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Veröffentlicht am 02­.10.2013

2.10.2013 - DIE ZEIT (Glauben & Zweifeln)

»Glauben ohne Unterwerfung!«

Was das Kirchenvolk erhofft. Ein Gespräch mit Christian Weisner

DIE ZEIT: Herr Weisner, Sie haben sich mit kirchenkritischen Katholiken aus aller Welt zusammengetan und dem Papst geschrieben. Warum?

Christian Weisner: Weil wir die Kirche von innen erneuern wollen, nicht von außen. Weil wir keine Kirchengegner sind.

ZEIT: Sie fordern vom Papst ein Mitspracherecht bei Zukunftsentscheidungen.

Weisner: Die Kirchenvolksbewegung »Wir sind Kirche« will an die tiefen Traditionen des Christentums anknüpfen. Wir kritisieren eine Amtskirche, die nicht mehr auf dem jesuanischen Weg ist. Darin fühlen wir uns von Franziskus bestätigt.

ZEIT: Sie glauben an seinen Reformkurs?

Weisner: Aber ja! Vor 18 Jahren, als wir in Deutschland mit 1,8 Millionen Unterschriften gestartet sind, da konnte sich niemand vorstellen, dass wir so lange durchhalten. Heute sind wir in 20 Ländern mit unseren Forderungen präsent. Die wichtigsten lauten: innerkirchliche Mitbestimmung, Gleichberechtigung der Frauen, freiwilliges Zölibat, positive Sexualmoral, Frohbotschaft statt Drohbotschaft.

ZEIT: Glauben Sie, dass Franziskus Ihren Brief persönlich lesen wird?

Weisner: Ich hoffe es. Er holt sich ja nicht nur Kardinäle als Berater, sondern pflegt einen neuen spirituellen Leitungsstil. Er geht auf einzelne Menschen zu und hört sie an. Er zeigt den Klerikern, was ein guter Hirte ist.

ZEIT: Und das reicht schon?

Weisner: Nein. Der neue Stil muss theologisch und kirchenpolitisch abgesichert werden. Bisher hat Franziskus Zeichen gesetzt. Sie enthalten ein großes Versprechen.

ZEIT: Und wenn es gebrochen wird?

Weisner: Wird es sehr schlecht für die Kirche. Franziskus hat 90 Prozent des Kirchenvolkes hinter sich. Aber nun müssen die Bischöfe vor Ort es umsetzen.

ZEIT: Wieso die Bischöfe?

Weisner: Solange die Kirche hierarchisch funktioniert, ist das ihr Job. Aber ich habe den Eindruck, die deutsche Bischofskonferenz hat die Glocke aus Rom nicht gehört.

ZEIT: Auf ihrer Herbsttagung haben die deutschen Bischöfe angekündigt, man wolle die Möglichkeiten für eine stärkere Beteiligung der Frauen untersuchen. Immerhin!

Weisner: Nein! Das ist die übliche Ankündigeritis. Der Papst fordert den Dialog, und die deutschen Bischöfe verkünden, es gebe jetzt einen Newsletter. Das genügt nicht.

ZEIT: Was wollen Sie tun?

Weisner: Den Papst unterstützen. Erst gab es einen Benedikt-Effekt der Kontrolle, jetzt gibt es einen Franziskus-Effekt des Aufatmens. Aber gleichzeitig gibt es den Müller-Effekt der Einschüchterung. Der Präfekt der Glaubenskongregation Gerhard Ludwig Müller vertritt die dogmatische Schule Benedikts und stellte sich kürzlich in einem Interview hinter den umstrittenen Limburger Bischof.

ZEIT: Aber Müller wurde von Franziskus im Amt bestätigt. Also keine Antipoden!

Weisner: Auch der Papst kann nicht alles neu besetzen. Zu lateinamerikanischen Ordensleuten hat Franziskus schon gesagt: Wenn Ihr einen kritischen Brief von der Glaubenskongregation bekommt, erklärt euch, aber macht weiter wie gehabt.

ZEIT: Das hat er gesagt? Wirklich? Weisner: Ja. Er erklärt ja, es geht zuerst um den Menschen, dann um das Gesetz.

ZEIT: Was wird die Kurienreform bringen?

Weisner: Der Vatikan muss vom Kontrollzum Kommunikationsinstrument werden. Wir brauchen Glauben ohne Unterwerfung.

ZEIT: Was erhoffen Sie sich als Nächstes von Franziskus?

Weisner: Dass er hilft, die Jahrhundertaufgabe zu meistern: die Schwelle zu den Frauen zu überschreiten. Dass er klerikale Männerbünde aufbricht und echte Beteiligung ermöglicht. Der Münchner Kardinal Reinhard Marx betont ja gern, wie viele Frauen er in Leitungspositionen geholt habe, aber obendrüber hat er einen Bischofsrat installiert. Außerdem hoffe ich, dass Franziskus die tiefen Ursachen von Missbrauch und Vertuschung aufdeckt.

ZEIT: Sie haben ein Faltblatt mit Zitaten von Franziskus gedruckt. Rom-Werbung?

Weisner: Nein, Mutmachworte. Kirchenvolksbewegung heißt nicht nur meckern, sondern sich weiterbewegen.

Die Fragen stellte Evelyn Finger

Zuletzt geändert am 01­.10.2013