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Veröffentlicht am 08­.02.2010

8.2.2010 - Basler Zeitung

Katholische Priester im Teufelskreis sexualisierter Gewalt

Nach den jüngsten Missbrauchs-Skandalen brechen hohe katholische Kirchenvertreten erstmals ihr Schweigegebot. So wurden Priester vor der Justiz geschützt.

Über die sexuellen Verfehlungen ihrer Priester hat die katholische Kirche lange den Mantel des Schweigens gebreitet. Täter, Vorgesetzte und Opfer wurden zu Geheimhaltung gedrängt. Doch im Zuge der jüngsten Missbrauchs-Skandale gehen nun erstmals nicht nur die Opfer an die Öffentlichkeit, sondern auch viele ranghohe Kirchenvertreter. Eine offene Diskussion, die mögliche Ursachen der Übergriffe einschliesst, wird auch für bitter nötig gehalten, denn sonst droht der Kirche ein massiver Glaubwürdigkeitsverlust.

«Die Kirche versteht sich als moralische Autorität, und sie zeichnet gerne ein nahezu perfektes Bild von sich selbst», sagt etwa der Vorsitzende des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Alois Glück, der «Rheinischen Post». Deshalb gerate die Kirche noch stärker als andere Institutionen bei vergleichbaren Vorwürfen in Glaubwürdigkeits-Probleme, wenn sie nicht mit Offenheit reagiere.

Enttabuiesierung gefordert

Nach Auffassung der Laienbewegung «Wir sind Kirche» müssen die tieferen, strukturellen Ursachen für solche Missbrauchsfälle in den Blick genommen werden: die strikte Sexualmoral, ein überhöhtes männliches Priesterbild und autoritäre hierarchische Strukturen.

«Ohne eine Enttabuisierung in der Sexuallehre und eine grundlegende Änderung in der Einstellung zur menschlichen Sexualität wird nach Auffassung der katholischen Reformbewegung der Teufelskreis von Machtmissbrauch und sexualisierter Gewalt in der römisch-katholischen Kirche nicht zu durchbrechen sein», erklärt die Organisation.

Die Verantwortung für die Auswüchse sieht nicht nur «Wir sind Kirche» beim Vatikan. Dort ergingen im Jahr 1962 mit dem Geheimdokument «Crimine Sollicitatonis» strikte Anweisungen an die Bischöfe, wie sie mit Anschuldigungen gegen Priester wegen sexueller Übergriffe umzugehen hätten. Im Falle eines «Crimen Sollicitationis» («Verbrechen der Anstiftung») wurde verlangt, dass Vorkommnisse dieser Natur geheim zu halten seien; diese Geheimhaltung wurde auch auf das Dokument selber und die Opfer ausgedehnt.


Versetzung statt Verfolgung

Um grosses Aufsehen zu vermeiden, wurden Täter in der Regel nicht der weltlichen Justiz übergeben, sondern nur an einen anderen Ort versetzt. Die Gründe für die Versetzung erfuhren ihre neuen Vorgesetzten in der Regel nicht. So kam es immer wieder vor, dass sich die Täter auch an ihren neuen Betätigungsorten wieder an Kindern vergreifen konnten.

Für eine Welle der Empörung sorgte der Fall des ehemaligen Pfarrers von Riekofen in Bayern. Der einschlägig vorbestrafte Geistliche verging sich mehr als 20 Mal an einem Ministranten, wurde deswegen zu drei Jahren Haft verurteilt und zum Schutz der Öffentlichkeit in die geschlossene Psychiatrie eingewiesen.

Wegen der Affäre geriet auch der Regensburger Bischof Gerhard Ludwig unter Druck, der aber jede Mitverantwortung ablehnte. Für seine Haltung wurde Müller aber von der Bischofskonferenz im Jahr 2007 zumindest indirekt gerügt. Der damalige Vorsitzende Kardinal Karl Lehmann stellte klar, das wegen sexuellen Missbrauchs verurteilte Priester auf keinen Fall mehr mit Kindern und Jugendlichen arbeiten dürften.

Atmosphärische Veränderungen

Dass jetzt in so kurzer Zeit so viele Missbrauchsfälle bekannt werden, ist so in Deutschland bislang einzigartig. Pater Johannes Siebner, Direktor des ebenfalls betroffenen Kollegs St. Blasien im Schwarzwald, erklärte im ZDF-Morgenmagazin, «dass sich atmosphärisch etwas geändert hat, dass Übergriffigkeit als solche benennbar ist». Für ihn sei im Moment entscheidend, «dass die Opfer endlich reden und dass ihnen geglaubt wird».

Auch der Hildesheimer Bischof Norbert Trelle versucht es mit einer neuen Offenheit: «Im Namen der Kirche von Hildesheim drücke ich den Opfern mein tief empfundenes Mitgefühl aus», schrieb er in einem Brief an die Pfarrgemeinden des Bistums. Das Bistum werde alles daran setzen, für Aufklärung zu sorgen.

Für die Leitung des Canisius-Kollegs in Berlin und des Jesuitenordens gibt es sogar von kirchenkritischer Seite Lob. Diese schenkten nicht nur den Opfern Gehör, sondern stellten auch die Fragen nach den zugrundeliegenden Strukturen, «die zu sexualisierter Gewalt und ihrer systematischen Vertuschung führen», erklärt etwa die Organisation «Wir sind Kirche».

Debatte über Zwangszölibat

Die Deutsche Bischofskonferenz und ihr Vorsitzender Robert Zollitsch halten sich dagegen noch zurück. Bei der Frühjahrsvollversammlung in Freiburg vom 22. bis 25. Februar sollen die Missbrauchsfälle aber Thema sein.

Um die Glaubwürdigkeit zu wahren, muss die Kirche dann mehr als nur ein paar warme Worte bieten, sondern wie gefordert auch die Ursachen des Missbrauchs thematisieren. Dazu gehört auch die Frage des Zölibats. Die den Priestern verordnete Ehelosigkeit schreckt nicht nur viele Kandidaten von dem Beruf ab und sorgt so für Nachwuchssorgen, sie ist nach Ansicht vieler Kritiker auch ein möglicher Grund für die sexuellen Übergriffe.

Zollitsch selbst hatte sich übrigens kurz nach seinem Amtsantritt im Jahr 2008 gegen Denkverbote beim Zwangszölibat ausgesprochen. Die Verbindung zwischen Priestertum und Ehelosigkeit sei «nicht theologisch notwendig», sagte er und stiess damit auf Widerstand bei seinen Bischofskollegen, so dass er seine Aussagen später wieder relativierte. (tan/ddp)

Zuletzt geändert am 11­.02.2010