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Veröffentlicht am 18­.05.2012

18.5.2012 - Stuttgarter Zeitung

„Kirche muss Reformen zulassen“

Mannheim – Der Dialogprozess in der katholischen Kirche sei ein Witz, der Katholikentag in Mannheim vor allem ein Spektakel, meint Friedhelm Hengsbach. Der Jesuit und Sozialethiker plädiert für radikale Reformen.

Herr Hengsbach, wie oft waren Sie schon bei Katholikentagen?

Ziemlich oft, ich werde allerdings eher zu evangelischen Kirchentagen eingeladen. Das liegt daran, dass die Protestantentreffen näher an den Herausforderungen der Zeit sind. Sie beschäftigen sich ­mehr mit den Fragen der Arbeitswelt, der ­Finanzkrise und den Verteilungskon­flikten in der Welt als Katholikentage. Der in Mannheim soll ein Glaubensfest werden, wie Erzbischof Robert Zollitsch sagt. Mit einer solchen Vorgabe werden viele kritische Anfragen von vornherein abgebügelt.

Sie haben mit einer rebellischen Rede das Alternativprogramm der Reformgruppen eröffnet. Widerspricht das nicht Ihrer Gehorsamspflicht als Priester und Jesuit?

Wenn die Autorität das allgemeine Interesse der Kirche nur begrenzt wahrnimmt, sind Widerspruch, ziviler Ungehorsam und auch Regelverletzung geboten. Das ist alte kirchliche Tradition. Der Apostel Paulus hat Petrus auch widerstanden, als der seinem Auftrag untreu wurde.

Die Organisatoren des Katholikentages sagen aber, alle Reizthemen würden diskutiert.

1200 Veranstaltungen heißt natürlich, dass fast alles vertreten ist. Das ist so organisiert, dass die Menschen, die sich für eine bestimmte Sache interessieren, jeweils unter sich sind. Mir fehlt aber eine eindeutige Botschaft in die gegenwärtige Zeit hinein.

Welche hätten Sie denn gern?

Wir müssen zum einen die großen Verteilungskonflikte benennen, die im Grunde einen Ursprung haben: den weltweiten Konflikt zwischen der privaten Kapitalmacht und der Macht der demokratisch legitimierten Staaten. Das ist die große Auseinandersetzung, die wir gerade in Europa spüren. Zum anderen geht es um den Konflikt von Arbeit und Kapital. Deutschland schwärmt vom Jobwunder und übersieht, dass die meisten neu entstandenen Arbeitsverhältnisse unzumutbar und miserabel sind. Drittens gibt es den Konflikt zwischen den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Interessen der Industrieländer und den Entwicklungsländern sowie den zukünftigen Generationen um den Anteil an den natürlichen Ressourcen der Erde. Das sind die zentralen Zukunftsfragen.

Die werden doch auf dem Katholikentag angesprochen?

Nur in zwei Veranstaltungen.

Würde denn die Gesellschaft hier überhaupt auf eine Kirche in schwieriger Lage hören?

Eine Kirche, die der Gesellschaft etwas über Gerechtigkeit erzählt, ist unglaubwürdig, wenn sie nicht im eigenen Bereich für Gerechtigkeit sorgt. Das ist in der katholischen Kirche leider der Fall. Sie lässt Frauen nicht zu allen Ämtern zu, zwingt den Priestern und Bischöfen eine Lebensform auf, die nicht für jeden passt. Sie beteiligt das Kirchenvolk nicht an den Entscheidungen der kirchlichen Repräsentanten.

Es gibt aber doch gerade einen breiten Dialogprozess zwischen Basis und Spitze.

Das ist für mich eine kabarettreife Nummer. So wollte zum Beispiel das Zentralkomitee der Deutschen Katholiken über das Diakonat der Frau sprechen. Daraufhin erklärte die Bischofskonferenz, der Vorschlag belaste den Gesprächsprozess. Es scheint, als wollten die Bischöfe nur auf Fragen antworten, die gar nicht gestellt sind. Das ist nicht Dialog, sondern Dialogverweigerung. Stattdessen werden Spektakel inszeniert, um Strukturdebatten zu entgehen – die Papstparade vor einem halben Jahr, der Katholikentag jetzt.

Sind Sie nicht ungerecht? Am Ende entscheidet Rom und nicht die Bischöfe.

Die Bischöfe sind mehr mit sich selbst und der höheren Instanz solidarisch als mit denen, die ihnen anvertraut sind. Der Prophet Jeremia hätte gesagt: Wehe, euch Hirten, ihr fresst eure Schafe und weidet sie nicht. Vielleicht muss das Kirchenvolk lernen, nicht nur demütig, sondern auch konfliktfähig zu sein, damit es am Ende zu einer friedlichen Einigung kommt.

Was heißt das konkret?

Wenn alle diplomatischen Wege nicht funktionieren, müssen die katholischen Christen sich ihre Kirche wieder selbst aneignen und die Dinge tun, die sie für richtig halten: zusammen beten, sich austauschen und Eucharistie auch ohne Priester feiern. Sie müssten mehr auf den Geist Jesu vertrauen als auf irgendwelche menschlichen Vorschriften.

Was wäre die Voraussetzung, dass sich die Kirche wieder klar zu Wort melden kann?

Sie müsste Reformen zulassen, die ihre Staatsnähe lockern. Eine Körperschaft des öffentlichen Rechts im Schulterschluss mit den wirtschaftlichen und politischen Eliten hat wenig Möglichkeiten, kritische Positionen zu beziehen. Die Kirche müsste die Kirchensteuer aufgeben und sich als Arbeitgeberin dem allgemeinen Arbeitsrecht unterwerfen. Die Staatsnähe bringt zwar finanzielle Sicherheit, aber die Kirche verliert so an Überzeugungskraft. Die Strahlkraft der Botschaft Jesu Christi leidet.

Das heißt, Sie sind mit dem Papst einig, der eine Entweltlichung der Kirche will?

Ich halte nichts von Entweltlichung, wohl aber von Entstaatlichung. Die würde ich auch dem Papst anraten. Er sollte sich von seinem Vatikanstaat und der damit verbunden Bürokratie befreien.

http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.friedhelm-hengsbach-kirche-muss-reformen-zulassen.f5203c48-863b-41b1-a824-2c1348d921b5.html

Zuletzt geändert am 19­.05.2012