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Veröffentlicht am 24­.04.2014

24.4.2014 - Tagblatt Online

Die zweifache Heiligsprechung

Am Sonntag wird Papst Franziskus die beiden Päpste Johannes Paul II. und Johannes XXIII. heilig sprechen. In Rom werden Millionen Pilger und Touristen erwartet. Zur Zeremonie ist auch Papst Benedikt XVI. geladen.

Dominik Straub

Rom wappnet sich in diesen Tagen für die möglicherweise grösste Pilger-Invasion aller Zeiten: Zur Doppel-Heiligsprechung der beiden Päpste Johannes Paul II. und Johannes XXIII. werden laut Angaben der Stadtverwaltung bis zu fünf Millionen Gläubige und Touristen erwartet. Vor allem polnische Gläubige werden sich aufmachen: Aus der Heimat von Karol Wojtyla heisst es, dass sich bereits über 500 000 Pilger in Richtung Rom in Bewegung gesetzt haben, vereinzelt sogar mit Ross und Wagen. Der bisherige Besucherrekord bei einem vatikanischen Grossanlass steht bei rund drei Millionen Menschen; sie waren im April 2005 zur Bestattung des «Jahrhundert-Papstes» Johannes Paul II. nach Rom gereist.

Auch Benedikt XVI. ist eingeladen

Ob Besucherrekord oder nicht: In Rom bahnt sich ein Gottesdienst der Superlative an. Am 27. April steht in Sankt Peter mit der Erhebung der beiden Päpste zur Ehre der Altäre nicht nur die grösste Doppel-Heiligsprechung der Kirchengeschichte auf dem Programm, sondern wahrscheinlich auch die erste, bei der auch zwei noch lebende Päpste anwesend sein werden: Papst Franziskus hat seinen vor vierzehn Monaten zurückgetretenen Vorgänger Benedikt XVI. ebenfalls zur Zeremonie eingeladen. Die Antwort des emeritierten Papstes steht noch aus, aber es wäre einer Überraschung gleich, wenn sich Ratzinger entschuldigen liesse. Immerhin war er als Präfekt der Glaubenskongregation während über zwei Jahrzehnten wichtigster Mitarbeiter von Johannes Paul II. gewesen – und als Papst hatte er seinen Vorgänger selig gesprochen.

Volkes Stimme: «Santo subito!»

Dank Benedikt XVI. hat der 1920 im polnischen Wadowice geborene Karol Wojtyla in Sachen Heiligsprechung einen neuen Geschwindigkeitsrekord aufgestellt: Weil der deutsche Papst das Kanonisierungsverfahren für seinen populären Vorgänger eingeleitet hatte, ohne die fünf Jahre abzuwarten, die nach dem Tod des Kandidaten gemäss Kirchenrecht eigentlich vergehen müssten, wird das Verfahren bis zur Heiligsprechung am Sonntag bloss neun Jahre gedauert haben. Benedikt XVI. konnte sich bei der Gewährung der Ausnahme auf Volkes Stimme berufen: Schon bei Wojtylas Abdankung auf dem Petersplatz hatten die Gläubigen immer wieder «santo subito» gerufen – «sofort heilig!». An Wundern war auch kein Mangel; zur Seligsprechung im Mai 2011 wählte der Vatikan die medizinisch nicht erklärliche Genesung einer französischen Nonne von der Parkinson-Krankheit, dem gleichen Leiden, an welchem auch Johannes Paul II. erkrankt war.

«Mit der Kraft eines Riesen»

Bei der Seligsprechung sagte Benedikt XVI. über seinen Vorgänger, dass dieser in seinem 26 Jahre dauernden Pontifikat das persönlich vorgemacht habe, was er von allen verlangte: Er habe die Gesellschaft wieder für Christus geöffnet. «Mit der Kraft eines Riesen, die er von Gott erhalten hat, hat er eine Tendenz umgedreht, die unumkehrbar schien. Mit seinem Zeugnis des Glaubens, der Liebe und des apostolischen Mutes, die von einer grossen Menschlichkeit begleitet wurden, hat dieser beispielhafte Sohn der polnischen Nation den Christen auf der ganzen Welt geholfen, keine Angst zu haben, sich Christen zu nennen, zur Kirche zu gehören und vom Evangelium zu sprechen. Mit einem Wort: Er hat uns geholfen, keine Angst vor der Wahrheit zu haben, denn die Wahrheit ist die Garantie der Freiheit.»

Den für die Heiligsprechung Karol Wojtylas erforderlichen zweiten Wundernachweis bestätigte dann der neugewählte Franziskus im vergangenen Jahr: Eine Frau aus Costa Rica soll am Tag der Seligsprechung Johannes Pauls II. von einer lebensbedrohenden Gefässerweiterung im Gehirn geheilt worden sein.

Auch der zweite neue Heilige von kommendem Sonntag, Papst Johannes XXIII., erfuhr im Kanonisierungsverfahren eine Vorzugsbehandlung: Um die kommende Doppel-Heiligsprechung möglich zu machen, hat Papst Franziskus bei Angelo Roncalli auf ein zweites Wunder verzichtet. Die Heiligkeit des vor allem in Italien noch sehr beliebten und verehrten Johannes XXIII. sei zur Genüge und zweifelsfrei bekannt, hiess es im Vatikan; da müsse kein weiteres Wunder abgewartet werden.

