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Veröffentlicht am 10­.11.2011

November 2011 - Kirche In

Einen neuen Aufbruch wagen!

Die deutsche Kirche nach dem Papstbesuch. Von Christian Weisner

Die Erwartungen an den jüngsten Deutschlandbesuch von Papst Benedikt XVI. waren sicher nicht überzogen, denn man weiß, dass Joseph Ratzinger seit drei Jahrzehnten in Rom Verantwortung für die Weltkirche innehat. Am 25. November dieses Jahres ist es genau 30 Jahre her, dass er zum Präfekten der Glaubenskongregation berufen wurde. Doch gerade für viele gutgläubige Katholikinnen und Katholiken war und ist die Enttäuschung groß, dass er jetzt als Papst so wenig Bereitschaft zeigte, die sogar vom deutschen Bundespräsidenten Christian Wulff deutlich angesprochenen Reformanliegen wenigstens zur Kenntnis zu nehmen und zu mehr Ökumene sowie zur Weiterführung des von den Bischöfen begonnenen Gesprächsprozesses zu ermutigen.

Während vielerorts noch über den Inhalt seiner 17 Reden und Ansprachen gerätselt wird, verkündeten die deutschen Bischöfe auf ihrer Herbstversammlung keine zwei Wochen nach dem Papstbesuch in seltener Einmütigkeit, dass man sich weiter für die Ökumene und für eine pastorale Regelung für geschiedene Wiederverheiratete einsetzen wolle. Man fühle sich auch in der Fortsetzung des bischöflichen Gesprächsprozesses ermutigt – den der Papst auf seiner Reise mit keiner Silbe erwähnt hatte. Kardinal Lehmann sieht sogar das Thema Diakoninnen wieder auf der Tagesordnung.

Dabei geht es nicht um einen deutschen Sonderweg, eine Abkehr von Rom oder eine Nationalkirche, denn die drängenden pastoralen Fragen stellen sich nicht nur in Deutschland, sondern weltweit. Auch die jahrzehntelange Vertuschung sexualisierter Gewalt, die die aktuelle Krise zugespitzt hat, ist ja ein weltweites Problem des Klerikalismus der römisch-katholischen Kirche.

Damit jetzt überhaupt noch eine Chance besteht, dass der Vertrauensverlust in die Kirchenleitung gestoppt werden kann, muss der von den deutschen Bischöfen vor einem Jahr versprochene Gesprächsprozess engagierter und zügiger als bisher fortgesetzt werden, Es wäre eine fatale Entwicklung, wenn der ursprünglich als Dialog angekündigte, mittlerweile schon zum unverbindlichen Gespräch herabgestufte Prozess genauso im Nichts verlaufen würde wie damals der „Dialog für Österreich“ nach dem österreichischen Kirchenvolksbegehren 1995. Die Nagelprobe, wie ernst es die deutschen Bischöfe meinen und wie verantwortungsvoll sie ihr Hirtenamt ausüben, wird wohl erst der nächste Katholikentag 2012 in Mannheim sein, der das Motto hat: „Einen neuen Aufbruch wagen“.

Der Aufruf des Papstes zur „Entweltlichung“ und zum Verzicht auf „Privilegien“ hat – ob beabsichtigt oder nicht – schon jetzt die Diskussion um das Verhältnis von Staat und Kirche sowie im Besonderen den Zusammenhang von Kirchensteuer und Kirchenmitgliedschaft neu belebt. Dabei sollte der Papst aber nicht vergessen, dass der Vatikan, die Priesterausbildung in Afrika und Südamerika sowie die weltweiten Hilfswerke zu einem ganz erheblichen Teil von Deutschland aus finanziert werden. Auch die Freiheit der Theologie an den deutschen Hochschulen mag dem Papst jetzt ein Dorn im Auge sein – obwohl er selber von der Qualität dieser Ausbildung profitiert und sich früher selber für die Freiheit der theologischen Forschung ausgesprochen hatte.

Die vom Papst für Europa angestrebte „Neuevangelisierung“ wird nur möglich sein, wenn sich „Kirche“ als dialogfähig mit der „Welt“ erweist, wenn sie auch bereit ist zur Inkulturation – so wie das Christentum in den frühen Jahrhunderten in den Kulturen des Mittelmeerraumes Fuß gefasst hat.

Zuletzt geändert am 27­.11.2011