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Veröffentlicht am 11­.09.2006

11. September 2006 - Heidenheimer Neue Presse

Die Rückkehr des Papstes in seine Heimat

250 000 Gläubige erleben bewegende Stunden mit Benedikt XVI.

Joseph Ratzinger setzt auf Zurückhaltung: Warmherziger Vater statt Medienstar


Der Mann, der seit Samstag Bayern besucht, schreitet auf leisen Sohlen. Allen "Benedetto"-Rufen zum Trotz: Ein Medienstar, der sich von Beifalls-Wogen tragen lässt, will dieser Papst nicht werden. Die Rolle des warmherzigen Vaters passt zu Benedikt XVI. viel besser. Schon beim Empfang auf dem Marienplatz in München zeigt sich, dass da ein sicherer, aber introvertierter "Stellvertreter Gottes" auf der Reise zu seinen Wurzeln ist. "Ich kehre zurück in meine Heimat, zu meinen Landsleuten", hat Papst Benedikt XVI. zuvor auf dem Flughafen beim Empfang durch Bundespräsident Horst Köhler gesagt. Er wolle noch einmal die Orte sehen, "in denen ich groß geworden bin, die mich geprägt und mein Leben geformt haben". Es ist kein Deutschland-Besuch, es ist die Heimkehr nach Bayern. Vor 24 Jahren hatte sich Joseph Ratzinger als Erzbischof von München und Freising an der Mariensäule verabschiedet, um nach Rom zu gehen. Jetzt ist er sichtlich bewegt, wieder hier zu stehen. Er sagt das auch, und er singt leidenschaftlich mit, als die Bayernhymne ertönt. "Gott mit dir du Land der Bayern." Die Gebirgsjäger spielen auf, alle sind gerührt. Benedikt XVI. reist nicht als "deutscher Papst" durch Bayern, sondern in erster Linie als Lehrer und Verkünder einer Botschaft, mit der er auf "die Schwerhörigkeit gegenüber Gott" zielt. So formuliert er es in seiner Predigt in der neuen Messe in München vor 250 000 Gläubigen. Großartig seien deutsche Katholiken bei der Unterstützung sozialer Anliegen in der Welt. Die Dinge mit Gott oder gar mit dem katholischen Glauben würden jedoch als "partikulär und gar nicht so vordringlich" eingestuft. Das stoße in der Weltkirche auf Befremden. Ehrfurcht vor dem Heiligen "Wo wir den Menschen nur Kenntnisse bringen, Fertigkeiten, technisches Können und Gerät, bringen wir zu wenig." Nicht im christlichen Glauben sähen die Völker Afrikas und Asiens "die Bedrohung ihrer Identität, sondern in der Verachtung Gottes und in dem Zynismus, der die Verspottung des Heiligen als Freiheitsrecht ansieht." Die Toleranz, die die Welt brauche, schließe die "Ehrfurcht vor dem ein, was anderen heilig ist." Für viele Gläubige sind das bewegende Stunden auf dem großen Freigelände: der Jubel beim Eintreffen des Papstes, die trotz einzelner "Bendedetto-Rufe" andächtige Stimmung während des Gottesdienstes, die Fröhlichkeit, als sich das Kirchenoberhaupt nach der Feier lachend und verhaltend winkend den Gläubigen zuwendet. "Ganz beeindruckt" von der Stimmung auf dem Messeplatz ist auch Frank Spann. Dass so viele Menschen zusammen Gottesdienst feiern und ihren Glauben bekennen, begeistert den 32-Jährigen aufrichtig. Schon um fünf Uhr war er mit einer Gruppe Gleichgesinnter in Blaustein bei Ulm aufgebrochen, um nach dreieinhalb Stunden Fahrt und einem einstündigen Fußmarsch an der Messe einzutreffen. Fasziniert ist er von der Ruhe, die der Papst ausstrahlt; dass er kein "Showmaster" ist, gefällt ihm sehr. Das sieht