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Veröffentlicht am 07­.08.2014

7.8.2014 - Süddeutsche Zeitung

Verspieltes Vertrauen

Der Skandal um den Limburger Bischof, Klerikalismus, Sparmaßnahmen: Christian Weisner, Vorsitzender von „Wir sind Kirche“, sieht viele Gründe für die steigenden Kirchenaustritte. Er fordert, dass die Gemeinden stärker auf die Menschen zugehen müssen INTERVIEW: VERENA JUGEL

Der Dachauer Katholik Christian Weisner führt die bundesweit aktive Reformbewegung „Wir sind Kirche“, deren zentrale Forderung eine Beteiligung der Laien und der Abbau von Klerikalismus ist. Er sieht die aktuelle Kirchenstatistik, die einen bundesweiten Anstieg der Kirchenaustritte belegt, als „dramatisches Warnsignal“.

SZ: Wie stehen Sie zu der Stellungnahme von Kardinal Reinhard Marx, der nach der Veröffentlichung der Kirchenstatistik 2013 von „schmerzlichen Zahlen“ spricht und nun „Vertrauen auf allen Ebenen“ aufbauen möchte?

Christian Weisner: Kardinal Marx beklagt zu Recht, dass das zweite Halbjahr 2013 zu einem Vertrauens- und Glaubwürdigkeitsverlust für die Kirche geführt habe. Den auslösenden Skandal um den Limburger Bischof Tebartz-van Elst, den einige Bischöfe und Kardinäle bis zuletzt gedeckt und verteidigt haben, nennt er allerdings nicht explizit. Das war aber sicherlich das wichtigste Thema, das die katholische Kirche belastet hat und das viele Katholiken dazu bewegte, jetzt aus der Kirche auszutreten.

Nach der Wahl von Papst Franziskus im März vergangenen Jahres gab es neue Hoffnung.

Die Art, wie Franziskus von der ersten Minute an Akzente setzte, Kirchen-Probleme beim Namen nannte und Mut machte zu Reformen, hat neuen Wind in die Kirche gebracht. Doch diesen positiven Franziskus-Effekt hat der Tebartz-van Elst-Effekt leider zunichte gemacht. Das hätte auch von Kardinal Marx deutlicher gesagt werden können.

Was könnten weitere Gründe für die höhere Zahl an Kirchenaustritten auch in Dachau sein?

Viele Menschen sind enttäuscht, dass der von Papst Franziskus eingeleitete Reformkurs von den deutschen Kardinälen und Bischöfen bis jetzt viel zu wenig unterstützt worden ist. Es ist dringend geboten, die überfälligen Reformen gemeinsam mit den Gläubigen endlich auch in Deutschland anzupacken. Ich sehe auch einen engen Zusammenhang zwischen den Kirchenaustritten und dem fortschreitenden Rückbau pastoraler Strukturen – sprich den Pfarreizusammenlegungen, weil es immer weniger Priester im Amt gibt.

Kardinal Marx will diese Maßnahme jetzt auch mit seinem Bischofsrat überdenken.

Im Landkreis Dachau sind wir noch vergleichsweise gut aufgestellt, ich selber kann viele Gemeinde- und Gottesdienstangebote noch zu Fuß erreichen. Vor allem für kleinere Orte ist es aber problematisch, wenn Pfarrverbände gebildet werden und sich die Kirche als Ort der Gemeinschaft zurückzieht. Die Grundproblematik haben wir auch in Dachau: Der Pfarrverband Sankt Jakob umfasst ja mehrere Pfarreien, wie Mariä Himmelfahrt, Sankt Maria und Sankt Nikolaus Mitterndorf oder Sankt Ursula Pellheim. Nicht zuletzt haben vielleicht auch die Änderungen beim Einzug der Kirchensteuer auf Kapitalerträge dazu geführt, dass manche aus der Kirche ausgetreten sind. Hier wäre es gut gewesen, die Gläubigen frühzeitig zu informieren und ihnen die Änderungen, die viele gar nicht betreffen, im Vorfeld zu erklären.

Wie sollte den vermehrten Kirchenaustritten nun begegnet werden?

Zunächst einmal ist die Kirche nicht nur dann gut, wenn sie voll ist. Es geht um unsere Glaubwürdigkeit und darum, wie wir die Botschaften der Bibel heute verstehen und vermitteln, beispielsweise in der weltweiten Flüchtlingsproblematik oder in der konkreten Nächstenliebe am Ort. Die Kirchengemeinden sollten sich mehr auf die Arbeit mit den Menschen konzentrieren und auf sie zugehen; sich nicht beklagen, wenn jemand nicht mehr kommt, sondern fragen, warum er oder sie nicht mehr kommt. Die Mitglieder einer Gemeinde müssen in Entscheidungen eingebunden werden. Wir brauchen eine Mitmach- und keine Versorgungskirche. So könnte langfristig wieder Vertrauen aufgebaut werden, denn: Vertrauen ist schnell verspielt, aber nur langsam wieder gewonnen.


Der Dachauer Katholik Christian Weisner führt die bundesweit aktive Kirchenvolksbewegung „Wir sind Kirche“, die eine Erneuerung der römisch-katholischen Kirche im Geiste des Zweiten Vatikanischen Konzils fordert. Foto:npj





siehe auch: Prälat Jüsten: "Wir hätten früher aktiv werden müssen"
> katholisch.de 28.8.2014

Zuletzt geändert am 03­.09.2014