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Veröffentlicht am 12­.01.2013

12.1.2013 - Süddeutsche Zeitung

„Eine sehr schockierende Nachricht“

Der Sprecher der Reformbewegung „Wir sind Kirche“, Christian Weisner aus Dachau, über den Abbruch des unabhängigen Forschungsprojektes zu sexuellem Missbrauch in katholischen Einrichtungen

Interview: Gregor Schiegl

Mit einer schonungslosen Aufklärung der jahrelang vertuschten Missbrauchsfälle wollte die katholische Kirche wieder Vertrauen zurückgewinnen und gab dazu vor gut zwei Jahren eine Studie beim Kriminologen Christian Pfeiffer in Auftrag. Vor wenigen Tagen brach die Kirchenführung das Projekt ab. Der Dachauer Christian Weisner, Sprecher der Reformbewegung „Wir sind Kirche“, übt scharfe Kritik an den Bischöfen – und ganz besonders am Münchner Kardinal Reinhard Marx.

SZ: Herr Weisner, was bedeutet das aus des Forschungsprojekts aus ihrer Sicht? Weisner: Das ist wirklich eine sehr schockierende Nachricht, die viele Menschen in der katholischen Kirche, aber auch in der Öffentlichkeit sehr enttäuscht hat. Vor allem die, die selbst einmal Opfer sexualisierter Gewalt in der Kirche gewesen sind. Die Kirche steht vor einem Scherbenhaufen.

Für die Opfer muss das doch wie ein Schlag ins Gesicht sein?

Genauso ist es. man hat gesehen, wie schwer sich die Bischöfe getan haben, überhaupt eine Hotline mit Beratern einzurichten – die auch schon wieder eingestellt wurde – und wie schwer sich die Bischöfe getan haben, eine minimale Entschädigung von 5000 Euro zu gewähren – mit viel bürokratischem Aufwand. Es reicht nicht, wenn die Kirche sich hinstellt und sagt: Wir sind die einzige Organisation, die das bisher geschafft hat.

Glauben sie, dass es der Kirche mit der Aufklärung überhaupt ernst war? Wenn man hört, dass noch kurz vor der Untersuchung Akten vernichtet wurden, kann man Zweifel bekommen.

Eine erschütternde Tatsache, die Professor Pfeiffer schon vor Beginn der eigentlichen Untersuchung aufgedeckt hat, ist ja, dass nach dem geltenden Kirchenrecht Akten der Strafsachen in Sittlichkeitsverfahren – mit Ausnahme des Urteils – nach gewissen Fristen zu vernichten sind. Das hat man in der Vergangenheit wahrscheinlich gar nicht gemacht. Aber aus angst vor der geplanten Untersuchung besteht die große Gefahr, dass jetzt diese Akten bereinigt werden. Deshalb erwarten wir als Kirchenvolksbewegung, dass jeder einzelne Bischof eidesstattlich erklärt, keine Akten vernichtet zu haben und das auch in Zukunft nicht zu tun.

Setzen sie mit so einer Forderung die Bischöfe nicht unter Generalverdacht?

Dafür sind die Bischöfe selber verantwortlich, solange nicht wirklich offen, unabhängig und schonungslos aufgeklärt wird. Für die Kirchenbasis, die Priester, Ordensleute und kirchlichen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen ist die Belastung ja viel größer: Da muss sich ein Pater dafür entschuldigen, dass er mit einem Ordensgewand in den Kindergarten kommt, jeder einzelne Pfarrer und Diakon wird jetzt wieder täglich mit diesem Thema konfrontiert – nicht die Bischöfe, die nur ab und zu vor ein Mikrofon treten. Es ist sehr enttäuschend, dass die Bischöfe vor drei Jahren viel versprochen, und nach und nach wieder Rückzieher gemacht haben.

Der Münchner Kardinal Reinhard Marx hat sich vor drei Jahren vehement für die Aufklärung eingesetzt. Setzen sie noch große Hoffnungen in ihn?

