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Veröffentlicht am 09­.07.2012

9.7.2012 Der Spiegel (28/2012)

Bischof der Schmerzen

Echte oder vermeintliche Fehltritte seiner Gläubigen bestrafte der Regensburger Hirte Müller hart. Jetzt soll er als Glaubenswächter im Vatikan die Weltkirche auf Linie bringen.

Im Innenhof des bischöflichen Ordinariats in Regensburg liegt ein hübscher, nicht besonders großer Garten mit einem Springbrunnen in der Mitte. Von außen versperren alte Säulengänge und Mauern die Sicht auf das weltabgewandte Refugium.

Hier drehte Gerhard Ludwig Müller gewöhnlich seine Jogging-Runden. Die Gläubigen durften ihn nicht als schwitzenden Normalsterblichen erblicken. Sie sollten ihn als würdigen Bischof, als weisen Hirten im mächtigen Regensburger Dom kennen – ein Bild, das keineswegs hinter Sichtbarrieren verschwinden durfte. Gleich zum Amtsantritt 2002 wurde Müllers Bischofsstuhl in die Mitte gerückt nebst Umbau des Chorgestühls für insgesamt 100000 Euro. Vorige Woche blieb der Stuhl leer, da reiste Müller nach Rom ab, um einen wesentlich bedeutenderen Thron zu besteigen.

Papst Benedikt XVI., in dessen frühere Wohnung Müller einzieht, ernannte ihn zum Präfekten der Glaubenskongrega - tion – der deutsche Bischof ist nun für die Reinheit der katholischen Lehre und den Kampf gegen Häretiker verantwortlich. Sein neues Amt, früher als Römische Inquisition gefürchtet, ist eines der wichtigsten im Vatikan. Hier hat Joseph Ratzinger mehr als 20 Jahre lang seinen konservativen Kurs geprägt, bevor er 2005 zum Papst gewählt wurde.

Entsprechend groß sind die Erwartungen. Müller, 64, soll dem erschlafften, zuletzt durch Skandale gelähmten Pontifikat Benedikts frischen Schwung geben. Drängende Probleme sind zu lösen: In Deutschland und Österreich muss seine Behörde gerade mit einer wachsenden Schar von Priesterrebellen fertig werden, in der Slowakei laufen Gläubige gegen die Absetzung ihres Bischofs Sturm, und dann sind da noch aufmüpfige Nonnen in den USA, die mit ihrem Widerstand gegen Rom viele Amerikaner begeistern.

Diplomatie und Fingerspitzengefühl wären gefragt – stattdessen holte Benedikt einen gnadenlosen Polarisierer an seine Seite, der daheim vor allem durch wütende Polemiken („Ich bin kein Direktor einer Folklore-Bewegung“) und eine strafende Hand aufgefallen war.

Wenn Müller Kritiker und Andersdenkende von Rom aus ähnlich wie in Regensburg behandelt, stehen Katholiken weltweit harte Zeiten bevor. In Predigten verspottete er gern die „gleichschaltende Macht des Zeitgeistes“. Die Presse beschimpfte er wegen ihrer „Diffamierungs- Lizenz“, die sich am „totalen Herrschaftsanspruch des Neo-Atheismus und der Diktatur des Relativismus“ orientiere. Konsequent verfolgte er engagierte Katholiken, wenn sie nicht auf seiner Linie lagen: „Abbruchkommandos in der Kirche“ werde er „das Handwerk legen“.

Einer, den der bischöfliche Bannstrahl früh traf, ist August Jilek. Schon 2004 entzog Müller dem Regensburger Theologieprofessor wegen Unbotmäßigkeit gegenüber dem Bischof die kirchliche Lehrerlaubnis. Im selben Jahr legte Jilek eine 260 Seiten starke Dokumentation über Müller vor. „Zurück zu Inquisition und absolutistischer Herrschaft?“, lautete ihr Titel.

