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Veröffentlicht am 09­.02.2010

9.2.2010 - spiegel.de

"Die Kirche hat einen Panzer gebildet"

Von Peter Wensierski

Beten, arbeiten, schweigen: Die katholische Kirche ist wegen ihrer Heimlichtuerei im Umgang mit Missbrauchsfällen massiv unter Druck. Die Täter würden stärker geschützt als die Opfer, bemängeln Kritiker - und hoffen nun, dass sich die Bischöfe eines Besseren besinnen.

Berlin - Die Berliner Theologin und Konflikttrainerin Verena Mosen wirft der deutschen katholischen Kirche vor, sich bislang nicht mit der seit Jahren bestehenden Kritik an ihrem Umgang mit sexuellen Missbrauchsfällen auseinandergesetzt zu haben.

"Es darf nicht länger sein, dass die Kirche ein Sonderrecht beansprucht, wie es sonst niemand in der Gesellschaft hat, nämlich beim Verdacht auf eine Straftat zunächst einmal lediglich eine interne Klärung zu verfolgen - jenseits von Polizei und Justiz", so Mosen. Die seit 2002 gültigen Leitlinien der Bischofskonferenz begünstigen ihrer Ansicht nach noch immer die Tradition des Vertuschens und helfen den Tätern, nicht den Opfern.

Auch Christian Weisner von der kirchenkritischen Initiative "Wir sind Kirche" fordert eine grundlegende Überarbeitung dieser Leitlinien. "Es kann nicht sein, dass in einzelnen Diözesen hohe Geistliche, denen die notwendige Distanz zu möglichen Tatverdächtigen fehlt, immer noch als Ansprechpartner genannt werden."

"Wir sind Kirche" verlange unabhängige Beratungsstellen und halte, solange dies nicht erfolge, weiterhin an dem von ihnen im Jahr 2002 eingerichteten Notruf-Telefon* fest. Wer dort anrufe, werde nicht auf ein innerkirchliches Verfahren vertröstet, sondern auch zur Anzeige ermuntert, hieß es.


Keine Reaktion

Schon ein Jahr nach Erscheinen der bischöflichen Leitlinien erstellte Mosen eine Studie über die Behinderung der Uno-Kinderrechtskonvention durch die Kirche in Deutschland. Diesen Bericht übergab sie an Regierungsstellen und den päpstlichen Vertreter bei der Uno in Genf sowie an die Deutsche Bischofskonferenz.

"Keiner der Empfänger reagierte auf unseren Bericht", sagt Mosen. Nach einem halben Jahr kontaktierte sie den Jesuiten Hans Langendörfer, Sekretär der Bischofskonferenz. Es wurde demnach bestätigt, dass ihr Gutachten vorlag und dass man keinen Kommentar abgeben werde.

"Bis heute hat sich an der Situation, die bereits 2003 in der Studie kritisiert wurde, nichts geändert. Nach deutschem Strafrecht besteht eindeutig eine rechtliche Verpflichtung, Fälle sexuellen Missbrauchs staatlichen Behörden anzuzeigen und Opfern beiseitezustehen, sobald man hiervon erfährt, und nicht erst ein langes innerkirchliches Verfahren in Gang zu setzen", sagt Mosen.

Quelle von Vertuschungsversuchen

Kritik an den Leitlinien teilt auch der Rektor des Berliner Canisius-Kollegs, Pater Klaus Mertes. Wenn Missbrauch gemeldet werde, sagt er, gerieten die Kirchenoberen in einen Loyalitätskonflikt zwischen Opfer und Beschuldigtem. Dies sei eine Quelle von Vertuschungsversuchen. Das praktizierte Leitlinien-Verfahren vermittele den Opfern ein falsches Signal und brächte manche "zum Verstummen".

Die Praxis der Deutschen Bischofskonferenz im Umgang mit sexuellem Kindesmissbrauch stehe zudem "nicht im Einklang mit deutschem Recht", kritisiert Theologin Mosen. Es finde ein langer Prozess innerhalb der römisch-katholischen Kirche statt, ehe der Kontakt zu den Strafverfolgungsbehörden aufgenommen werde, "falls dies überhaupt geschieht".

