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Veröffentlicht am 24­.11.2010

24.11.2010 - Lübecker Nachrichten

Benedikt XVI: Und er bewegt sich doch

Zum ersten Mal in der Geschichte der katholischen Kirche hat ein Papst ein Interview-Buch gemacht. Und gleich sorgte Benedikt XVI. mit seinen Äußerungen vor allem zu Kondomen für Wirbel. An einen völlig veränderten Papst aber glaubt niemand.

Er hat sich Zeit genommen im Juli auf seiner Sommerresidenz, eine Woche lang, jeden Tag eine Stunde. Er hat Fragen beantwortet, ein deutscher Journalist saß ihm gegenüber, und jetzt liegt das Gespräch als Buch vor. „Licht der Welt. Der Papst, die Kirche und die Zeichen der Zeit“ heißt es und ist weltweit ein Ereignis. Der Heilige Vater gibt ein Interview, um es zwischen zwei Buchdeckeln zu veröffentlichen: Das hat man in dieser Form noch nicht erlebt in 2000 Jahren katholischer Geschichte. Und was er sagt, ist ebenfalls von Brisanz.

Er erklärt zum Beispiel, dass in „begründeten Einzelfällen“ Kondome verwendet werden dürften. Dass die Aufhebung der Exkommunikation des Holocaust-Leugners Bischof Richard Williamson ein Fehler gewesen sei – „leider hat niemand bei uns im Internet nachgeschaut und wahrgenommen, um wen es sich hier handelt“. Dass er bei der Burka „keinen Grund für ein generelles Verbot“ sehe. Dass er zwar von Missbrauchsfällen in seiner Kirche gewusst, die „Größenordnung“ aber als „Schock“ erlebt habe. Und dass es „im katholischen Deutschland eine beträchtliche Schicht gibt, die sozusagen darauf wartet, auf den Papst einschlagen zu können“, das sagt er auch.

Vor allem seine Äußerung zu Kondomen ist um den katholischen Globus gelaufen. Und auch wenn erzkonservative Katholiken in Internetforen klagten, der „alte Mann“ sei „vor dem Druck zusammengeklappt“, wurde sie im Grundsatz fast überall begrüßt, von der Aids-Hilfe über die Bundestagsfraktionen bis zur Weltgesundheitsorganisation.

Natürlich gibt es Abstufungen der Begeisterung. Die spanische Zeitung „El Mundo“ etwa erkannte „eine kleine Revolution innerhalb der katholischen Kirche“. Der evangelische Sozialethiker Peter Dabrock von der Universität Erlangen-Nürnberg fand die Lockerung des strikten Verbots immerhin noch „mehr als beachtlich“. Josef Sayer als Vorstandsvorsitzender des katholischen Hilfswerks Misereor hingegen war weniger erregt. In der Praxis hätten afrikanische Bischöfe und Ordensleute schon längst ein anderes Verhältnis zu Kondomen, sagte er. Die katholische Kirche mache sich mit den Worten aus dem Vatikan nun „ein Stück weit ehrlicher“.

Und natürlich hat man sich über die Papst-Äußerungen gebeugt wie früher die Kreml-Astrologen über Sätze aus dem Politbüro. Das war auch nötig, weil Benedikt sich nicht eindeutig ausgedrückt hat. Beim Gebrauch von Kondomen etwa war nicht klar, ob er nur männliche Prostituierte meinte, wie es schien. Vatikan-Sprecher Federico Lombardi erklärte denn auch gestern, der Papst habe ebenso weibliche und transsexuelle Prostituierte im Blick gehabt. „Die Aussage ist, dass ein erhebliches Risiko für das Leben eines anderen Menschen verhindert werden sollte“, sagte er. Das Benutzen von Kondomen im Aids-Zeitalter solle ein erster Schritt hin zur Verantwortung sein. Festzuhalten bleibt, dass der Papst den bisherigen Kurs leicht verändert hat. Vor 42 Jahren, in der Enzyklika „Humanae Vitae“, hatte Paul VI. ein klares Nein zur Empfängnisverhütung in Stein gehauen. Es war die Antwort des Vatikan auf die Anti-Baby-Pille, es war die Antwort einer um ihre Grundfesten fürchtenden Institution in unruhiger werdenden Zeiten, und sie enthielt Sätze wie: „Sittlich geordnete Geburtenregelung aber verlangt von den Gatten . . . eine ständige Bemühung um allseitige Beherrschung ihrer selbst und ihres Trieblebens.“ Auch Johannes Paul II. hatte die eheliche Treue noch als einziges Mittel gegen Aids verteidigt.

Diesen Glaubenssatz hat der Papst mindestens aufgeweicht, wenn auch nicht in hochoffizieller, sondern in eher tastender Buchform. Das erkennen auch Kritiker wie die Bewegung „Wir sind Kirche“ an. „Es war keine Kehrtwende, aber die Andeutung einer Kursänderung“, sagte ihr Sprecher Christian Weisner. Eine Kehrtwende sei bei einem riesigen Schiff wie der katholischen Kirche auch ein schwieriges und riskantes Manöver. „Eine Banalisierung der Sexualität wollen wir alle nicht, aber ohne Kondome geht es ebenfalls nicht“, erklärte er. Insofern sei die Äußerung „eine Anerkennung der Realität“. Aber es dürfe jetzt nicht aufhören.

Es müsse in der Kirche eine „offene Debatte“ einsetzen, und wenn der Papst das mit seinem Buch habe erreichen wollen, wäre es ein Erfolg. An einen grundlegenden Wandel aber glaube er nicht. Zu Frauenordination und Zölibat habe der Papst nur „mit neuen Worten die alte Botschaft“ verkündet.
Und Homosexualität, klagte die italienische Schwulen- und Lesbenorganisation, gelte ihm immer noch als moralisch verwerflich.

„Wir lernen den Papst von seiner ganz menschlichen Seite kennen“, sagte der Hamburger Weihbischof Hans-Jochen Jaschke, der in den Siebzigerjahren bei Joseph Ratzinger promoviert hat. Er würde nicht davon sprechen, dass nun in der katholischen Kirche etwas aufbricht. Aber es gebe „eine gewisse Erleichterung“, dass der Papst die Frage des Gebrauchs von Kondomen in Notsituationen beim Namen genannt hat.

Von Peter Intelmann

http://www.ln-online.de/news/2889141

Zuletzt geändert am 24­.11.2010