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Veröffentlicht am 01­.06.2012

1.6.2012 - Siegener Zeitung

Zukunft der Kirche: Reformieren oder beharren?

Olpe. Das Katholische Bildungswerk im Kreis Olpe hatte offenbar in ein Wespennest gestochen. Als am Mittwochabend im Alten Pastorat in Olpe eine Podiumsdiskussion über die Zukunft der Kirche zahlreiche Zuhörer anlockte, wurde deutlich, wie sehr das Thema auf den Nägeln brennt. Hier prallten schier unvereinbare Forderungen nach Reformen auf der einen und dem Bewahren auf der anderen Seite aufeinander.

win - Das Podium war besetzt mit Ansgar Kaufmann aus Welschen Ennest, Vorsitzender des Diözesankomitees im Erzbistum und Mitglied im Zentralkomitee der deutschen Katholiken, Pfarrer Reinhard Bürger, Leiter eines Pastoralverbunds in Dortmund, Annegret Laakmann von der "KirchenVolksBewegung" sowie Alexandra Maria Linder von der "Aktion Lebensrecht für alle". Damit waren drei Richtungen vertreten: Kaufmann wie Bürger haben beide an der Auftaktveranstaltung des Dialogprozesses in Mannheim teilgenommen, der im vergangenen Jahr viel Aufsehen in Kirchenkreisen hervorgerufen hat. Beide vertreten einen moderaten Reformkurs. Annegret Laakmann spricht für eine starke Gruppe in der Kirche, die für radikale Reformen steht, und Alexandra Linder vertritt einen extrem konservativen Kurs. Mit dieser Auswahl an Diskutanden war für Brisanz gesorgt.

"Pastoral der Barmherzigkeit"

Zunächst berichteten Ansgar Kaufmann und Reinhard Bürger über den Dialogprozess und den aus ihrer Sicht erfolgreichen Auftakt sowie die ebenso erfolgreiche Fortsetzung auf diözesaner Ebene. 300 Teilnehmer, darunter 30 Bischöfe, hätten in Mannheim unkonventionell das Gespräch miteinander gesucht und dabei erste Ziele formuliert. Beide betonten, dass der Prozess erst an seinem Beginn, das Ende noch vollständig offen sei. Als Übereinstimmungen fasste Kaufmann zusammen, dass eine "anziehende Seelsorge" gewollt sei, eine "Pastoral der Barmherzigkeit" und dass über das Diakonat der Frau zumindest gesprochen werden solle. Höchste Enttäuschung habe bei allen Beteiligten geherrscht, als Papst Benedikt bei seinem Deutschland-Besuch den Dialogprozess mit keinem Wort erwähnt habe.

Bürger betonte, bei beiden Auftaktveranstaltungen - Mannheim wie Paderborn - habe kein "Halleluja-Katholizismus" geherrscht; alle Beteiligten seien sehr geerdet gewesen, wobei aber Spiritualität und Gottesdienst nicht auf der Strecke geblieben seien. "Wir sind Themen angegangen, die seit Jahrzehnten vor uns hergeschoben werden, etwa die Ämter und Dienste in der Kirche. Die Lösung kann nicht sein, einfach immer größere Einheiten zu schaffen." Falsch sei es, immer nur auf Weisungen "von oben" zu warten, stattdessen müssten in den jeweiligen Arbeitsfeldern "mutige Schritte" gemacht werden.

