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Veröffentlicht am 07­.05.2012

7.5.2012 - Der Spiegel 19 / 2012

Abfall vom Glauben

Vor dem Mannheimer Katholikentag fürchten Bischöfe und Funktionäre, dass ein Priesterrebell aus Österreich nun auch deutsche Kirchenmitglieder aufwiegelt. So sieht also ein Rebell in der katholischen Kirche aus: ein älterer Herr im dunklen Anzug, mit steifem Priesterkragen und strengem Scheitel.

Aber wenn Helmut Schüller zu sprechen beginnt, klingt der 59-jährige Pfarrer wie ein junger Aktivist der Occupy-Bewegung. "Es gibt keine Hoffnung mehr auf Reformen in der Kirche von oben, es gibt nur noch den Aufstand", sagt er.

Seit Monaten sorgt Schüllers "Aufruf zum Ungehorsam" für Aufruhr in der Kirche. Binnen kurzer Zeit schlossen sich in seiner Heimat Österreich 405 Geistliche der Initiative an, schnell folgten Ableger in weiteren Ländern, darunter Belgien, Brasilien, Irland und die USA. Anfang April erreichte die Protestwelle den Vatikan: In einer Osterpredigt setzte sich Papst Benedikt XVI. mit den Rebellen in seinem Klerus auseinander.

Jetzt kommt die Bewegung im Herzen der katholischen Kirche Deutschlands an. Wenn Mitte Mai über 50.000 Gläubige in Mannheim zusammentreffen, hat Schüller als Gastredner gute Chancen, zum Star des Katholikentags 2012 zu werden.

Denn der Rebell aus der Nähe Wiens fordert nicht nur zum Ungehorsam auf, er praktiziert ihn auch. Mit seiner Pfarrerinitiative ignoriert er strenge Regeln, die vermeintliche Sünder von der Eucharistiefeier ausschließen; er möchte Frauen zum Priesteramt zulassen und Laien mehr Teilhabe ermöglichen. Der deutsche Klerus ist vorsichtiger, Kritik kommt meist nur von Basisorganisationen wie "Wir sind Kirche".

Entsprechend nervös reagieren die Vertreter der Kirchenhierarchie. Im Bistum Hildesheim gab es eine Art Einreisesperre für Schüller, als in Soltau die Pfarrgemeinde St. Marien mit ihm über die Zukunft der Kirche diskutieren wollte. Hirte Norbert Trelle gilt Kritikern seitdem als "Basta-Bischof". Sein Regensburger Bruder Gerhard Ludwig Müller nannte die pfarrerinitiative aus Österreich "unchristlich" und "ein Übel". Und in Passau warf Bischof Wilhelm Schraml den Priesterrebellen einen "Abfall vom Glauben" vor, also Häresie. Dafür befahlen Inquisitoren einst den Tod auf dem Scheiterhaufen.

Selbst Alois Glück, Vorsitzender des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), übte sich vor wenigen Tagen in Rom in vorauseilendem Krisenmanagement. Er werde schon dafür sorgen, versicherte der CSU-Politiker dem Papst, dass Schüller und seine aufrührerischen Gedanken nicht den Kirchentag beherrschten: Weitere Rebellionsaufrufe werde es in Mannheim nicht geben.

Glück und seine einflussreiche Laienorganisation setzen lieber auf vorsichtige Reformen. "Einen neuen Aufbruch wagen" lautet das vergleichsweise zahm formulierte Motto des Katholikentags. Das ZdK möchte keinen offenen Streit mit der Kurie riskieren.

Da würde es nur stören, wenn Schüller auch in Mannheim äußert, was er im Gespräch sagt: "Rom unterstützt eine Retrokirche. Selbst kleinste Reformen werden wieder abgeschafft, wir haben eine Rückwärtsentwicklung." Geistliche dürften nicht länger "aus falsch verstandener Solidarität mit dem Papst" ihre Kritik verschweigen: "Aus Liebe zur Kirche müssen wir Pfarrer auch etwas riskieren." Bischöfe wie Müller oder Schraml dagegen gehörten einer' "Kaste" an, die "nur auf Privilegien sitzt, die sie nicht aufgeben will".