Leider nein, denn wie sich nun herausgestellt hat: Der Widerstand gegen die Untersuchung von Professor Pfeiffer kam zuerst aus dem Erzbistum München. Und das erstaunt wirklich – gerade weil Erzbischof Marx damals den forschen Aufklärer gegeben hat. Ich befürchte, dass man auch auf Druck aus Rom jetzt nicht noch einmal – wie damals bei der Untersuchung der Rechtsanwältin Marion Westpfahl – die Personalakten öffnen und prüfen lassen möchte, weil dann möglicherweise auch Unregelmäßigkeiten aus der Zeit herauskommen könnten, als der jetzige Papst Benedikt Erzbischof von München und Freising war.

Ist die Kirchenleitung zu ängstlich?

Ja, so scheint es. ich glaube, wir stehen vor einem ähnlichen Strukturwandel wie damals im 17. Jahrhundert, als der Jesuit Friedrich Spee von Langenfeld die Inquisition und die Hexenverbrennung angeprangert hat. Wir brauchen einen Kulturwandel und müssen eine schonungslose Aufklärung betreiben. Das wird sehr, sehr schmerzhaft sein. Und wohl deshalb erscheinen die Bischöfe so ängstlich. Auf der anderen Seite ist es aber wohl so, dass sich nicht alle Bischöfe gegen die Untersuchung gewehrt haben, und diese Bischöfe muss man unterstützen. Der weg mit einem neuen Gutachter wird allerdings sehr, sehr schwierig sein. Er wird noch mehr unter Beobachtung stehen, einerseits von den Bischöfen, andererseits aber auch von der Öffentlichkeit.

Halten sie eine neue Untersuchung überhaupt noch für realistisch? Wissenschaftler fordern ja auch wissenschaftliche Freiheit ein.

Genau das ist das Problem. Ich glaube, dass es ein sehr großer Fehler gewesen ist, dass die Bischofskonferenz dieses Forschungsverfahren so abrupt gestoppt hat. Die Kirchenleitung will das Heft des Handelns in der Hand behalten und ist nicht bereit, eine unabhängige wissenschaftliche Untersuchung über sich ergehen zu lassen. Ich kann die Bischöfe nur warnen: Schaut nach Irland! Schaut nach Belgien! Dort hat der Staat die Untersuchungen durchgeführt. Das ist dann noch viel schmerzhafter für die Kirche geworden. – es ist zu begrüßen, dass Professor Pfeiffer auch ohne Auftrag der Kirche bereit ist, eine Studie mit den Betroffenen zu machen. Dazu kann man ihn nur ermutigen, weil das, denke ich, wichtige Ergebnisse über sexuelle Gewalt und deren Vertuschung in der katholischen Kirche bringt.

Wäre jetzt nicht auch über den Zölibat zu reden? Wenn Priester ihre Sexualität nicht normal ausleben können . . .?

Die Zölibatsverpflichtung führt nicht automatisch zur sexualisierten Gewalt, so einfach ist es wirklich nicht. Aber die katholische Sexuallehre, die vielen Menschen gar nicht ermöglicht, ihre eigene Sexualität zu entdecken, ist ein grundlegendes Problem – genauso wie die katholische Autoritäts- und Gehorsamsstruktur, die die Vertuschung möglich macht.

Was müsste die Kirche tun?

Was wir brauchen, ist ein Kulturwandel. Die römisch-katholische Kirche muss eine neue, eine positive Einstellung zur Sexualität finden. Und das Bild des Priesters muss sich wandeln, damit sie den Menschen partnerschaftlich gegenübertreten und nicht mit klerikaler Macht. Ich denke, wir brauchen auch ein neues Verständnis, wer Kirche überhaupt ist. Wenn wir uns alle als Kirche verstehen, so wie es das Zweite Vatikanische Konzil formuliert hat, ist das der richtige Weg. Aber dafür müssen die Bischöfe eine ganze menge ihrer Macht und ihres Einflusses abgeben.

„Jeder einzelne Pfarrer und Diakon wird jetzt wieder täglich mit diesem Thema konfrontiert“

„Ich kann die Bischöfe nur warnen: Schaut nach Irland! Schaut nach Belgien!“

Bildunterschrift
Der 61-jährige Dachauer Christian Weisner fühlt sich in der katholischen Kirche wohl, an Austritt hat er nach eigenen Worten nie gedacht. Das ängstliche Taktieren der Bischöfe im Missbrauchsskandal aber enttäuscht ihn sehr. FOTO: JØRGENSEN

Zuletzt geändert am 12­.01.2013