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Veröffentlicht am 17­.01.2013

17.1.2013 - Badische Zeitung

Kriminologe Pfeiffer. Der Mann für heftige Debatten

Er ist einer der Experten, die Medien gerne fragen, wenn wieder einmal über Jugendgewalt, Amokläufe an Schulen, die soziale Verkümmerung oder das Martyrium misshandelter kleiner Kinder in Deutschland berichtet wird. Christian Pfeiffer (68), Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen (KFN) ist mediengewandt, schlagzeilenträchtig und Talkshow geeignet.

Da bleibt es nicht aus, dass der Wissenschaftler, der von 2000 bis 2003 für die SPD Justizminister des Landes Niedersachsen war, auch zuspitzt. Etwa, wenn er wie im Dezember über "eine Krise der Männlichkeit" philosophiert und die These aufstellt, dass "zwei Drittel der Väter emotionale Krüppel" seien. Oder als er 1999 für die relativ hohe Zahl ausländerfeindlicher Gewalttaten in Ostdeutschland die autoritäre Erziehung in den DDR-Kindergärten mit verantwortlich machte, wo die Kleinen sogar gemeinsam aufs Töpfchen hätten gehen müssen.

Nicht sehr freundlich denken derzeit offenbar katholische Bischöfe über den Kriminologen: Am Mittwoch entzogen sie dem 68-Jährigen ein Forschungsprojekt zum sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche, mit dem sie ihn 2011 beauftragt hatten. Das Vertrauensverhältnis sei zerrüttet, hieß es bei der Bischofskonferenz. Man habe sich nicht über die Untersuchungsmethoden und den Datenschutz einigen können. Der Sprecher der Bischofskonferenz, Matthias Kopp, hielt dem in Frankfurt an der Oder geborenen Wissenschaftler aber auch Sprunghaftigkeit und mangelnde Seriosität vor.

Pfeiffer ließ sich das nicht bieten: Auf allen Medienkanälen warf er den Bischöfen Zensurversuche und Angst vor den Ergebnissen der Studie vor. Ausgehend von der Erzdiözese München und Freising sei verlangt worden, alle Texte zur Genehmigung vorzulegen. Es sei klar gemacht worden, "dass sie dann auch das Recht haben, die Veröffentlichung von Texten zu verbieten". Am Ende habe die Kirche "den Kurs der Ängstlichen und Kontrollversessenen" übernommen, sagte Pfeiffer im ZDF-Morgenmagazin. Nicht jeder Bischof war offensichtlich von dem Vorhaben begeistert, erstmalig die streng gehüteten Archive zu öffnen. Zudem seien Gerüchte an das Institut herangetragen worden, dass Akten vernichtet worden seien, so Pfeiffer. Dazu habe es von Seiten der Bischöfe nur Schweigen gegeben.

Die Bischofskonferenz wies die Vorwürfe Pfeiffers zurück. "Es ist falsch und irreführend, uns den Vorwurf zu machen, wir würden die Freiheit der Wissenschaft nicht respektieren", erklärte die Bischofskonferenz. Pfeiffer kündigte an, dass er sein Projekt auch ohne kirchliche Unterstützung fortsetzen wird – ergebnisoffen. Bereits im vergangenen Jahr hatte er durchblicken lassen, dass er sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche für nicht weiter verbreitet hält als in anderen Teilen der Bevölkerung. Es gebe "Anhaltspunkte dafür, dass die Priester im Vergleich zu Männern ihrer Altersgruppe in Deutschland unterrepräsentiert sind", sagte er der Wochenzeitung Die Zeit.

Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) stellte sich hinter das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen. Die Einrichtung sei eine "der ersten Adressen, um eine unabhängige wissenschaftliche Aufarbeitung auf Grundlage der Personalakten seit 1945 vorzunehmen", sagte sie der Süddeutschen Zeitung. Es sei ein "notwendiger und überfälliger Schritt", dass die katholische Kirche kirchenfremden Fachleuten Zugang zu den Archiven ermögliche. "Die dramatischen Erschütterungen des Jahres 2010 dürfen nicht in einer halbherzigen Aufarbeitung versickern", fügte sie hinzu.

Der Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig, bedauerte das Scheitern des Forschungsprojekts. Das Vorhaben sei ein wichtiges Signal gewesen, sagte Rörig. Die Opfergruppe "Eckiger Tisch" verlangte eine unabhängige Aufarbeitung des Missbrauchs. Die katholische Kirche sei offensichtlich damit überfordert. Die Laienorganisation "Wir sind Kirche" sieht im vorläufigen Scheitern der Missbrauchsstudie ein verheerendes Signal für die Glaubwürdigkeit der katholischen Bischöfe. "Die verschiedenen Einzelmaßnahmen der vergangenen drei Jahre können nicht darüber hinwegtäuschen, dass die deutschen Bischöfe bisher wohl immer noch nicht zu einer unabhängigen Aufarbeitung und Ursachenforschung sexualisierter Gewalt bereit sind", erklärte Sprecher Christian Weisner.

http://www.badische-zeitung.de/deutschland-1/der-mann-fuer-heftige-debatten--68037030.html

Zuletzt geändert am 17­.01.2013