„Es ist stark zu bezweifeln, dass die Diözese Regensburg je zuvor einen Bischof hatte, der in solcher Häufigkeit und in solcher Massivität mit Wahrheitswidrigkeiten und haltlosen Anschuldigungen agitiert hat wie Bischof Dr. Gerhard Ludwig Müller“, so Jilek damals.

Noch Jahre später erinnert sich der Gelehrte daran, wie Müller seine Diözese auf Kurs brachte. Gleich bei seinem ersten Besuch an der katholisch-theologi- schen Fakultät habe der Bischof bestimmt, dass Professoren nicht mit Kirchenkritikern in Kontakt stehen dürften. Wieder und wieder hätten die Theologen daraufhin Post vom Bischof oder von seinem Ordinariat erhalten, häufig hätten sie sich rechtfertigen müssen. „Die Kollegen fühlten sich belagert, es drohte stets der Entzug der Lehrerlaubnis“, so Jilek, der seit dem Zerwürfnis mit Müller einen von der Kirche unabhängigen Lehrstuhl innehat.

Dass Theologie auch anders geht, führte Müller 2008 vor, als er mit großem Enthusiasmus sein Institut Papst Benedikt XVI. begründete. Seither werden dort Joseph Ratzingers „Gesammelte Schriften“ („JRGS“) liebevoll betreut und ediert. Wurde ein neuer Band der Serie von geplanten 16 Titeln fertig, reiste der Fan aus Regensburg schon mal persönlich zur feierlichen Übergabe an Professor Papst nach Rom.

Hervorgetan hat sich Müllers Institut auch auf dem Gebiet der Kunst. Erst Ende Mai meldete das Haus begeistert, es habe sich eine „wirklich gelungene Büste von Papst Benedikt“ in Ratzingers Heimatstadt Traunstein gesichert. Das „vielbeachtete“ Werk sei sogar „auf dem Hinweisschild auf der Autobahn Richtung Salzburg abgebildet“. Und noch eine „kostbare Gabe“ ergänzt seit kurzem die „Porträt-Sammlung“ des Instituts: ein Papst-Bild „in innovativer Schleiertechnik“, das zum Glück „umso schärfer wird, je weiter der Betrachter sich vom Bild entfernt“.

Als Mäzen hat sich Müller – in alter bischöflicher Tradition – sogar persönlich betätigt. Den Leipziger Künstler Michael Triegel beauftragte er mit einem „Bildnis unseres Heiligen Vaters“; freilich erst nachdem Triegel sein Talent stil- und zielgruppensicher mit einem Ölgemälde des Regensburger Bischofs bewiesen hatte. Entzückt schrieb Müller danach in einem Ausstellungskatalog über das „meisterliche Porträt“.

Für ihn mögen solche Schwärmereien die Karriere befördert haben. Seinen altgedienten Dorfpfarrern in der Diözese dagegen forderte der neue, konservative Zeitgeist eine gewaltige Umstellung ab. Sie waren es gewöhnt, ihre Gemeinden in ziviler Kleidung zu betreuen, Laien in den Gottesdienst, in die Gemeindeführung einzubeziehen und offen über Konfliktthemen wie Zölibat oder Priesterweihe von Frauen zu diskutieren. Nun war es vorteilhafter, den Bischof mit „Eure Exzellenz“ anzusprechen, ihm bei Ortsbesuchen die Wagentür aufzureißen und dabei am besten, wie in alten Zeiten, ein schwarzes Priestergewand mit weißem Kragen zu tragen.

Echte oder vermeintliche Fehltritte wurden von Müller schnell und hart geahndet, als gälte es, schon einmal das Amt des Großinquisitors zu üben – als Bischof der Schmerzen. Ein inzwischen pensionierter Pfarrer erzählt, man habe ihm das Gehalt um 600 Euro gekürzt, nur weil er eine ökumenische Trauung gehalten habe. Andere berichten von Rügen oder Sanktionen, weil sie sich im Pfarrbrief angeblich im Ton vergriffen oder bei der Sonntagsmesse versäumt hätten, Müllers jüngstes Hirtenwort zu verlesen.

