| |
Veröffentlicht am 20­.10.2010

20.10.2010 - Süddeutsche Zeitung

57 Jahre - und schon Kardinal

Er gilt als leutselig und kumpelhaft, aber auch als konservativ und machtbewusst: Seit drei Jahren ist Reinhard Marx Erzbischof von München und Freising. Jetzt steigt er zum Kardinal auf - als jüngster deutscher Purpurträger.

Vielleicht hat Papst Benedikt die Entscheidung vom 17. Juli 2003 überzeugt. An diesem Tag suspendierte der damalige Bischof von Trier, Reinhard Marx, den katholischen Priester Gotthold Hasenhüttl. Der Gottesmann hatte am Rande des Ökumenischen Kirchentags in Berlin in einer evangelischen Kirche einen sogenannten "Abendmahlsgottesdienst nach katholischem Ritus" gefeiert - und zur Kommunion auch explizit Protestanten und Nicht-Katholiken eingeladen. Knapp drei Jahre später entzog Marx dem Priester auch noch die kirchliche Lehrerlaubnis.

Inzwischen ist der 57-jährige Reinhard Marx Erzbischof von München und Freising, Buchautor und einer der Top-Strippenzieher unter Deutschlands Katholiken. Und bald wird er auch Kardinal sein. Denn Papst Benedikt XVI. hat entschieden, den gebürtigen Ostwestfalen - zusammen mit 23 weiteren Gottesmännern - in den exklusiven Kreis der Papstwähler zu berufen. Auch der ehemalige Chefhistoriker der Kurie, der Bamberger Diözesanpriester Walter Brandmüller, 81, soll in den höchsten Rang - nach dem Papst - erhoben werden. Die Zahl der deutschen Kardinäle steigt damit auf acht.

In einer ersten Stellungnahme bezeichnet der Münchner Erzbischof die Ernennung als "Ansporn und eine Herausforderung". In Treue und mit Freude wolle er Papst Benedikt "mit ganzem Einsatz" weiter unterstützen. Der Vorsitzende der Bischofskonferenz, Robert Zollitsch, sagte, Marx' "vielfältiges Wirken" werde damit in "besonderer Weise gewürdigt".

Eine Lobeshymne auf den Demnächst-Kardinal sang auch Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer. Der CSU-Politiker lobte, Marx achte sehr darauf, "dass die kleinen Leute nicht unter die Räder kommen". Bayerns evangelischer Landesbischof Johannes Friedrich, der auch Leitender Bischof der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche in Deutschland ist, dankte in seinem Glückwunschschreiben besonders für das brüderliche ökumenische Verhalten von Marx ihm gegenüber.

Auf der Linie des Vatikans

Marx, geboren als Sohn eines Schlossermeisters, gilt als leutselig, als direkt und kumpelhaft. Mit seiner Vorliebe für dicke Zigarren sticht er ebenso aus der deutschen Bischofsriege heraus wie mit seiner Fähigkeit, auf Menschen zuzugehen. Auf die Frage, bei welcher Musik er am besten entspannen könnte, antwortete Marx: Rock und Reggae. Genauer gesagt bei dem Titel No woman, no cry. Allerdings stellt der Erzbischof dabei auch gleich klar, dass es sich bei dem Text nicht um sein Lebensmotto handele. Dieses ist ein wenig zurückhaltender: "Ubi spiritus Domini, ibi libertas" (Wo der Geist des Herrn wirkt, da ist Freiheit).

Ganz klar, Reinhard Marx ist auf der Linie des Vatikan. Der Eklat mit Gotthold Hasenhüttl war nur ein Beispiel dafür. Als Marx nach München kam, verfügte er erst einmal, dass Laien im Erzbistum nicht mehr Pfarrbeauftragte sein durften, wie es sein Vorgänger im Amt, Kardinal Friedrich Wetter, beschlossen hatte. Die Bewegung "Wir sind Kirche" sprach prompt von einer Brüskierung des Vorgängers. Der Sozialethiker Friedhelm Hengsbach beschrieb Marx in der Zeit als "nach außen sozial engagiert, nach innen reaktionär bis aufs Skelett."

