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Veröffentlicht am 21­.09.2011

21.9.2011 Main Post

Ein Land verliert den Glauben

Wenn der Papst ab heute für vier Tage seine Heimat besucht, dann kommt er in ein Land, in dem sich die katholische Kirche in ihrer größten Krise seit Jahrzehnten befindet.

Papst Benedikt XVI. kommt heute zu seinem dritten Besuch in sein Heimatland Deutschland. Während der viertägigen Reise macht der Pontifex Station in Berlin, Erfurt und Freiburg – und die Erwartungshaltung an das Oberhaupt der katholischen Kirche ist riesig. Denn nach dem Missbrauchsskandal im Jahr 2010 befindet sich die Kirche hierzulande in der tiefsten Krise der jüngeren Geschichte. Im Vorjahr traten 181 000 Christen aus der katholischen Kirche aus, erstmals seit Jahrzehnten mehr als neu getauft wurden. Dazu kommt der Priestermangel und eine „Erosion des Glaubens“, wie der Würzburger Bischof Friedhelm Hofmann sagt. Nur jeder Achte der 24,6 Millionen Katholiken lässt sich regelmäßig in Gottesdiensten blicken.

Uli Hoeneß: „Der Papst ist weltfremd“
In welches Klima der Papst also reist, zeigte auch eine Episode im neuen Mainzer Fußballstadion. Dort wurde am Dienstagabend im Beisein von Kardinal Karl Lehmann sowie Uli Hoeneß, dem Präsidenten des FC Bayern München, eine VIP-Lounge eingeweiht. Dabei kritisierte Hoeneß, bayerischer Unternehmer und früher selbst Ministrant, den Papst als „relativ weltfremd“. Er sei „kein Popstar“, sondern ein großes Problem für die katholische Kirche, „weil ich nicht das Gefühl habe, dass irgendein Jugendlicher ihm folgen kann. Vielleicht sollte man mal über eine Altersbegrenzung nachdenken“, so Hoeneß über den 84-jährigen Papst aus dem bayerischen Marktl.

Es weht ein eisiger, ein kritischer Wind, und die Bewegung „Wir sind Kirche“ ruft unter der Überschrift „Wir sind nicht Papst!“ zu innerkirchlichen Reformen auf. Magnus Lux aus dem unterfränkischen Schonungen, Mitglied des Bundesteams der Gruppierung, fordert eine ökumenische Annäherung und kritisiert den päpstlichen Machtanspruch sowie den Pomp: „Wir sind empört über den unangemessen hohen Sachaufwand, den die staatlichen Organe in Absprache mit römischen und deutschen kirchlichen Apparaten betreiben.“ Laut Schätzungen kostet der viertägige Besuch der deutschen Kirche bis zu 30 Millionen Euro, hinzukommen für den Steuerzahler rund zehn Millionen Euro für Sicherheitsvorkehrungen, da für den Papst die höchste Sicherheitsstufe ausgerufen wurde.

Auch die Rede des Papstes im Deutschen Bundestag an diesem Donnerstag ist Gegenstand scharfer Kritik. So wird – wie berichtet – der unterfränkische SPD-Abgeordnete Frank Hofmann aus Volkach dem Auftritt fernbleiben, weil er für die strikte Trennung von Staat und Kirche ist. Aufmerksam lauschen wird der kirchenkritische katholische Theologe und Religionslehrer David Berger aus Köln der Rede – auf der Besuchertribüne. Der gebürtige Würzburger, der sich vor eineinhalb Jahren öffentlich zu seiner Homosexualität bekannte (wir berichteten), folgt einer Einladung der Grünen.

Im Anschluss wird er auf der vom Bündnis „Der Papst kommt!“ organisierten Gegendemonstration beziehungsweise bei den Kundgebungen auf dem Potsdamer Platz und vor der Hedwigs-Kathedrale als Redner auftreten und dort auf die Worte Benedikts XVI. eingehen. Das Bündnis will gegen die „menschenfeindliche Geschlechter- und Sexualpolitik des Papstes“ ein Zeichen setzen. Die demokratische Entscheidungsfindung über das Mehrheitsprinzip sei Benedikt XVI. „zutiefst zuwider“, meint Berger, deshalb sei der Bundestag nicht der richtige Ort, dem Papst ein Forum zu bieten. Berger, der sein Insiderwissen über die katholische Kirche in seinem Buch „Der heilige Schein“ beschrieben hat, bezeichnet den Papst als Gegner von Toleranz, vor allem wenn es um das Thema Homosexualität ginge. Für den Papst sei das eine „Toleranz des Bösen“, eine „anarchistische Freiheit“, zitiert Berger das Oberhaupt der römisch-katholischen Kirche, der weltweit 1,181 Milliarden Gläubige angehören.

David Berger: „Nur eine fromme Kulisse“
Was der Theologe nicht kritisiert, ist der Aufwand für den Deutschlandbesuch des Papstes. „Die Kirche ist seit vielen Jahrhunderten die Meisterin der Inszenierung, sie weiß, wie man sich in der Öffentlichkeit darstellt. Das ist zunächst nichts Verwerfliches.“ Auch für die Traditionen der katholischen Kirche empfindet Berger Respekt und hofft, dass es bei den Demonstrationen zu keinen unwürdigen Ausschreitungen kommen wird. Bergers Kritik setzt jedoch da an, wenn nach außen „der heilige Schein, die fromme Kulisse“ präsentiert, hinter den Kulissen dagegen mit „sehr unfrommen Mitteln“ gearbeitet wird. Der Theologe spricht von einem Angstklima, seit Benedikt XVI. im Amt ist. „Er hat es geschafft, innerhalb weniger Jahre zu polarisieren. Wie vom Vatikan mit Menschen in seinem Auftrag umgegangen wird, steht im krassen Gegensatz zu seinem Auftritt nach außen in Heiligkeit, Unschuld und Unantastbarkeit. Der Weihrauch vernebelt eben häufig die Blicke dafür, was hinter den heiligen Kulissen passiert.“ Auch die Inszenierung des Deutschlandbesuchs wird laut David Berger ganz darauf ausgerichtet sein, eine kritische Auseinandersetzung und Aufarbeitung von Missständen zu verhindern. Allerdings wird, laut Medienberichten, der Papst am Rande seines Besuchs auch mit Missbrauchsopfern sprechen.

Ob die Reise in die Heimat nur von Symbolik getragen wird oder das Fundament für eine frische Auseinandersetzung und Aufarbeitung in der katholischen Kirche bildet, wird sich nun ab heute zeigen. Insgesamt 260 000 Menschen haben sich zu den großen Gottesdiensten wie im Berliner Olympiastadion oder zur Marien-Vesper im thüringischen Eichsfeld angemeldet. Es wird also nicht nur Kritik geben. Mit Material von dpa

Zuletzt geändert am 22­.09.2011