| |
Veröffentlicht am 15­.09.2012

15.9.2012 - Hannoversche Allgemeine

„Es geht nicht um Beschlüsse“

Katholiken aus ganz Deutschland ringen in Hannover um den Kurs ihrer Kirche – doch ob sie Reformen auf den Weg bringen, ist fraglich

Hannover. Am Anfang ist die Putenbrust. Dem Katholizismus sagt man gemeinhin einen Hang zum Genießerischen nach. Da passt es, dass dieses „Gesprächsforum“ mit dem Mittagessen beginnt. Mit Braten, mit Risoleekartoffeln und mit Farfalle in Steinpilzrahmsoße. Rund 300 Katholiken aus ganz Deutschland sind nach Hannover-Wülfel gekommen; Ordensvertreter, Leiter von Laienverbänden und 33 Bischöfe, um über „Die Zivilisation der Liebe – unsere Verantwortung in der freien Gesellschaft“ zu diskutieren.

Angesichts von Missbrauchsskandalen und Mitgliederschwund haben die Bischöfe diesen auf fünf Jahre angelegten „Gesprächsprozess“ mit Laien in Gang gebracht, um Vertrauen zurückzugewinnen – und um den künftigen Kurs der Kirche gemeinsam abzustecken. Zölibat, Sexualmoral, Ökumene – die Liste heikler Themen ist dabei lang. „Ich hab’ schon ein paar Hardliner reingehen sehen“, sagt Heinrich Mix von der Reformgruppe „Wir sind Kirche“ skeptisch, der vorm Eingang des Hotels „Wienecke XI.“ Flugblätter verteilt. Heinrich Mix wird der Putenbrust nicht teilhaftig: Seine Gruppe hat keine Einladung bekommen.

Freilich dämpft auch Erzbischof Robert Zollitsch, Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, die hohen Erwartungen: „Wir sind kein Parlament, es geht nicht um Abstimmungen oder Beschlüsse“, sagt er. Die katholische Kirche ist ihrem Selbstverständnis nach eben keine Demokratie, und der Wille Gottes lässt sich nicht mit Mehrheitsbeschlüssen ermessen. Gleichwohl ist der Druck der Basis groß. Und Kritiker argwöhnen, im Ringen um Reformen könnten Entscheidungen von Gesprächsrunde zu Gesprächsrunde vertagt werden bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag.

Viele Teilnehmer hoffen gleichwohl, dass von Hannover Signale der Erneuerung ausgehen – etwa im Blick auf wiederverheiratete Geschiedene, die derzeit noch von den Sakramenten ausgeschlossen sind: „Das ist ein brennendes Thema“, sagt Schwester Scholastika Jurt, eine 47-jährige Dominikanerin aus Arenberg. Auch Alois Glück, Vorsitzender des Zentralkomitees der Katholiken, fordert hier mehr Flexibilität: „Ich hoffe, wir finden bald Regelungen, welche die Unauflöslichkeit der Ehe nicht aufheben, aber Betroffenen den Zugang zu den Sakramenten ermöglichen“, sagt er.

An den Wänden im Tagungssaal hängen Bibelsprüche: „Die Liebe Christi drängt uns, 2 Kor 5,14.“ Dutzende von runden Tischen stehen nebeneinander. Bischöfe sind bestimmten Tischen zugeordnet, die anderen Plätze werden zugelost. Hier kann eine Kindergärtnerin neben einem Kardinal sitzen. Jede Gruppe hat bunte Stifte und farbige Zettel vor sich. Das basisdemokratische Stuhlkreisambiente erinnert eher an die Firmvorbereitung von Jugendlichen als an dramatische Dispute wie den theologischen Armutsstreit in Umberto Ecos Mittelalterroman „Der Name der Rose“. Die Arbeitsgruppen sind über iPads miteinander vernetzt, Diskussionsbeiträge lassen sich auf Leinwände projizieren. Es ist wie bei einer Managertagung, nur dass hier eingangs nicht der Geist des Erfolgs beschworen wird, sondern der Heilige Geist, den die Katholiken mit einem „Veni Creator Spiritus“-Gesang hinabrufen ins „Wienecke XI.“.