„Wer Müllers Meinung nicht folgt, gilt als kirchenfeindlich“, sagt ein betroffener Seelsorger. Der Bischof leide wohl unter „Verfolgungswahn“. Unter Pfarrern im Bistum herrsche inzwischen „Totenruhe“. Sie wollten nicht riskieren, suspendiert zu werden wie ihr Kollege Hans Trimpl, den es zwischenzeitlich erwischte, weil er im Impressum eines reformfreudigen Priesterblatts stand.

Höher, schriller, lauter – das war bis jetzt Müllers Erfolgsprogramm. Eher leise wird es, wenn es um die Bilanz in seinem alten Bistum geht. Die Zahl der Gottesdienstbesucher sinkt ebenso dramatisch wie die der Taufen. Als der Ratzinger- Vertraute vor einem Jahr auf Platz eins der päpstlichen Vorschlagsliste für den Posten des Berliner Erzbischofs stand, winkten die Hauptstadtkatholiken vielleicht auch deshalb dankend ab.

Nicht gerade vorbildlich zeigte sich der Bischof überdies bei einem der schwierigsten Themen, die in Rom auf ihn warten: der Aufarbeitung des Missbrauchsskandals.

Vorwürfe etwa bei den Regensburger Domspatzen wehrte er mit den Worten ab: „Ein Glanzstück des Bistums Regensburg soll in den Dreck gezogen werden.“ Journalisten, die über Vorfälle in dem lange von Papstbruder Georg Ratzinger geführten Chor recherchierten, bescheinigte Müller „kriminelle Energie“. Als der SPIEGEL (44/2007) über die Übergriffe eines Wiederholungstäters im Regensburger Bistum berichtete, versuchte Müller, mit ständig neuen Versionen vor Gericht das Thema vom Tisch zu bringen – erfolglos.

Wiederholt setzte der Seel - sorger auf Angriff, etwa indem er über NS-Propagandaminister Joseph Goebbels sinnierte und dann von „periodisch auftretenden Medienkampagnen“ sprach. In einer Predigt im März 2010 beschrieb er das Vorgehen der Nazis gegen Katholiken. Dann geißelte er Journalisten: „Auch jetzt erleben wir eine Kampagne gegen die Kirche. Von so vielen Medien wird gegen die Kirche gezischt, als ob man gerade in einem Gänsestall hier die Gänse aufgeweckt hätte.“ Der Deutsche Journalisten-Verband forderte umgehend eine Entschuldigung. Müller lehnte ab.

Im Vatikan wird der Mann aus Regensburg in fast allen Fragen päpstlicher Politik und Lehre künftig ein Mitspracherecht besitzen, seine Behörde hat eine Sonderstellung in der Kurie. Mit Verbitterung und Entsetzen reagierten vorige Woche deshalb liberale Gläubige. Sie fürchten, dass Dunkel - katholiken, die in Rom seit langem an Einfluss gewinnen, künftig in Müller eine erstklassige Anlaufstelle für ihre Denunziationen finden könnten. Als Glaubenswächter sei „dieser bornierte Scharfmacher fehl am Platz“, donnerte Kir chenkritiker Hans Küng über die „katastrophale Fehlbesetzung“ seines alten Bekannten Ratzinger, der ihm einst die Lehrerlaubnis entzogen hatte.

Erleichtert waren dagegen viele Regensburger. „Endlich!“, lautete der Stoßseufzer selbst älterer bayerischer Stammkatholiken bei einer Radio-Umfrage in der Fußgängerzone. Eine Vertreterin der Reformgruppe „Wir sind Kirche“, von Müller kürzlich als „parasitär“ bezeichnet, fasst die Stimmung so zusammen: „Wir sind froh, ihn endlich los zu sein.“

Zuletzt geändert am 16­.07.2012