An der Basis kommen Aufrufe zum Ungehorsam derzeit gut an. In Augsburg demonstrierten vor zwei Wochen 2500 Gläubige gegen ihren Bischof, der ohne echten Dialog Pfarrgemeinden schließen will. Auch in Köln, Bonn und Duisburg protestieren viele Gläubige gegen die Amtskirche, weil sie sich von ihr bevormundet und vernachlässigt fühlen. An etlichen anderen Orten haben Seelsorger Treffen organisiert, auf denen Katholiken Schüllers Thesen unterstützten.

Der heutige Rebell hatte in der Amtskirche zunächst eine konservative Karriere gemacht. Er war Generalvikar des Erzbistums Wien und Chef der österreichischen Caritas, bevor er wegen seiner kritischen Ansichten suspendiert wurde. Derzeit arbeitet er als Pfarrer einer Dorfgemeinde bei Wien.

Dort entwickelte er im vergangenen Jahr ein - für katholische Verhältnisse - radikales Programm. "Die Zeit der Resolutionen und Bittbriefe ist vorbei", sagt er, "das hat alles überhaupt nichts gebracht, es wurde alles ausgesessen." Die Amtskirche habe mehrere Generationen von Laien ausgebremst, deshalb müsse die Basis nun endlich handeln: "Wenn die Reformen nicht von oben offensiver aufgegriffen werden, dann müssen sie einfach unten praktiziert werden."

Ungehorsam bedeutet für Schüller und die Mitglieder der Pfarrerinitiative, die Hostie auch an Wiederverheiratete oder Protestanten auszugeben. Wenn es der Personalmangel erfordert, lassen sie in ihren Gemeinden Gottesdienste zu, in denen Laien Predigt und Kommunion übernehmen. All dies verstößt gegen die Regeln der katholischen Kirche.

Viele Pfarrer, so Schüller, handelten schon lange anders, als es ihnen die Kirche vorschreibt: "Die meisten leben in einem praktischen Ungehorsam, der nur so lange geduldet wird, wie er nicht öffentlich wird."

Für ähnliche oder sogar geringere Vergehen wurden einzelne Seelsorger noch vor wenigen Jahren abgestraft. Als der Saarbrücker Pfarrer Gotthold Hasenhüttl auf dem Ökumenischen Kirchentag 2003 die Kommunion auch an Protestanten verteilte, verlor er sein Amt. Auch jetzt verlangt etwa das konservative "Netzwerk katholischer Priester" ein "entschiedenes Einschreiten" der Bischöfe.

Vielleicht ist der Protest diesmal zu groß, vielleicht haben sich bereits zu viele Pfarrer angeschlossen, auf die die Amtskirche wegen des drängenden Priestermangels nicht verzichten kann. Oder es braucht einfach nur Zeit, bis die manchmal schwerfällige Kurie reagiert.

Bislang jedenfalls trauten sich die Bischöfe nicht, gegen die ungehorsamen Seelsorger konsequent vorzugehen. Selbst der Papst überraschte viele Gläubige, als er am Gründonnerstag die Priesterrebellen relativ milde in einer Predigt erwähnte. Benedikt sprach verständnisvoll über die Autoren des Appells, die wohl glaubten, "der Trägheit der Institutionen" sei nur "mit drastischen Mitteln zu begegnen, um neue Wege zu öffnen". Er frage sich lediglich, ob Ungehorsam der richtige Weg sei.

Ein Bannstrahl aus Rom sähe anders aus, entsprechend gelassen sieht Schüller dem deutschen Katholikentag entgegen. "Nachdem wir es vor Jahrhunderten immerhin geschafft haben zu akzeptieren, dass sich die Erde überhaupt dreht", sagt er, "muss die Kirche doch einfach nur erkennen, dass sich die Erde seitdem weiterdreht."

PETER WENSIERSKI

Zuletzt geändert am 08­.05.2012