Viele Aussagen von Bischöfen bleiben an diesem Tag gleichwohl vage und abstrakt: Viel ist von der „Pastoral des hörenden Herzens“ die Rede und davon, dass die Diakonie Teil der „kirchlichen Grundvollzüge“ sei. Es ist jener kryptische Theologenjargon, der oft als „Sprache Kanaans“ verspottet wird. Die Kirche müsse an der Seite der Armen stehen, fordert der Münchener Kardinal Reinhard Marx – eine extrem konsensfähige Aussage.

Allerdings gibt es auch Äußerungen, die man so von katholischen Bischöfen selten hört: „Pluralität ist etwas, vor dem wir uns nicht fürchten müssen“, sagt Essens Bischof Franz-Josef Overbeck in einem bemerkenswerten Kurzvortrag. Die Kirche dürfe sich nicht abschotten, und sie müsse auch „jegliche Diffamierung und ungerechte Zurücksetzung gleichgeschlechtlich veranlagter Menschen“ ächten. Spontaner Applaus brandet auf, als Overbeck fordert, auch Leitungsfunktionen verstärkt für Frauen zu öffnen. Priester gäben der Kirche ein männliches Gesicht, sagt er: „Wir müssen ihr auch ein weibliches Angesicht verleihen.“

Der Osnabrücker Bischof Franz-Josef Bode bricht eine Lanze für die wiederverheirateten Geschiedenen. Natürlich müsse die Ehe unauflöslich bleiben, sagt er, doch zugleich müsse die Kirche Zeichen der Barmherzigkeit setzen: „Wir können auch die Frage der Zulassung zu den Sakramenten nicht übergehen.“

Auf den Fluren des Tagungshauses zitieren viele den kürzlich verstorbenen italienischen Kardinal Carlo Maria Martini, der über Jahrzehnte die Galionsfigur des liberalen Lagers der Kirche war. Im letzten Interview vor seinem Tod hatte er davor gewarnt, Patchworkfamilien oder Geschiedene, die wieder geheiratet haben, zu diskriminieren. Auch Bode zitiert Martini: „Wie kann die Kirche mit der Kraft der Sakramente denen helfen, die in sehr komplexen familiären Verhältnissen leben?“ In Hannover lässt sich eine Kirche besichtigen, in der Bewegung ist – die zugleich jedoch nicht weiß, ob auch sie selbst sich bewegen wird.

Am Abend des ersten Tages kritisieren mehrere Teilnehmer zwar die rigide Diskussionsleitung der Moderatoren. „Die Atmosphäre an den Tischen ist aber sehr offen, die Worte der Bischöfe vielversprechend“, sagt Elisabeth Eicke, Diözesanratsvorsitzende des Bistums Hildesheim, vor dem Nachtgebet in der nahen Kirche St. Michael. Allerdings gibt es auch Zweifel daran, dass die Weichen der Weltkirche in Wülfel neu gestellt werden: „Wir brauchen konkrete Empfehlungen beispielsweise zum Umgang mit Geschiedenen, die weiter geheiratet haben – doch diese wird es in Hannover wohl noch nicht geben“, sagt Aline Horn, Lehrerin aus Großburgwedel, die mit 25 Jahren eine der jüngsten Teilnehmerinnen ist. „Vielleicht passt Zeitdruck auch gar nicht zu unserer 2000-jährigen Geschichte.“

Eine Ordensfrau ist da ähnlicher Meinung. „Die Kirche ist wie ein schwerfälliger Tanker“, sagt die Nonne. „Sie bewegt sich. Aber sie bewegt sich langsam.“Von Simon Benne

Zuletzt geändert am 18­.09.2012