Die Kirche sei durch ihre eigenen Richtlinien gehalten, kanonisches Recht und das Gesetz des Heiligen Stuhls zur Verschwiegenheit von 2001 zu befolgen. "Dieses kirchliche Recht führt aus, dass die Glaubenskongregation die absolute Autorität über die Untersuchungen und Beschlüsse hinsichtlich von Beschuldigungen wegen sexuellen Missbrauchs an Kindern in der Kirche innehat."

Warum zögerte die Kirche?

Im Fall der Canisius-Schüler zeige sich, dass dies problematisch sei. Bereits 1981 wurden die Vorfälle dem Jesuitenorden angezeigt, 1991 informierte der Täter selbst den Vatikan. Die Berliner Theologin fragt sich: "Warum werden diese strafrechtlich relevanten Gewaltakte erst 2010 öffentlich gemacht und Ermittlungen eingeleitet?" Die Kirche müsse doch sofort mit Regierungsbeamten und staatlichen Ermittlungsbehörden zusammenarbeiten. "Und auch das Einschalten der Medien kann dazu beitragen, dass sich weitere Opfer melden."

Die Initiative "Kirche von unten" fordert jetzt, endlich sämtliche Fälle sexuellen Missbrauchs zu veröffentlichen - was selbst unter Wahrung der Privatsphäre von Opfern und Tätern möglich sei.

In Kirchengemeinden, bei Ministranten und Ministrantinnen sowie in kirchlichen Schulen, so eine weitere Forderung, müsse die Prävention sexuell krimineller Handlungen thematisiert werden. "Da muss jetzt wirklich was passieren", klagt Mosen. Sie hofft, dass die katholischen Bischöfe auf ihrer bevorstehenden Frühjahrskonferenz über den Umgang mit sexuellem Missbrauch in der Kirche reden - und von der bestehenden Praxis abkehren werden.

"Massiver Schutz der Täter"

Die Versuche mancher Kirchenoberen, den jüngsten Missbrauchskandal in der Kirche wieder einmal kleinzureden, bringt auch Sigrid Grabmeier, vom kirchenkritischen Netzwerk "Wir sind Kirche" auf.

"Nirgends ist der Schutz der Täter so massiv wie in den kirchlichen Hierarchien, weil immer wieder die heilige Kirche zuerst geschützt wird", zürnt Grabmeier. Sie kenne zwar einige Kirchenmänner, die sagten, da müsse man endlich ran. "Doch die Kirche insgesamt hat so etwas wie einen Panzer gebildet, der die Verbrecher und ihre Verbrechen schützt. So lange das so bleibt, so lange kann eine echte Aufarbeitung und Fürsorge für die Opfer nicht stattfinden."

Es gibt nach ihrer Kenntnis noch zu viele Kleriker, "die sich in der Hierarchie geborgen fühlen", die es sich leicht machten mit dem Hinweis, Missbrauch gebe es auch anderswo in der Gesellschaft. "Niemand will der Nestbeschmutzer sein, darum schweigt man lieber weiter." Und selbst die Opfer, hat sie festgestellt, hätten oft noch ein Restvertrauen zur Kirche, weshalb sie oft nicht als erstes zur Polizei gingen.


Dramatische Entwicklung

Am kommenden Donnerstag hat am Regensburger Stadttheater zufällig ein lang vorbereitetes Theaterstück seine Premiere, dass die Problematik sexuellen Missbrauchs in der Kirche zum Thema hat. Es ist das Stück "Die Beichte" nach einer Vorlage, die der Autor Felix Mitterer schon 2003 geschrieben hat. Grabmeier hat sich die Generalprobe angesehen.

Der Inhalt: Ein Mann kommt mit einem Kind zur Beichte und will dem Priester gestehen, dass er es missbraucht. Dabei stellt er fest, dass er den Geistlichen aus der Vergangenheit kennt, denn der Mann Gottes hat einst ihn missbraucht. Ausgangspunkt für ein langes Gespräch und eine dramatische Entwicklung.

Das Regensburger Ordinariat wurde bisher nur von der Ausstatterin einbezogen, zur Kostümberatung. Der Bischof und seine leitenden Geistlichen sind eingeladen, sich das Stück jetzt anzuschauen. Auf ihre Reaktion ist Grabmeier gespannt.

Zuletzt geändert am 29­.01.2014