlichen Anstieg der Kirchenaustritte. Deren Zahl ist in verschiedenen Landeskirchen und Bistümern zwischen 30 und 60 Prozent höher als 2013. Hintergrund ist, dass das Verfahren zur Erhebung der Kirchensteuer auf die Kapitalertragsteuer ab 2015 automatisiert wird. Sigrid Grabmeier, Sprecherin der katholischen Reformbewegung „Wir sind Kirche“, fände es besser, die Kirche würde durch Spenden finanziert.

Frau Grabmeier, waren Sie überrascht, als Ihre Bank Sie über das neueVerfahren informiert hat?

Ach nein, das lag in der Luft, wir sind ja schließlich in Deutschland.

Was meinen Sie damit?

In Deutschland will man perfekt sein, also will man auch die Kirchenmitglieder perfekt abkassieren. Bei der Abgeltungssteuer konnte man sich,wennman nicht ganz ehrlich war, noch um die Kirchensteuer herumdrücken.

Sie scheinen keine Freundin der Kirchensteuer zu sein.

Die Kirchensteuer ist eine absurde Sache, es gibt sie nur in drei Ländern – in der Schweiz, in Österreich und in Deutschland. Wobei in der Schweiz die Kirchensteuereinnahmen nicht wie bei uns an die Bischöfe und Diözesen gehen, sondern an die Gemeinden. Die entscheiden, was damit gemacht wird. Im Durchschnitt bleiben 80 Prozent des Geldes bei derGemeinde, 16/17 Prozent bekommen die regionale und überregionale Ebene, nur zwei bis drei Prozent landen beim Bischof. Das Modell der Schweiz finde ich sehr apart, weil damit die Eigenverantwortung der Gemeinden gestärkt wird. In den meisten Ländern finanziert sich die Kirche aus Spenden. Dort muss sie sich bemühen, so zu sein, dass die Leute gerne und freiwillig etwas geben. Bei uns ist es eine Zwangsabgabe.

Daran haben die Informationsschreiben der Banken viele Kirchenmitglieder erinnert. Zu Tausenden treten sie aus. Überrascht Sie das?

Nein. Wir haben schon in der Vergangenheit häufiger die Erfahrung gemacht, dass die Leute, sobald es Geld kostet, anfangen zu überlegen: Ist es mir das wert? Bin ich überhaupt religiös? In den vergangenen Jahren gab es ja in der katholischen wie in der evangelischen Kirche viele Ereignisse, die die Glaubwürdigkeit der Kirche erschüttert haben, beispielsweise die Aufdeckung der vielen Missbrauchsfälle.

Die Neuregelung bedeutet ja nicht, dass die Leute mehr bezahlen müssen. Hätte die Kirche durch eine bessere Informationspolitik die Austrittswelle verhindern können?

Daswarwieder einmal typisch. Eigentlich hätten die Kirchen informieren müssen, aber da kam nichts. Dabei muss man doch mit den Leuten reden, wenn man etwas von ihnen will. Stattdessen kam ein Schreiben von der Bank, das für vieleMenschen durch die Fachausdrücke und Paragrafen schwer zu verstehenwar. Aber vermutlich war es immer noch verständlicheralsdasSchreiben, das von den Kirchen zu erwarten gewesen wäre.

Durch die vielen Austritte werden der Kirche Einnahmen fehlen. Befürchten Sie Einschnitte in der seelsorgerischen Betreuung oder bei kirchlichen Einrichtungen?

Das kann durchaus passieren. Aber vielleicht würde das endlich mal Kreativität freisetzen, wie man nichtfinanzielle Ressourcen nutzen kann. Momentan kann man ja noch viel über Geld regeln – etwa Kleriker aus fernen Ländern einkaufen.

Was meinen Sie mit nichtfinanziellen Ressourcen?

Die Menschen, die in der Kirche aktiv sind, und die auch bereit sind, dort zu wirken, wenn man sie lässt. Ichwürdemir eine Kirchewünschen, die weniger von Amtsträgern geprägt ist, die ihren Mitgliedern mehr Kompetenzen zutraut und gibt. Eine finanziell ärmere Kirche würde ihren Reichtumneu entdecken.

Aber was ist mit den ganzen sozialen Einrichtungen, die die Kirche betreibt? Werden die Kirchensteuereinnahmen dort nicht fehlen?

Wir wurden lange in dem Glauben gelassen,mit den Einnahmenaus der Kirchensteuer würde die Kirche ihre sozialen Einrichtungen finanzieren. Aber das stimmt nicht; einkirchlicher Kindergarten beispielsweise finanziert sich zu 80 Prozent aus öffentlichen Geldern und durch die Beiträge, die die Eltern zahlen. Sollte dieses Geld nicht reichen, um die Kosten zu decken, dann übernimmt die Differenz in den meisten Fällen auch noch die Kommune. Die Kirche verwendet die Steuereinnahmen, um ihren eigenen Apparat zu pflegen und um gottesdienstliche Leistungen zu erbringen. Das sichere Einkommen macht träge, sicher, satt. Eine Kirche,die sich auf Spendenbasis finanziert, wäre in meinen Augen besser.

Glauben Sie, dass jetzt der Höhepunkt der Austrittswelle erreicht ist?

Ich weiß doch nicht, was der Kirche in Zukunft noch alles einfällt, um die Leute zu verschrecken. Das Gespräch führte Susanne Rost.

Zuletzt geändert am 19­.09.2014