Johannes XXIII. – «der gütige Papst»

Der in der Nähe von Bergamo im Jahr 1881 geborene Bauernsohn Roncalli war im Oktober 1958 zum Papst gewählt worden. 1962 hatte er das Zweite Vatikanische Konzil eröffnet. «Das von ihm einberufene Konzil ist ein Markstein der Kirche des 20. Jahrhunderts und ein Leuchtturm für die Zukunft», betonte Papst Franziskus. Johannes XXIII. habe die Kirche «mit milder Bestimmtheit» in einer schwierigen Situation des Umbruchs geleitet. Roncalli verstarb im Juni 1963 bei laufendem Konzil. Aufgrund der von ihm initiierten Welt-Bischofsversammlung zur Erneuerung der Kirche wird er auch der «Konzilspapst» genannt. Für die Italiener dagegen ist Johannes XXIII. wegen seiner unkomplizierten Freundlichkeit und Geselligkeit, die stark an den aktuellen Papst erinnern, bis heute einfach nur der «Papa buono», der gütige Papst, geblieben.

Auch Kritik an Karol Wojtyla

Die Heiligsprechung von Papst Johannes XXIII. ist kirchenintern weitgehend unumstritten – jene von Johannes Paul II. ist es nicht. Karol Wojtyla sei zwar zweifellos ein «Mann des Glaubens» und ausserordentlicher Diener des Herrn gewesen, in dessen Pontifikat das Positive bei weitem überwiege, betonte der italienische Kardinal Carlo Maria Martini, der als einer von 114 Zeugen im Kanonisierungsverfahren für Johannes Paul II. ausgesagt hatte. Doch angesichts seiner Krankheit hätte er sich einen Rücktritt überlegen müssen, was vielleicht dazu geführt hätte, dass einige «nicht sehr glückliche Personalentscheidungen» am Ende des Pontifikats nicht gefällt worden wären. Als weitere Kritikpunkte nannte der Zeuge Martini die Tendenz Wojtylas, katholische Basisbewegungen auf Kosten der Lokalkirchen zu bevorzugen, sowie seinen Drang, «sich selber ins Zentrum der Aufmerksamkeit zu rücken, besonders auf seinen Reisen».

Indiskretionen aus dem Vatikan

Die Bedenken des vor zwei Jahren verstorbenen Martini sind aus zwei Gründen brisant: Erstens unterlägen die Aussagen der Zeugen im Heiligsprechungsverfahren eigentlich noch der strikten Geheimhaltung. Obige Auszüge aus Martinis Aussage sind nun aber im soeben erschienenen Buch «La santità di Papa Wojtyla» («Die Heiligkeit von Papst Wojtyla») des italienischen Kirchenhistorikers Andrea Riccardi nachzulesen. Dem Autor (und Gründer der katholischen Laiengemeinschaft Sant'Egidio) sind offensichtlich aus dem Vatikan Indiskretionen zugespielt worden – vermutlich sogar direkt aus der Heiligsprechungskongregation. Zweitens hatte die Stimme Martinis zu Lebzeiten im Vatikan grosses Gewicht: Der ehemalige Erzbischof von Mailand genoss hohes Ansehen und war sowohl unter Johannes Paul II. als auch unter Benedikt XVI. so etwas wie das «liberale Gewissen» einer unter diesen beiden Päpsten konservativer gewordenen katholischen Kirche. Martinis Kritik wird denn auch von nicht wenigen Prälaten und Kirchenhistorikern geteilt.

Kritik an der Heiligsprechung des polnischen Papstes kommt auch von kirchlichen Basisgruppen. Ohne Zweifel habe Karol Wojtyla in den über 26 Jahren seines Pontifikats vieles getan, das hohe Achtung verdiene, schreiben Vertreter der Schweizer Herbert-Haag-Stiftung und die Bewegung «Wir sind Kirche» in Deutschland und Österreich. Doch die Tragik von Johannes Paul II. liege in der grossen Diskrepanz zwischen dessen Einsatz für Frieden und für Dialog in der Welt und dem unter seiner Verantwortung vollzogenen innerkirchlichen Rückfall in zentralistische und autoritative Strukturen. Mit einer Inflation von Heiligsprechungen, einem unbiblischen Personenkult, Pomp und Klerikalismus sei Johannes Paul II. zum widersprüchlichsten Papst des 20. Jahrhunderts geworden, schreiben die Reformgruppen.

Ein 3D-Spektakel in 500 Kinosälen

Die Kritik wird am kommenden Sonntag, am Tag des grossen Kirchenfestes, vergessen sein. Um an der Doppel-Heiligsprechung teilzuhaben, muss man nicht einmal nach Rom reisen: Zum ersten Mal überhaupt wird eine Papstmesse in 3D und HD aufgezeichnet und ausgestrahlt. Dank einem Joint Venture zwischen dem vatikanischen Fernsehsender Centro Televisivo Vaticano, dem Privatkanal Sky und Sony kann die Messe über neun Satelliten in zwanzig Ländern im «Public viewing» mitverfolgt werden. Auch in weltweit 500 Kinos wird das 3D-Spektakel ausgestrahlt – es reicht eine entsprechende Brille, und schon kann man Papst Franziskus im dreidimensionalen Modus bei der Messe zuschauen.

http://www.tagblatt.ch/aktuell/international/international-sda/Die-zweifache-Heiligsprechung;art253652,3783602

Zuletzt geändert am 28­.04.2014