Religionslehrer leisten Basisarbeit

Kaufmann erklärte, aus seiner Sicht sei der Dialogprozess schon jetzt ein Erfolg, weil über grundlegende Probleme der Kirche nun offen gesprochen werde. Beispielsweise könne die Kirche mit ihrer Sexualmoral heutige Jugendliche nicht erreichen, wenn sie die Empfängnisverhütung untersage. In einem Punkt habe er große Hoffnung auf baldige Reformen: Die Bischöfe hätten zugesagt, dass sich im Umgang mit geschiedenen und wieder verheirateten Katholiken etwas bewegen werde. Annegret Laakmann und Alexandra Linder hatten eines gemeinsam: Beide zeigten sich enttäuscht, dass ihre Verbände zum Dialogprozess nicht eingeladen gewesen seien. Hier erschöpften sich die Übereinstimmungen aber auch schon. Laakmann plädierte ganz entschieden für die Aufwertung des Bildes der Frau in der Kirche, über einen anderen Umgang mit Homosexualität. Angesichts der Tatsache, dass beim Dialogprozess keinerlei konkrete Vereinbarungen getroffen würden, "haben wir noch einen langen Weg vor uns". Alexandra Linder wandte sich gegen alle drei vorherigen Redner. Ökumene sei für sie keineswegs erstrebenswert, zu unterschiedlich seien Evangelische und Katholische. "Ich gehe oft zu evangelischen Gottesdiensten, aber nicht zum Abendmahl, weil ich das nicht glaube, was die Evangelischen glauben." Sie kenne viele gemischtkonfessionelle Paare, die mit der Situation keinerlei Probleme hätten: "Die gehen am Wochenende eben in zwei Gottesdienste." In Sachen Umgang mit Geschiedenen und Wiederverheirateten stehe für sie außer Frage, dass das Sakrament der Ehe nur einmal gespendet werden dürfe. Wer dies ändern wolle, der rüttle an den Grundfesten der Kirche. Stattdessen sei eine gute Ehevorbereitung durch die Kirche wichtig, eine solche könne manche Scheidung verhindern, ebenso wie gute Eheberatung in Krisen. Zölibat und Frauenpriestertum seien ebenfalls keine Lösungen für die katholische Kirche: "Die evangelische Kirche hat beides, und die ist in einem viel lausigeren Zustand als wir. Das bringt unsere Kirche nicht voran." Außerdem seien derartige Dinge gar nicht verhandelbar, weil sie schließlich Gottes Wille seien. Weiterhin kritisierte sie, dass viel zu viel Spiritualität aus der Messe "verbannt" worden sei. "Damit sprechen wir viele Jugendliche nicht mehr an. Was wollen Jugendliche? Sie sind auf der Suche nach Spiritualität. Sie gehen zum Papstbesuch, aber nicht zum Dialogprozess." Mehrfach versuchte Moderatorin Petra Lütticke, Alexandra Linder zu bewegen, wie ihre Vorredner eine grundsätzliche Stellungnahme abzugeben und erst in einer späteren Runde auf die übrigen Diskutanden einzugehen, was aber im Versuch steckenblieb. Wenn Alexandra Linder das Wort hatte, verteidigte sie es mit geschliffener Ausdrucksweise, messerscharfen Formulierungen und Stakkato-Tempo. Aus dem Plenum kamen konträre Wortmeldungen. Der größere Teil sprach sich für Reformen aus, etwa die Forderung, dass Bischöfe mehr Mitsprache erhalten müssten, damit nicht länger der Papst allein Entscheidungen fälle. Ein anderer zeigte sich "entsetzt, dass wir über eine Demokratisierung der Kirche sprechen. Wir haben nun einmal eine hierarchische Kirche, die von Jesus Christus geleitet wird, und der wird durch den Papst vertreten". Alexandra Linder erklärte viele der lautgewordenen Forderungen zum "Hinterherlaufen hinter dem Zeitgeist". Dem dürfe die Kirche aber nicht geopfert werden. Annegret Laakmann widersprach: "Die Kirche hat sich immer geändert. Sie war doch nicht immer so wie heute. Es gab das Frauenpriestertum, es gab verheiratete Priester." Und eine Religionslehrerin erklärte fast verzweifelt, viele der konservativen Vertreter wüssten offenbar gar nicht, wie es heutzutage im Religionsunterricht an einer Schule zugehe: "Wir leisten Basisarbeit, die früher in den Familien erbracht wurde. Es geht hier nicht um den Zeitgeist, sondern um die Auseinandersetzung mit dem Heute." Konservativ heiße doch nicht, Altes strikt zu bewahren. Eine Mitarbeiterin aus der katholischen Bildungsarbeit stimmte zu: In Gesprächen mit Kolleginnen und Kollegen aus dem gesamten Erzbistum habe sie festgestellt, dass in den vergangenen vier bis fünf Jahren ein Umdenken stattgefunden habe: Seitdem herrsche überwiegend die Stimmungslage, dass dringend etwas geschehen müsse, weil die Kirche sonst verlorengehe. Ansgar Kaufmann fasste für sich am Ende zusammen: "Die von vielen befürchtete Spaltung ist schon da, in einen kleinen Teil, der fest in der traditionellen Kirche verwurzelt ist und einen großen, der katholische Inhalte gar nicht mehr kennt." Annegret Laakmann schloss: "Ich glaube an eine Kirche, die sich immer verändert. Jetzt aber sehe ich die einzige Chance, wenn die Veränderung schnell kommt." Näheres zum Dialogprozess unter www.einen-neuen-aufbruch-wagen.de sowie unter www.paderborn-im-dialog.de.

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Zuletzt geändert am 02­.06.2012