auch Anne Ludwig (25) so. Dass Benedikt so ist, wie er ist und nicht jeder Mode hinterher jagt, findet die junge Frau aus Blaustein richtig gut. "Veränderungen in der Kirche brauchen Zeit" - auch wenn sie als ehemalige Ministrantin und engagierte Christin sich die Freiheit nimmt, den Glauben auf ihr Lebenskonzept anzupassen. "Man lebt ja nicht alles, was der Papst möchte", sagt sie. Benedikt XVI. erfüllt in unsicheren Zeiten die Erwartungen der Gläubigen nach Stabilität und Verbindlichkeit. Glaubwürdig sei er, sagt Gundula Kuhn (43) aus Herrlingen. Er lebe das, wovon er spreche. Die Besinnung auf das Wesentliche, hebt Gerlinde Hepperle (53) hervor. Das Oberhaupt von mehr als einer Milliarde Katholiken stelle nicht "sich in den Mittelpunkt, sondern Gott". Gerade die Zurückhaltung kommt an. Kein Händeschütteln in der Menge, kein Posieren mit Kindern. Papst Benedikt bleibt in seiner Rolle. Keine noch so zarte Abweichung in der Liturgie, keine spontane Veränderung des protokollarischen Rahmens. Besondere Beziehung Bei der Ankunft auf dem Marienplatz war das spürbar anders gewesen. Der herzliche Empfang, ja die Euphorie, die immer dann einsetzte, wenn Benedikts Verbundenheit mit Bayern zum Ausdruck kam, beeindruckte den Gast aus Rom und veranlasste ihn zu ein paar sehr persönlichen Worten. Er habe, erzählte der Papst, zur Mariensäule auf dem Platz vor dem Rathaus eine ganz besondere Beziehung: Schon zwei Mal habe sie Wendepunkte in seinem Leben markiert. Vor 30 Jahren hat der Theologe Joseph Ratzinger hier ein Gebet gesprochen, als er von der Universität weg auf den Stuhl des Erzbischofs von München und Freising berufen wurde. Als er 1982 von Johannes Paul II. als Präfekten der Glaubenskongregation nach Rom geholt wurde, hat er sich dort von den Gläubigen verabschiedet. Zurückhaltend erzählt er von diesem Weg, für den er sich vor kurzem noch eine andere Wendung erträumt hatte. Doch mit der Wahl zum Papst sei er "Lasttier Gottes" geworden und nehme das als seine Aufgabe an. Umso größer scheint deshalb seine Freude, bei dieser stark biografisch geprägten Reise noch einmal wichtige Orte seines Lebens zu sehen. Morgen werden 350 000 Menschen zur Messe bei Regensburg erwartet; in der Universitätsstadt hatte Ratzinger früher Theologie gelehrt. Der Mittwoch ist dem privaten Teil des Besuches vorbehalten; der Papst wird dann seinen Bruder Georg treffen und am Grab seiner Eltern sowie der Schwester beten. Dass dieser Besuch - trotz aller Verbundenheit zu Bayern - nicht leicht ist, hat Bundespräsident Horst Köhler schon auf dem Flughafen betont. Denn die Reise führt den Papst in ein schwieriges Land. Deutschland ist nicht nur das Ursprungsland der Reformation, sondern auch eine Hochburg des Protestantismus. Und für die vielen evangelischen Christen wünsche er sich Fortschritte in der Ökumene, sagte Köhler. In einer spontanen Replik hat der Papst versprochen, "mit Herz und Verstand" daran weiterzuarbeiten. Worte, die nach Einschätzung von Christian Weisner, Sprecher der Bewegung "Wir sind Kirche", hoffen lassen. "Wenn dieser Hoffnung aber keine konkreten Schritte folgen, wird die Enttäuschung groß sein", fürchtet er. Bis dahin scheint der Weg noch weit.

ELISABETH ZOLL IRIS HILBERTH

Zuletzt geändert am 11­.09.2006