Er kann aber auch anders, schmeicheln etwa. Zum Beispiel, wenn er die Ökumene lobt. In einer zunehmend säkularen Gesellschaft sei das "gemeinsame Auftreten der Christen" immer wichtiger, hat Marx einmal gesagt. Für die Kirche komme es vor allem darauf an, die Lehre Christi so zu interpretieren, dass sie in der Sprache der Gegenwart auf die Fragen, Nöte und Probleme der Menschen Antworten geben kann.

Ratgeber und Mitarbeiter des Papstes

Sein soziales Profil schärfte Marx mit seinem im Oktober 2008 erschienenen und werbewirksam inszenierten Buch Das Kapital, in dem er - auf dem Höhepunkt der Finanzkrise - den ungebremsten Kapitalismus geißelte und mehr Solidarität und Menschlichkeit einforderte. Das Buch, dessen Nähe zu dem gleichnamigen Werk seines Namensvetters Karl Marx nicht zufällig war, stürmte die Bestsellerlisten.

Marx kann auch hart sein. Beispielsweise im Fall Walter Mixa. Als gegen den ehemaligen Bischof von Augsburg Vorwürfe laut wurden, er habe Kinder geprügelt, Geld zweckentfremdet und sich jungen Männern genähert, da fädelte der Münchner Erzbischof - zusammen mit Robert Zollitsch - den Rücktritt des umstrittenen Mixa ein. Dabei profilierte er sich als radikaler Aufklärer, der auch vor unbequemen Maßnahmen nicht zurückschreckt.

Als Neu-Kardinal befindet sich Marx nun in guter Gesellschaft mit seinen Vorgängern. Denn die Erzbischöfe von München und Freising sind seit dem Jahr 1914 in ununterbrochener Reihenfolge mit der Kardinalswürde ausgezeichnet worden. Der Ostwestfale übernahm im Februar 2008 als erster Nichtbayer die größte bayerische Diözese und den Vorsitz der Bayerischen Bischofskonferenz. In seinem ersten Hirtenbrief forderte Marx damals mehr Mut zum christlichen Bekenntnis. "Die Einheit mit dem Heiligen Vater gehört zur Substanz des katholischen Glaubens", betonte er nach der Bekanntgabe seiner Ernennung. "Ein Kardinal hat das in besonderer Weise zu leben und zu bezeugen."

Am 20. November wird er in sein Amt eingeführt, zusammen mit den 23 anderen neuen Kardinälen, die aus Afrika, Asien, Nord- und Südamerika sowie aus Europa kommen. Vom Papst werden sie dann das Ernennungsdekret und das rote Birett als Kopfbedeckung erhalten. Kardinäle sind die höchsten Würdenträger nach dem Papst und fungieren als dessen Ratgeber und Mitarbeiter. Sie haben nicht nur das exklusive Wahlrecht (sofern sie unter 80 Jahre alt sind), sondern wählen den Papst traditionell auch aus ihren eigenen Reihen - obwohl auch Kandidaten von außen möglich sind.

Kandidat für Zollitsch-Nachfolge

Bereits seit einiger Zeit zählt Marx zu den mächtigsten Männer unter den deutschen Katholiken - auch wenn ihm im Jahr 2008, als es um den Vorsitz der Bischofskonferenz ging, der als liberaler geltende Zollitsch vor die Nase gesetzt wurde. Doch auch in diesem Fall spielt Marx sein Alter in die Hände. Denn der Münchner Erzbischof gilt als heißer Kandidat für die Zollitsch-Nachfolge, wenn dieser im Jahr 2014 altersbedingt abtritt.

Über sich selbst hat Reinhard Marx einmal gesagt, er sei nicht besonders ehrgeizig. Am 20. November wird er dennoch den nächsten Karriereschritt machen.

Zuletzt geändert am 13­.11.2010